Ridicule - Von der Lächerlichkeit des Scheins

- | Frankreich 1996 | 102 Minuten

Regie: Patrice Leconte

Ein junger Landadeliger kommt 1780 an den Hof von Versailles, um Hilfe für die Drainage eines todbringenden Sumpfgebietes zu erbitten. Um König Louis XVI. für sein Anliegen zu gewinnen, unterwirft er sich den Regeln des dekadenten Hofes, wo sich Höflinge und Mätressen mit scharfzüngigen Reden lächerlich zu machen versuchen. Eine funkelnde historische Satire, die eine kritische Analyse des "bel esprit" mit opulenten Bildern verbindet, den historischen Abstand aber wahrt und soziale Verhaltensweisen erkenntnisstiftend zu entschlüsseln versucht. Ein kraftvolles, intelligentes Zeit- und Sittengemälde, das die Anatomie einer auf den schönen Schein gegründeten Gesellschaft enthüllt. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
RIDICULE
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
Epithète/Cinéa/France 3/CNC/Canal+/Investimage 4/Procirep/Gras Savoye
Regie
Patrice Leconte
Buch
Rémi Waterhouse
Kamera
Thierry Arbogast
Musik
Antoine Duhamel
Schnitt
Joëlle Hache
Darsteller
Charles Berling (Ponceludon de Malavoy) · Jean Rochefort (Marquis de Bellegarde) · Fanny Ardant (Madame de Blayac) · Judith Godrèche (Mathilde de Bellegarde) · Bernard Giraudeau (Abbé de Vilecourt)
Länge
102 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
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Diskussion
Warum der Ausdruck "Esprit", Inbegriff französischer Geistigkeit, als unübersetzbares Fremdwort in andere Sprachen Eingang gefunden hat, ist nach Patrice Lecontes funkelnder Historiensatire über den Hof von Versailles kein Rätsel mehr. Das geschliffene Amüsement mit geistreichen Bonmots und scharf-züngigen Repliken entstammt einer Gesellschaft, in der weder Titel noch Pfründe, sondern vorrangig der Ruf, wie er in den höfischen Salons erworben wurde, über Ansehen und Würde entschied. Daß es sich bei dieser Welt um eine durch und durch künstliche handelte, die jeden Bezug zur zeitgenössischen Wirklichkeit längst verloren hatte und von der Revolution mit einem Handstreich weggefegt wurde, tat dem keinen Abbruch. So wenig wie die Verhältnisse, aus denen das deutsche Wort "Schadenfreude" oder das englische "Humor" als Fremdwörter adaptiert wurden. Der Glanz des wortgewandten Parlierens, die Kunst geistreicher Anspielungen und schlagfertiger Sottisen aber war nie Selbstzweck, sondern Resultat einer kulturellen Organisation, die sich im Sog des Absolutismus herausbildete: Inmitten der adeligen Müßiggänger, die ihrer politischen Funktion beraubt relativ gelangweilt um den König kreisten, diente Konversation nicht nur zum Zeitvertreib, sondern wandelte sich zum Kampfplatz, auf dem um Gunst, Rang und Eitelkeit gefochten wurde. Ein gewitztes Wort am rechten Platz erregte Aufsehen, scharfsinnige Apercus beschleunigten den Aufstieg. Wer hingegen eine Pointe verpatzte oder eine verbale Attacke nicht parieren konnte, beschwor die Gefahr herauf, zum Gegenstand von Spott und Gelächter zu werden, sich "ridicule", lächerlich zu machen, was im Extremfall das gesellschaftliche Aus nach sich ziehen konnte.

Als Grégoire Ponceludon de Malavoy, ein junger Landadeliger, 1780 nach Versailles aufbricht, hofft er, durch "Vernunft und Mitgefühl" die finanzielle Unterstützung Louis XVI. zu gewinnen, um die todbringenden Sumpfgebiete an der Dombe trockenzulegen. In den Vorzimmern der Macht aber warten Hunderte von Bittstellern, stapeln sich Tausende von Eingaben und Gesuchen, die niemals ihren Adressaten erreichen. Der Mann aus der Provinz läuft gegen eine Mauer aus Ignoranz und Borniertheit, bis ihn ein Mentor unter die Fittiche nimmt. Der Marquis de Bellegarde genießt das flirrende Leben der Salons, hält als Freigeist und Leser Rousseaus aber zugleich Abstand. Mit seiner Hilfe gelingt es Ponceludon, sich im Gewirr der Ränke und Intrigen zurechtzufinden und sich durch Geistesgegenwart und Selbstsicherheit Anerkennung zu verschaffen. Aber auch mächtige Feinde, unter ihnen Abt de Vilecourt und Madame de Blayac, eine ebenso verführerische wie einflußreiche Kurtisane. Ponceludon, der nach Versailles kam, weil ihm seine Untergebenen am Herzen liegen, findet zunehmend Gefallen am affektierten Treiben. Aber auch an Mathilde, de Bellegardes eigenwilliger Tochter, die mit einer Art Taucheranzug experimentiert und zur Finanzierung ihrer naturwissenschaftlichen Studien einen reichen Adeligen heiraten will. Ein Weg in die unmittelbare Nähe Louis XVI. öffnet sich aber erst, als Madame de Blayac die Fronten wechselt und Ponceludon in ihr Bett holt. Im Zwiespalt seiner Gefühle, das Ziel zum Greifen nahe, entscheidet sich der junge Adelige, mit offenen Karten zu spielen: Ein Vorhaben, das einem öffentlichen Selbstmord nahe kommt.

