Requiem (1992)

Dokumentarfilm | Schweiz 1992 | 81 Minuten

Regie: Reni Mertens

Unpathetischer Dokumentarfilm über europäische Soldatenfriedhöfe, dessen einziger Kommentar aus den Inschriften der Kreuze und Mahnmale erwächst. Eine ebenso bedrückende wie poetische Meditation über den Wahnsinn der beiden Weltkriege, die in Landschafts- und Naturpanoramen eine Ahnung vom Leben noch im Tod aufspürt. Ein Requiem wider das Vergessen. - Ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
REQUIEM
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
Tele Production Zürich
Regie
Reni Mertens · Walter Marti
Buch
Reni Mertens · Walter Marti
Kamera
Urs Thoenen
Musik
Léon Francioli
Schnitt
Edwige Ochsenbein
Länge
81 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Ein Requiem ist eine Messe für die Verstorbenen und in der Musik eine von vielen Komponisten gepflegte Gattung. Musik spielt auch im Dokumentarfilm von Reni Mertens und Walter Marti eine wesentliche Rolle. Wie ein sprachloser Kommentar begleitet Léon Franciolis unpathetische Komposition die Bilder, die stumm wie die Toten sind, als wollten sie deren Ruhe nicht stören. Kein einziges Wort fällt im Film, das Reden übernehmen Grabsteine und Denkmale. Hier ruhen in Frieden die Toten, denen im Leben kein Frieden vergönnt war. Die Dokumentarfilmer aus der im Krieg neutralen Schweiz haben sich auf die Soldatenfriedhöfe Europas von Nord nach Süd, von Ost nach West begeben, um Abertausende von Gefallenen und Ermordeten vorrangig aus zwei Weltkriegen in Erinnerung zu rufen. Allerorten fanden sie auf den Kriegsgräbern ungezählte Namen oder den lapidaren Hinweis: „Unbekannt“. Komponiert hat das Team daraus ein Requiem wider das Vergessen. Der Jazzmusiker Francioli kommuniziert in variierten Stilen und Rhythmen mit den stillen wie eindringlichen Bildern, meidet aber allzu gefällige Passagen. Gleichwohl verwendet er auch choralartige Stücke, bläst sogar zum letzten Zapfenstreich, ohne experimentellere Phasen zu übergehen. Die instrumentale Vielfalt stimmt unter anderem mit Percussion, Bass, Saxophon, Klavier, Harmonium oder wortlosem Gesang auf die Schauplätze ein. Bewusst spröde Soli wirken improvisiert, und bei sich windenden, jammervollen Bläserfiguren glaubt man, die Schreie der Verwundeten zu hören. Mertens und Marti heben die Grenzen zwischen den Nationen auf, denn der Tod zieht keine Demarkationslinien. Italien, Frankreich, England, Amerika, Russland, Deutschland - aus beinahe aller Welt finden sich Opfer, die einen absurden Tod sterben mussten. „Menschen, seid wachsam“, mahnt eine Inschrift, während die anfangs notierten Geburtstage der Mitarbeiter verdeutlichen, wie Leben und Tod nebeneinander herlaufen können: Einige von ihnen wurden geboren, als andere auf den Schlachtfeldern verbluteten oder in Konzentrationslagern umkamen.

Die Kamera fotografiert endlose Reihen von Kreuzen, fährt Skulpturen und Grabbildnisse ab; die manchmal eingesetzte Handkamera verstärkt den subjektiven Blick, als gehe der Zuschauer selbst über die Friedhöfe, wo steinerne Grabplatten und Gedenkstätten den Wahnsinn des kalkulierten Sterbens vor Augen führen. In der Kirche von Solferino liegen die Schädel der auf dem Schlachtfeld Getöteten, im Museum streift das Auge über Nazi-Uniformen und Requisiten des Krieges. Angehörige ließen Fotos als letzten Gruß an den Gräbern zurück, Rosenkränze wurden um Kruzifixe gelegt - Zeugnisse von Lebenden, die im Film nicht vorkommen. Die weiträumigen Anlagen sind menschenleer. Die Kamera sucht Details auf, geht aber auch häufig in die Totale, um die großzügigen Gebäude- und Landschaftsarchitekturen zu erfassen. Überall ist Natur: Bäume und Blumen, Wiesen und Berge umsäumen die Kriegsgräber, worauf das Schweizer Team quasi leitmotivisch zurückkommt. Die Natur weckt eine Ahnung vom Leben noch im Tod und gewährt dem Zuschauer ein kurzes Aufatmen angesichts der bitteren Gräberflut, die jedem Massaker auch Jahrzehnte danach noch eine greifbare Gestalt verleiht. „Requiem“ besticht als ebenso bedrückende wie poetische Meditation, deren einziges Problem die Fülle ist.
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