La Seconda Volta

- | Italien 1996 | 85 Minuten

Regie: Mimmo Calopresti

Ein Turiner Wirtschaftsprofessor erkennt zufällig eine Frau wieder, die ihn vor 12 Jahren aus politischen Gründen ermorden wollte und jetzt wegen guter Führung in den Genuss eines "offenen Strafvollzugs" kommt. In zögerlichen Schritten beginnt ein schmerzvoller Prozess der gegenseitigen Annäherung. Ein mit Charme und Intelligenz gestalteter Erstlingsfilm, der sein komplexes Thema glaubwürdig bewältigt. Genau in der Beschreibung des sozialen Umfelds und hervorragend gespielt, besitzt der Film ein hohes Maß an Intensität und menschlicher Wärme. (O.m.d.U.) - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
LA SECONDA VOLTA
Produktionsland
Italien
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
Sacher Film/Banfilm/La Sept Cinema
Regie
Mimmo Calopresti
Buch
Heidrun Schleef · Francesco Bruni · Mimmo Calopresti
Kamera
Alessandro Pesci
Musik
Franco Piersanti
Schnitt
Claudio Cormio
Darsteller
Nanni Moretti (Alberto) · Valeria Bruni-Tedeschi (Lisa) · Valeria Milillo (Francesca) · Roberto de Francesco (Enrico) · Marina Confalone
Länge
85 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
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Diskussion
Vor allem aus dem romanischen Sprachraum erreichen uns immer wieder Filme, die sich mit scheinbarer Leichtigkeit komplexer Themen annehmen und auf geradezu wundersame Weise ihren Stoff bewältigen. Daß sie dabei weder oberflächlich werden noch ihre Sinnsuche bedeutungsschwer ausstellen, stimmt fast wehmütig - vergegenwärtigt man sich die hiesige Filmlandschaft. "La Seconda Volta" z. B. nimmt sich der Wunden an, die politischer Terrorismus bei Opfern wie Tätern hinterlassen hat, beschreibt schmerzhafte Versuche gegenseitiger Annäherung. Ein Thema, das in Deutschland ebenso akut ist und nach künstlerischer Bearbeitung schreit - doch bleibt es schwer vorstellbar, daß hier ein solches Unterfangen gelingen könnte.

Alberto ist Wirtschaftsprofessor in Turin; während der Mittagspause erkennt er in Lisa die Frau wieder, die vor 12 Jahren versucht hatte, ihn aus politischen Gründen umzubringen. Wegen guter Führung kommt sie zu den Vorzügen des "offenen Vollzugs", kann tagsüber einer Bürotätigkeit nachgehen. Die Begegnung schockiert Alberto, das noch in seinem Kopf befindliche Projektil löst neue Schmerzen aus. Ihn drängt es, weitere Begegnungen herbeizuführen - aus Gründen, die er selbst nicht artikulieren kann. Lisa indes erkennt den Mann nicht wieder, deutet sein Gebaren als schlichte Annäherungsversuche und ist sogar geschmeichelt dabei. Nach seiner Offenbarung reagiert sie zunächst stark abweisend, verschließt sich völlig, wagt aber zuletzt selbst einige Schritte auf ihr ehemaliges Opfer zu.

Was hier in wenigen Zeilen umrissen wurde, gibt nur die Eckpunkte des Plots wieder. Wenn man sich aber ein wenig näher ansieht, wie diese Geschichte entwickelt wird, offenbaren sich einige Momente jener Methode, die Charme und Intelligenz des Films ausmachen. Ganz behutsam werden die beiden Hauptfiguren eingeführt: puzzleartig setzt sich zunächst Albertos Identität zusammen, später, mittels der guten alten Parallelmontage, die von Lisa. Was beide verbindet, wird erst nach und nach klar. So wähnt sich der Zuschauer zunächst tatsächlich in einer Beziehungsgeschichte, er erfährt die wirklichen Hintergründe eher als Lisa, ist ihr gegenüber lange im Wissensvorteil (Suspense-Effekt). Nach dem beiderseitigen Erkennen der Hauptfiguren ist die Exposition abgeschlossen und die Handlung angeschoben, diese kann sich nun in jede denkbare Richtung entwickeln. Regie-Debütant Calopresti verbindet Kenntnis dramaturgischer Gesetzmäßigkeiten mit glaubwürdiger Liebe zu den Protagonisten. Auf Rückblenden kann er ebenso verzichten wie auf die mögliche Versöhnung zwischen Täter und Opfer. Ihr Kontakt reißt Ahnungen auf, ohne daß es nötig wäre, eine der Varianten durchzuspielen. Hinzu kommen Genauigkeit bei der Schilderung des sozialen Umfelds und natürlich hervorragende schauspielerische Leistungen. Die unprätentiöse Valeria Bruni-Tedeschi und der souveräne Nanni Moretti verleihen dem Film Intensität und Wärme, die sich dann doch nicht rein theoretisch erklären lassen. Moretti, Filmkritiker, Schauspieler, Regisseur und Kinobetreiber, war seit seinem vielgelobten "Liebes Tagebuch" (1993) nicht mehr auf der Leinwand zu sehen; er fungiert bei "La Seconda Volta" (was soviel wie "Die zweite Runde" bedeutet) auch als Produzent. Ein kleiner, ein großartiger Film.

P. S. Es ist zu befürchten, daß hierzulande die umgedrehte Verfahrensweise praktiziert werden würde: das Kolossalthema Terrorismus als alles dominierendes Betroffenheitsdiktat, die schicksalhafte Begegnung als Startschuß der Handlung, die Hauptpersonen letztlich als Bausteine in einer von vornherein feststehenden Anordnung. Natürlich ist es müßig, über nicht existierende Filme zu spekulieren - daß das Thema in Deutschland brachliegt, spricht hinreichend für sich.
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