Was es für Menschen des 18. Jahrhunderts bedeutet haben muß, zum Gespött der höfischen Gesellschaft zu werden, ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Zwar kennt jeder Gefühle von Peinlichkeit bis zur Blamage, doch würde deswegen niemand seine angestammte Welt verlassen oder nach Amerika auswandern. Wenn Patrice Leconte seine brillante Analyse des "bel esprit" mit einer drastischen Szene eröffnet, in der einer nach Jahrzehnten bittere Rache nimmt, weil er einst dem Gelächter ausgesetzt wurde, will dies mit seiner unruhigen Exzentrizität den Unterschied markieren, der nicht aufgehoben werden kann. In der zweiten Sequenz sieht man eine Frau, die von oben bis unten mit mehligem Puder bestäubt wird: Fanny Ardant als eben verwitwete Madame de Blayac, wie sich später erschließt, bei den Vorbereitungen, Trauer zu tragen. Es sind dies Zeichen ohne Erläuterungen, die den Ton anschlagen, mit dem Leconte vom Ende des "ancien regime" erzählt: Von einer fremden Zeit, deren soziale Codes und Verhaltensregeln kognitiv, nicht emotional zu entschlüsseln sind, wenn sie uns etwas sagen sollen. Im Zentrum dieser "Relecture" steht deshalb nicht von ungefähr die Verwandlung des Provinzlers in einen Höfling, der unter der Leitung seines Proteges mühsam lernt, beim Lachen nicht die Zähne zu zeigen, im verbalen Schlagabtausch Ruhe und immer einen Trumpf in der Hinterhand zu behalten, elegant zu tänzeln und Intrigen richtig einzufädeln. Die Anstrengungen, ein gute Figur zu machen, entsprechen der Gnadenlosigkeit der höfischen Sphäre, eine glanzvolle Bühne voller galanter, intelligenter Figuren, die nur darauf warten, bis einer sich eine Blöße gibt. Hinter dem funkelnden Esprit deckt der Film eine unerbittliche Mechanik auf: aus Angst, selbst lächerlich gemacht zu werden, muß die eigene Schlagfertigkeit stets auf Kosten anderer demonstriert werden.

Das Ergebnis von Lecontes semiotischer Methode inspiriert und fasziniert, weil der Regisseur nicht unter die Historiker gefallen, sondern seinem Handwerk, dem Bildermachen, treu geblieben ist. Opulente Szenerien und feine Dekors fügen sich zu dezent ausgeleuchteten Rokoko-Innenräumen, königliche Gärten und Wasserspiele bezeugen den Primat des Geometrischen, in Mathildes grünen Gefilden wuchern Efeu und Eichen nach der Maxime "Zurück zur Natur". Selbst mit den Spuren der Dekadenz weiß Leconte sparsam umzugehen: Keine Gelage, keine Ausschweifungen, kaum Sex, weil die wirkliche Abirrung des Denkens im Realitätsverlust des Hofes besteht, der dem Volk Kuchen geben will, wenn kein Brot vorhanden ist. Durch dezente Aktualisierung in Ausstattung, Licht und Farbgebung vermeidet Leconte museale Effekte, öffnet er eine Tür in vergangene Zeiten, ohne dem Historismus zu huldigen noch die Vergangenheit als bloße Staffage zu mißbrauchen. Die Liebesgeschichte zwischen Ponceludon und Mathilde gerät dabei mitunter etwas allzu nahe an die Gegenwart, doch ansonsten wahrt der Film eine bemerkenswerte Balance, die es dem Zuschauer überdies erlaubt, im Schlagabtausch der Doppeldeutigkeiten seinen eigenen Fährten zu folgen. Um die subtilen Zwischentöne der Dialoge auch in der Synchronisation zu wahren, wurde Hans Magnus Enzensberger mit der Übersetzung beauftragt, was auch die lange Verzögerung zwischen der Uraufführung in Cannes 1996 und dem deutschen Verleihstart erklärt: Enzensbergers handschriftliches Manuskript ging bei einem Unfall in Flammen auf und mußte ein zweites Mal angefertigt werden. Die Kraft und Konzentration, die Lecontes Film ausstrahlt, resultieren aber auch aus seiner Konsequenz, mit der er die Anatomie einer auf den schönen Schein gegründeten Gesellschaft aufdeckt: Die gnadenlosen Larven des Esprit und seiner Abkömmlinge sind zur zweiten Haut geworden, zur eigentlichen Existenzform, hinter denen es kein wahres Gesicht mehr gibt. Madame de Blayac ist eine alte Frau, ein ausgebranntes, leeres Wrack, wenn ihr in der letzten Einstellung die Maske aus der Hand fällt: Eine, die alles verloren hat, das Spiegelbild ihrer Epoche.
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