Mütter & Söhne

- | Irland/Großbritannien/USA 1996 | 112 Minuten

Regie: Terry George

Die Mütter zweier inhaftierter irischer Untergrundkämpfer - die eine Pazifistin, die andere IRA-Sympathisantin - kommen sich durch ihr gemeinsames Schicksal näher und schließen Freundschaft. Als ihre Söhne in den Hungerstreik treten und ins Koma fallen, entscheidet sich die eine, das Leben ihres Sohnes zu retten, während die andere den Tod ihres Sohnes akzeptiert. Ein eindringlich gespieltes und sorgfältig inszeniertes Plädoyer für das Leben und gegen politische Verbohrtheit, das deutlich die Machtverhältnisse benennt und Sympathien für die politischen Ziele der IRA bekundet. (Kinotipp der katholischen Filmkritik.) - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
SOME MOTHER'S SON
Produktionsland
Irland/Großbritannien/USA
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
Castle Rock-Turner/Irish Film Board
Regie
Terry George
Buch
Jim Sheridan · Terry George
Kamera
Geoffrey Simpson
Musik
Bill Whelan
Schnitt
Craig McKay
Darsteller
Helen Mirren (Kathleen Quigley) · Fionnula Flanagan (Annie Higgins) · Aidan Gillen (Gerard Quigley) · David O'Hara (Frank Higgins) · John Lynch (Bobby Sands)
Länge
112 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Diskussion
Die Ursachen des Nordirland-Konflikts reichen bis ins 17. Jahrhundert zurück, als schottische Protestanten in den kaum bevölkerten Norden Irlands einwanderten. Ihre Nachkommen industrialisierten im 19. Jahrhundert das Land und banden es wirtschaftlich an Großbritannien. Aus dem armen, katholischen Süden der Insel rekrutierten sie ihre "industrielle Reservearmee", die bis heute von der protestantischen Mittel- und Oberschicht beherrscht wird. Seit 1861 kämpfte die Unabhängigkeitsbewegung Sinn Fein für die Loslösung von England. Die blutigen Unruhen Anfang der 20er Jahre sowie 1935 der Einzug der Sinn Fein ins irische Parlament führten 1937 zur Unabhängigkeit des Landes: die sechs Nordprovinzen verblieben allerdings unter britischer Vorherrschaft. 1969 verschärften sich die Konflikte erneut. 1976 demonstrierten katholische und protestantische Frauen und Mütter gemeinsam gegen das Morden. Betty Williams und Mairead Corrigan wurden damals für ihr Engagement mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Zwei irische Frauen stehen auch im Mittelpunkt dieses preisgekrönten und mit dem "Felix" für den besten "Jungen Europäischen Film 1996" ausgezeichneten Regiedebüts. Zwei Frauen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Die an einer katholischen Schule unterrichtende Lehrerin und Mutter dreier Kinder, Kathleen Quigley, ist Pazifistin, die Bäuerin Annie Higgins Anhängerin der IRA, ihr Sohn Frank ein gesuchter Terrorist. Kathleen ahnt nicht, daß ihr Sohn Gerard ebenfalls mit der Untergrundorganisation zusammenarbeitet. Als er und Frank verhaftet werden, bricht für sie eine Welt zusammen. Auf Grund der Notstandsgesetzgebung werden sie zu hohen Haftstrafen verurteilt. Im Gefängnis, in dem Gerard die Zelle mit dem legendären IRA-Führer Bobby Sands teilt, weigern alle Gefangenen sich, Anstaltskleidung zu tragen, weil sie sich als politische Gefangene und nicht als Kriminelle verstehen. Ohne Anstaltskleidung verwehrt man ihnen den Gang zur Toilette. So schmieren sie ihre Exkremente an die Wand und gehen als letzte Druckmöglichkeit gegenüber der britischen Regierung in den Hungerstreik. Als Kathleen nach Wochen endlich ihren Sohn besuchen darf, bittet Annie sie, mitfahren zu dürfen. Im Gefängnis steckt Gerard Kathleen heimlich eine Botschaft für den Sinn-Fein-Führer Danny Boyle zu. Gegen Annies Widerspruch liest sie die Nachricht und besteht darauf, daß Annie sie zum Versteck des Untergrund-Politikers führt, dem sie unverhohlen ihre Meinung zu dem Terror sagt. Trotzdem ist Kathleen bereit, für die menschenwürdigere Behandlung der IRA-Häftlinge zu kämpfen. Durch die gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit kommen sich Kathleen und Annie langsam näher, lernen, sich trotz unterschiedlicher Standpunkte gegenseitig zu achten. Als sich auch die katholische Kirche für die Inhaftierten einsetzt, scheint die britische Regierung einzulenken. Aber die zugesagte Zivilkleidung ist durch ihre Einheitlichkeit letztlich auch eine Uniform. Gefangene wie Angehörige fühlen sich hintergangen. Bobby Sands ruft den Hungerstreik aus, wird zur Symbolfigur des Widerstands Als der Nordirland-Abgeordnete des britischen Unterhauses, der sich auch für die Häftlinge verwandt hatte, einem Herzinfarkt erliegt, wird Sands als sein Nachfolger aufgestellt. Und tatsächlich gewinnt er die Wahl. Aber London bleibt hart, und Sands stirbt nach 66 Tagen Hungerstreik. Sein Begräbnis wird zu einer gewaltigen Machtdemonstration der IRA. Doch die Thatcher-Regierung will immer noch nicht einlenken. Vor allem der britische Hardliner Farnsworth torpediert jeden Vermittlungsversuch gemäßigter politischer Kreise. Die Situation spitzt sich zu. Als Gerard ins Koma fällt, entschließt sich seine Mutter gegen seinen vorher geäußerten Willen, ihr Einverständnis zu künstlicher Ernährung zu geben, während Annie das rettende Papier nicht unterschreibt.

