The Addiction

Horror | USA 1994 | 84 Minuten

Regie: Abel Ferrara

Eine Philosophiestudentin wird von einem weiblichen Vampir gebissen und verspürt danach einen unstillbaren Blutdurst, der sie dazu zwingt, sich immer neue Opfer zu suchen. Abel Ferraras Variation der Muster des Vampirfilms benutzt die Metapher des Vampirismus, um die Fragen nach der Natur des Bösen im Menschen und der Erlösung durch die Gnade Gottes zu behandeln. Ein beklemmender, in mancher Hinsicht verstörender, in atemberaubenden Schwarz-Weiß-Bildern inszenierter Film, der den Zuschauer in einem Zwiespalt zwischen Abscheu und Faszination zu bannen weiß und Anstöße zu einer tieferen Auseinandersetzung mit theologischen Fragen gibt. (O.m.d.U.; Videotitel: "Abel Ferrara's The Addiction") - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
THE ADDICTION
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1994
Produktionsfirma
Fast Films
Regie
Abel Ferrara
Buch
Nicholas St. John
Kamera
Ken Kelsch
Musik
Joe Delia
Schnitt
Mayin Lo
Darsteller
Lili Taylor (Kathleen Conklin) · Christopher Walken (Peina) · Annabella Sciorra (Vampir) · Edie Falco (Jean) · Paul Calderon (Dozent)
Länge
84 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Horror
Externe Links
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Diskussion
Schwarz-weiße Fotos vom My-Lai-Massaker, eine der schrecklichsten Episoden des Vietnam-Krieges, werden im Rahmen eines Dia-Vortrags vorgeführt. Die nüchterne Stimme eines Kommentators faßt die Ereignisse zusammen und weist auf die Bestrafung der Schuldigen hin: Dem Gerechtigkeitssinn einer aufgewühlten Gesellschaft wurde vorübergehend Genüge getan. Kathleen Conklin, eine junge Philosophie-Studentin, die sich in ihrem Dissertationsprojekt mit der Frage nach der Natur des Bösen beschäftigt, sitzt im Auditorium. Für sie ist die Frage der Schuld nicht so eindeutig gelöst. Mit ihrer Kommilitonin Jean diskutiert sie nach dem Vortrag heftig: War der Verurteilte nicht nur ein Sündenbock, sei nicht vielmehr die ganze Gesellschaft schuldig, wenn man an all die über Vietnam abgeworfenen Bomben und die dadurch getöteten Menschen denke? Als Kathleen abends auf dem Nachhauseweg allein durch die Straßen geht, taucht hinter ihr eine Frau im eleganten schwarzen Abendkleid auf. Urplötzlich reißt die Fremde sie mit Gewalt in eine dunkle Ecke zwischen zwei Häusern. Kathleen ist wie gelähmt. Die Frau bedrängt sie: Sag mir, daß ich weggehen soll. Dann beugt sie sich über Kathleen und beißt sie in den Hals, um ihr Blut auszusaugen. Warte ab, was passieren wird, sagt sie ihrem Opfer, bevor sie in der Nacht verschwindet. Die Wunde des Vampirbisses verheilt, aber die Folgen werden immer deutlicher. Kathleen verspürt einen unstillbaren Blutdurst. Sie ist selbst zum Vampir geworden und sucht ständig neue Opfer, ihren Philosophiedozenten, Studienkolleginnen oder Männer, die sie auf der Straße überfällt. Die Auseinandersetzung mit ihrer Sucht konfrontiert sie gleichzeitg mit der Frage nach der Natur des Bösen, das sie in sich verspürt. In einer nächtlichen Begegnung mit Peina, dem Großmeister der Vampire, erfährt sie die Ausweglosigkeit ihrer Situation. Das Böse ist ewig, macht ihr Peina deutlich. Mit den ihr von Peina vermittelten Erkenntnissen gelingt es Kathleen, ihre Doktorarbeit zum Abschluß zu bringen und in der mündlichen Prüfung zu bestehen. Für ihre Freunde gibt sie eine Party, die sich zu einer wahren Blutorgie entwickelt, als Kathleen und die bereits von ihr früher gebissenen Freunde über die anderen Anwesenden herfallen. In Blut gebadet schleppt sich Kathleen mit letzter Kraft auf die Straße und fleht Passanten um Hilfe an. Man bringt sie in eine Krankenhaus, wo sie nur noch den Wunsch äußert, man möge sie sterben lassen. Die Vampirfrau, die sie überfallen hat, erscheint ihr und verkündet ihr, sie sei im siebten Kreis der Hölle. Aber ihr folgt der Krankenhausseelsorger, bei dem Kathleen beichtet und die Kommunion empfängt, um danach erlöst zu sterben. Ihr Grabstein trägt als Inschrift die Worte Jesu "Ich bin die Auferstehung".

