The Neon Bible

- | Großbritannien/USA 1995 | 92 Minuten

Regie: Terence Davies

Nach seinen konsequent autobiografischen Arbeiten verarbeitet Terence Davies erstmals eine literarische Vorlage. Die Adaption des Romans basiert freilich auf einer Seelenverwandtschaft: Wieder steht ein Kind an der Schwelle zum Erwachsensein im Mittelpunkt, wieder wird der Verlust von Unschuld durch Erfahrung beschrieben. Doch die Bilanz der in den amerikanischen Südstaaten angesiedelten Geschichte fällt wesentlich düsterer aus: Statt befreiendem Aufbruch stehen Tod und Vernichtung als einziger Ausweg. Ein intensiver und eindrucksvoller, in optischer als auch inhaltlicher Hinsicht düsterer Film. (O.m.d.U.) - Sehenswert.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
THE NEON BIBLE
Produktionsland
Großbritannien/USA
Produktionsjahr
1995
Produktionsfirma
Scala/Miramax
Regie
Terence Davies
Buch
Terence Davies
Kamera
Michael Coulter
Musik
Robert Lockhart
Schnitt
Charles Reed
Darsteller
Gena Rowlands (Tante Mae) · Diana Scarwid (Sarah) · Denis Leary (Frank) · Drake Bell (David mit 10 Jahren) · Jacob Tierney (David mit 15 Jahren)
Länge
92 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Fünf Jahre hat Terence Davies gebraucht, um nach "Am Ende eines langen Tages" (fd 29 953) sein nächstes Projekt zu realisieren. Weitere zwei Jahre hat es gedauert, bis der neue Film in die deutschen Kinos gelangte - mit bundesweit lediglich fünf Kopien! Daß "The Neon Bible" überhaupt das Licht der hiesigen Leinwände erblickt, ist letztlich dem Engagement eines winzigen Hamburger Verleihs zu danken. Glücklicherweise, muß man sagen, denn der Film verkörpert ein authentisches Stück europäischen Kinos, auch wenn er als Co-Produktion mit dem amerikanischen Miramax-Studio entstanden ist. Davies, dessen bisheriges Werk ausschließlich um die eigene Biografie kreiste - der Kindheit und Pubertät im proletarischen Liverpool der 40er/50er Jahre -, greift nun erstmals auf eine Fremdvorlage zurück: den gleichnamigen Roman von John Kennedy Toole. Er muß in diesem Autor einen Seelenverwandten gespürt haben, und zu recht: ungeachtet der völlig unterschiedlichen Milieus vermitteln sich die Kindheitserfahrungen auf eine verblüffend universelle Weise. Doch im Unterschied zu den in England angesiedelten, anekdotisch reflektierten Erinnerungssplittern fällt die amerikanische Variante wesentlich bitterer, unversöhnlicher und auch auswegloser aus. Waren die Schilderungen aus England trotz aller Härten noch immer liebens- und lebenswert formuliert und angefüllt von gebrochener Melancholie, erscheinen die Südstaaten der USA nun ausschließlich als moralisch verwüstetes Feld, dessen Verletzungen im Protagonisten irreversible Prägungen hinterlassen. Wie in den sarkastischen Romanen Jim Thompsons bieten derartige Schauplätze nur Raum für Tod und Vernichtung: Auswege bieten sich höchstens in kopfloser Flucht, nicht im befreienden Aufbruch.

David ist zehn Jahre alt, als mit Tante Mae ein Hauch von großer, weiter Welt in die Kleinstadt fährt, in der er bis dahin im biederen Gleichmut seines Elternhauses gelebt hat. Das Anderssein der gescheiterten Nachtclub-Sängerin Mae zeigt sehr schnell die engen Grenzen des Gemeinwesens auf: wer hier anders ist, muß wegziehen, d. h. wer bleiben will, hat sich anzupassen. David fühlt sich von der Tante angezogen, zwischen den beiden entwickelt sich eine allgemein beargwöhnte Beziehung. Die liebevolle, doch latent neurotische Mutter und der gefühlsarme Vater (er zeigt seinem Kind schon mal die lodernden Scheiterhaufen des Ku-Klux-Klan) spüren die eigenen emotionalen Defizite. Zu den internen Konflikten gesellen sich zudem äußere wie die Wirtschaftskrise und der Zweite Weltkrieg. Davids Vater fällt in Italien, seine Mutter verfällt dem Wahnsinn. Als auch noch Mae das Kaff Richtung Nashville verlassen will, eskalieren die Ereignisse.

"The Neon Bible" ist ein im mehrfachen Sinne des Wortes düsterer Film. Fast alle Szenen finden in abgedunkelten Räumen oder nachts statt. Winzige Glücksmomente entsprechen den raren, großzügig ausgeleuchteten Augenblicken. Dabei kreist die Kamera rastlos, entwirft vertikale und horizontale Perspektiven auf einen Mikrokosmos, dessen Ausweglosigkeit konsequent vermessen wird. Das sonst nach Raum greifende CinemaScope-Format schafft hier nichts als Enge. Klaustrophobie heißt das Programm; alle Protagonisten sitzen in der eigenen Falle, die nach außen hin jedoch als Festung verteidigt wird. Grandios dabei in der Darstellung dieses Scheiterns die John-Cassavetes-Muse Gena Rowlands: sie vermag ihrer Rolle von Beginn an jenen Fatalismus zu verleihen, der letztlich den ganzen Film prägt.
Kommentar verfassen

Kommentieren