Terry George und Jim Sheridan schreiben mit "Mütter & Söhne" ihre mit "Im Namen des Vaters" (fd 30 701) so eindrucksvoll begonnene Chronologie einer verfehlten britischen Nordirland-Politik fort. Wie damals wird man ihnen auch jetzt vorwerfen, einen anti-englischen Film gemacht zu haben. Sicherlich verhehlen George und Sheridan nicht ihre Sympathien für die politischen Ziele der irischen Untergrundkämpfer, aber sie distanzieren sich von ihren Methoden. Und diese beiden Pole kulminieren in den Figuren von Kathleen und Annie. Während die eine bei einer Demonstration ihrem kleinen Sohn den Stein aus der Hand nimmt, ist die andere zum gewalttätigen Widerstand bereit. Aber die Fronten sind aufbrechbar, wenn man aufeinander zugeht, sich die Standpunkte des anderen anhört, zu verstehen versucht. Nicht umsonst wohl haben die Autoren zwei Müttern diese Rollen zugedacht, überwinden doch die Frauen überall in der Welt, sei es in Sarajevo, Buenos Aires oder Tschetschenien, mit ihren Demonstrationen das Unrecht einer fanatischen (Männer-)Politik. Und da Helen Mirren und Fionnula Flanagan ihre Charaktere mit soviel Menschlichkeit und hinter der Verbitterung immer wieder aufbrechender Wärme ausfüllen, wird ihre berührende Darstellung zu einem allgemeingültigen Plädoyer für gegenseitiges Verständnis: Kathleen begreift, warum sich Annie, die zu Hause immer noch den Tisch für ihren von den Briten erschossenen Sohn deckt, in der Kneipe nicht unter das Konterfei der Queen ("Dann wird ja mein Drink sauer") setzt, und Annie gesteht, als englische Soldaten ihr und Kathleen bei einer Autopanne helfen, ein, daß nicht alle "Besatzer" Unmenschen sind. Vor allem aber ist "Mütter & Söhne" ein Plädoyer für Zivilcourage: Kathleen läßt sich weder von ihrer mit Suspendierung drohenden Schul-Oberin noch von ihr Urin ins Gesicht schüttenden Gegendemon-stranten von ihrem Eintreten für Gerechtigkeit abhalten. Ihre Überzeugung gibt ihr auch am Ende die Kraft, die Entscheidung für das Leben ihres Sohnes und gegen jedes politische Kalkül zu treffen. Auch wenn dieser Schritt sie wieder ins Abseits stellt, bleibt doch die Hoffnung auf eine friedliche Lösung. Daß diese nur am Beharren auf verbohrten Standpunkten, die keine Kritik am eigenen Verhalten zuläßt, scheitert, steht für den Film außer Frage. Daß dabei der britische Regierungsgesandte mit seiner Forderung nach "Isolation, Kriminalisierung und Demoralisierung" der IRA und ihrer Sympathisanten schlechter wegkommt als der auch unnachgiebige Sinn-Fein-Boß, liegt einerseits an der klar vermittelten Erkenntnis, wer letztlich die Macht hat, und andererseits an der aalglatten, yuppiehaften Interpretation der Rolle durch Tom Hollander, der jene Ohnmacht vermittelt, die man beim Umgang mit arroganter Macht spürt. In der Darstellung vordergründiger Gewalt ist der Film äußerst zurückhaltend und nutzt selbst zur "Ausschmückung" sich geradezu aufdrängende Szenen wie die Zellenbeschmutzungen nicht aus. Er konzentriert sich - stringent und schnörkellos inszeniert - ganz auf seine bewegende Geschichte, mit der er unterhaltsam und informativ ein politisch brisantes Thema transportiert.
Kommentar verfassen

Kommentieren