Nach Saison

Dokumentarfilm | Deutschland 1997 | 126 Minuten

Regie: Pepe Danquart

Dokumentarfilm, der ein vielschichtiges Kaleidoskop der bosnisch-kroatischen Stadt Mostar entwirft. Die fast entmutigend komplizierte Arbeit des EU-Administrators Hans Koschnick wird dabei ebenso umkreist wie eine Reihe konkreter Einzelschicksale. Durch die offene Struktur und die geschickte Wahl der Gesprächspartner gelingt es, das Thema von der anonymen Medienrealität zurück in eine menschliche Dimension zu holen. Das Material ist unaufdringlich arrangiert und dennoch reich an Metaphern. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1997
Produktionsfirma
arte/Quinte Filmprod./Blueberry/Goethe Institut
Regie
Pepe Danquart · Mirjam Quinte
Buch
Pepe Danquart · Mirjam Quinte
Kamera
Michael Hammon
Musik
Michel Seigner
Schnitt
Mona Bräuer
Länge
126 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Der Name der bosnisch-kroatischen Stadt Mostar gewinnt immer dann an Medienpräsenz, wenn der dortige Einigungsprozeß Rückschläge erfährt. Wie tief die gegenseitigen Verletzungen tatsächlich sind, und wie unendlich mühselig sich die Annäherung zwischen den Menschen der beiden Stadthälften vollzieht, hat der Administrator der EU Hans Koschnick zwei Jahre aus engster Nähe erlebt. Er hat diese Augiasaufgabe maßgeblich gestaltet. Miriam Quinte und Pepe Danquart legen mit "Nach Saison" nun ein Protokoll dieser Arbeit vor. Aber der Film ist kein huldigendes Hans-Koschnick-Porträt: er entwirft vielmehr ein vielschichtiges Kaleidoskop vom Hexenkessel konträrstrukturer Stimmungen, wechselt die Perspektiven und maßt sich vor allem nie an, ein Urteil fällen zu können.

Der Name der Stadt Mostar hat das Wort "Most" im Sprachstamm. Most heißt nichts anderes als Brücke. Eine aus dem 15. Jahrhundert stammende Brücke, die den bosnischen mit dem kroatischen Stadtteil verband und tausendfach als Ansichtskartenmotiv gedient hat, wurde in der heißen Phase des jugoslawischen Bürgerkriegs gesprengt. An ihrer Stelle findet sich heute eine provisorische Hängebrücke, die so schmal ist, daß sie nur in jeweils einer Richtung passiert werden kann - eine der vielen unaufdringlichen Metaphern aus Quintes/Danquarts filmischer Bestandsaufnahme. Immer dann, wenn die Montage Raum für Assoziationen läßt, wenn die Filmemacher der Stärke der eigenen Bilder vertrauen, gewinnt der Film ungemein. Man spürt den Kampf um das Material andererseits an vielen Stellen. Diese ehrgeizigen Versuche, die Fülle der visuellen Eindrücke durch den Einsatz von Musik und/oder Text zu strukturieren, gelingen weniger. So geraten die Einlassungen des im lauschigen Freiburg i.B. ansässigen Gewalt-Theoretikers Klaus Theweleit bestenfalls verfremdend. Und gelegentliche digitale Spielerein sind ebenso überflüssig wie die Dolby-Stereo-Abmischung. Aber es ist gerade das letztlich Fragmentarische, was "Nach Saison" zum unbedingt sehenswerten Kinostück macht. Seine offene Bauart macht das nötige Maß an Differenzierung möglich. Nicht im Draufblick wird das Terrain vermessen, sondern im direkten Gespräch mit Bewohnern Mostars. Geschickterweise wird die Palette an Interviewpartnern dabei nicht grenzenlos ausgeweitet, sondern konzentriert sich auf eine auch für den Zuschauer überschaubare Auswahl. Über die gesamte Filmdauer verteilt, begegnet die Kamera so immer wieder denselben Protagonisten, macht das Vergehen von Zeit greifbar, vermag aber vor allem, das kolossale Problem mit konkreter menschlicher Dimension zu versehen. Begegnungen unter anderem mit einem alten Schuhmacher, einer Großmutter mit fünf elternlosen Kindern und einem hypernervösen, noch ganz jungen Rundfunksprecher holen das Thema aus der abstrakten Tickeratmosphäre der Nachrichtenagenturen zurück ins konkret Menschliche. Und da ist dann doch wieder und zuallererst Hans Koschnick - Inkarnation eines vergessen geglaubten Typus des originellen, engagierten, authentischen, unprätentiösen, charismatischen und dabei menschlich-allzumenschlichen Politikers. Obwohl ihm explizit nur wenige Szenen gewidmet werden, schließt man diesen Zeitgenossen bis hin zur erfrischend-unmodischen Hornbrille ins Herz. Seine Mission war ja mit der Fast-Ermordung durch kroatischen Mob und der nachfolgenden Abreise aus Mostar eigentlich gescheitert. Nicht gescheitert aber ist sein von falscher Romantik völlig freies Utopieverständnis. Auch dieses Stück Optimismus vermag einem der Film trotz aller Bitternis noch auf den Weg zu geben.
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