Die Filme, die Abel Ferrara mit seinem Drehbuchautor Nicholas St. John zusammen realisiert hat, gehören unzweifelhaft zu den spannendsten Versuchen im modernen Kino, religiöse Fragen zu thematisieren. Aus der Variation von Motiven des Vampirfilms, der im heutigen New York angesiedelt ist, und mit der Blutorgie als Finale die Dimensionen eines "splatter movie" erreicht, verbinden St. John und Ferrara die Reflexion über die Natur des Bösen im Menschen und spannen dabei den Bogen von der alltäglichen Gewalt auf den Straßen bis zu historischen Greueltaten, für die stellvertretend das My-Lai-Massaker im Vietnamkrieg und die Vernichtung der Juden unter Adolf Hitler stehen. Der Vampirismus dient als Metapher, die Sucht nach Blut steht für die im Menschen angelegte Sucht nach dem Bösen. Mitunter wirkt die Einbringung der Ebene der philosophisch-theologischen Reflexion etwas konstruiert, wenn immer wieder Zitate und Namen fallen (Santayana, Kierkegaard, Heidegger, Sartre usw.), was immerhin dadurch begründet ist, daß sich die Hauptfigur während der Arbeit an der Dissertation in dieser Gedankenwelt bewegt. Ferrara bietet jedoch alles andere als eine trockene philosophische Reflexion. Die Bilder brennen sich in das Bewußtsein des Zuschauers ein und sind dazu angetan, verstörende Wirkungen zwischen Abscheu und Faszination auszulösen. Sein Kameramann Ken Kelsch setzt in atemberaubenden Schwarz-Weiß-Bildern die Atmosphäre der Ausweglosigkeit und Bedrohung um: mitunter sind nur wenige Details im alles verschlingenden Schwarz sichtbar, immer wieder zeichnen sich auf den Wänden und Gesichtern bedrohliche Schatten ab, das schwarze Blut wirkt noch nachhaltiger als es die üblichen "splatter"-0rgien in Rot können. Auch auf der Tonebene arbeitet Ferrara äußerst sorgfältig, er nutzt Momente beklemmender Stille ebenso wie bedrohliche Geräuschkulissen und setzt gezielt die Musiktitel in vorwiegend kommentierender Funktion ein. Ferrara zeigt die Allgegenwart der Gewalt und eine Atmosphäre der Ausweglosigkeit, die Kathleens Einsicht, das Böse sei ewig und der Kern der menschlichen Natur ins Bild umsetzt.

Dies ist aber nicht das letzte Wort, denn der Film endet mit der Erlösung des Menschen aus dem Teufelskreis der Gewalt durch die Gnade Gottes. Diese Erlösung mag auf den ersten Blick aufgesetzt wirken: Während die Vampirfrau das Krankenhaus verläßt, kommt ihr der Pfarrer - gespielt von einem echten Geistlichen - entgegen und besiegelt mit der Absolution und Kommunion die Erlösung. Dieses Ende überrascht nicht, wenn man die anderen Filme von Ferrara und St. John in Erinnerung hat und wird auch im Film selbst durch einige Hinweise auf Gott vorbereitet. Daß Ferrara seinen Film mit dem Bild der Grabstelle und der Inschrift "Ich bin die Auferstehung" und dem Blick auf das große Friedhofskreuz beendet, ist überraschend eindeutig und hat eine ähnliche Wirkung wie die Schlußeinstellung von Bressons "Tagebuch eines Landpfarrers". Ferraras Film ist keine leichte Kost, es lohnt sich aber, sich intensiver mit diesem ungewöhnlichen Film auseinanderzusetzen.
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