Jenseits des Krieges

Dokumentarfilm | Österreich 1996 | 117 Minuten

Regie: Ruth Beckermann

Dokumentarfilm, der Besucher während der Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" im Herbst 1995 in Wien beobachtet, ihre Gespräche belauscht, sich von Zeit zu Zeit in die Diskussionen einmischt und einige zu ihren Erinnerungen befragt. Dabei geht es letztlich weniger um die Kriegsverbrechen von einst als um den - oft disparaten - heutigen Umgang mit dieser Vergangenheit. So ist eher ein Gegenwarts- als ein Geschichtsfilm entstanden, der dank seines konsequent durchgehaltenen Konzepts stets spannungsvoll ist und zum Nachdenken herausfordert. - Ab 14 möglich.
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Filmdaten

Produktionsland
Österreich
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
Josef Aichholzer Filmproduktion
Regie
Ruth Beckermann
Buch
Ruth Beckermann
Kamera
Peter Roehsler
Schnitt
Gertraud Luschützky
Länge
117 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14 möglich.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Ein karger, weißgekachelter, von kaltem Neonlicht erhellter Raum, in dem sich Menschen - die meisten von ihnen ältere Männer - vor Fotos und Schrift-tafeln drängen. Einige schweigend, andere in kleinen Gruppen, teils heftig diskutierend. Der Raum gehört zur "Alpenmilchzentrale" in Wien, die Menschen sind Besucher der vom Hamburger Institut: für Sozialforschung initiierten Wanderausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944", die im Herbst 1995 in Wien zu sehen war. Die Dokumentarfilmerin Ruth Beckermann hat während dieser Zeit die Besucher mit der Kamera beobachtet, ihre Gespräche belauscht, sich hie und da mit Fragen in die Diskussionen eingemischt und an einem Tisch im selben Raum einige von ihnen einzeln zu ihren persönlichen Erinnerungen befragt. Denn viele der Ausstellungsbesucher, so stellt sich bald heraus, waren nach der Annektion Österreichs als Soldaten der Wehrmacht selbst an dem Rußlandfeldzug beteiligt.

Angesichts der Exponate, die dokumentieren, daß seinerzeit nicht nur die SS oder irgendwelche Spezialkommandos, sondern auch viele "einfache" Soldaten der Wehrmacht an Greueltaten beteiligt waren, zeigen sie die unterschiedlichsten Reaktionen. Sie reichen von sichtlicher Erschütterung, Hilflosigkeit, Scham und dem Eingeständnis von Mitschuld über Allgemeinplatze ("Krieg ist immer grausam") bis zur Nivellierung der dokumentierten Verbrechen durch den Vorwurf der Einseitigkeit. Schließlich seien doch auch die Russen mit ihren Gefangenen nicht gerade zimperlich umgegangen. Natürlich fehlt auch hier die Berufung auf den "Befehl von oben" nicht. "Am Anfang handelten wir aus Überzeugung, später auf Befehl", sagt einer, kaum ahnend, daß er damit eine prägnante Formulierung für die wundersame Verwandlung von überzeugten Tätern in - angesichts der immer deutlicher werdenden Aussichtslosigkeit des Krieges - bedauernswerte Opfer kreiert hat.

Wo Ruth Beckermann sich (aus dem Off) in Gespräche einschaltet, stellt sie im Prinzip immer dieselbe Frage: "Was haben sie selbst damals gesehen?" Eine Frage nach der Zeugenschaft. (Die nach der Täterschaft zu stellen, wäre wahrscheinlich auch müßig. Daß sich jemand in diesem Raum ausgerechnet vor einer Filmkamera dazu bekennen würde, ist mehr als unwahrscheinlich.). Einige berichten freimütig von ihren Beobachtungen, andere wollen nichts gesehen oder gar erst durch die Ausstellung erstmals von den Verbrechen erfahren haben. Aussagen, die der Film unkommentiert stehenläßt. (Zu beweisen oder zu widerlegen wären sie ohnehin nicht). So findet man sich als Zuschauer unwillkürlich in der Rolle eines Richters wieder, der zu entscheiden hat, wem er nun Glauben schenken soll oder nicht. Und bei der Verteilung der Sympathiewerte wird schnell deutlich, daß nicht alle "Seher", die da ein "Ja, so war's" herausbringen und ihre (indirekte) Mitschuld bekennen, die Glaubwürdigeren sind. Manchmal klingt da auch der opportunistische Wunsch durch, in aller Öffentlichkeit eine gute Figur zu machen oder den vermuteten Erwartungen des Filmteams zu entsprechen. Auf der anderen Seite klingt manches "Ich hab' davon wirklich nichts gewußt" glaubwürdiger als es einem als Zuschauer vielleicht selbst lieb wäre. Und zu dieser Beurteilung ist es unabdingbar, diese Menschen beim Reden zu sehen. So formal unspektakulär der Film ist, in Buchform wären diese Aussagen weniger als die Hälfte wert.

Ungefähr ab der Mitte des Films kommen neben den ehemaligen Wehrmachtsangehörigen auch andere Besucher der Ausstellung ins Spiel: einer, der damals in den Reihen der Roten Armee stand, ein anderer, der auf der Seite der Aliierten kämpfte, und mehrere Frauen, zumeist ältere, aber auch eine relativ junge, die beim Verlassen des Raums beinahe hysterisch ruft: "Mein Vater ist 1943 gefallen. Heute werden er und die ganze Wehrmacht als Mörder hingestellt. Ich kann das einfach nicht glauben. Da müßte ich mich ja selbst aufhängen." Nicht erst hier wird deutlich, daß es Ruth Beckermann eigentlich weniger um die Verbrechen von damals geht, sondern um den Umgang mit dieser Vergangenheit. Anders gesagt, um die Frage, was es für die Nachkriegsgeschichte bedeuten könnte, wenn eine Generation, die an deren Gestaltung maßgeblich beteiligt war, sich derart disparat zu den Greueltaten von einst verhält. So ist dies schließlich eher ein Gegenwarts-, denn ein Geschichtsfilm. Daß dieses Vorhaben auf spannende Art und Weise gelingt, liegt an dem konsequent durchgehaltenen Konzept, keinen Film über die Ausstellung zu machen. Weder gibt der Film eine kommentierte historische Einführung noch beschäftigt er sich explizit mit den Exponaten. (Sie sind allenfalls schemenhaft im Hintergrund zu sehen.) Die grundsätzliche Qualität dieses Konzepts wird nicht zuletzt an einer Stelle deutlich, wo Beckermann der Fehler unterläuft, argumentativ mitdiskutieren zu wollen. Es bleibt ein Ausrutscher. Hätte sie das den ganzen Film über gemacht, wäre das Ganze ein "politisch korrektes", aber unendlich langweiliges Gesinnungsdokument geworden. So aber ist der Beweis gelungen, daß man mit nichts als "talking heads" doch einen durchaus spannenden Film machen kann.
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