Alle sagen: I love you

- | USA 1996 | 101 Minuten

Regie: Woody Allen

Geschichten um mehrere Generationen einer New Yorker Mittelklasse-Familie. Paare finden und verlieren sich, suchen nach Glück, Geborgenheit, Harmonie. Ein leichtgewichtiges Musical, bei dem die aus den 30er und 40er Jahren "geborgten" originalen Musiknummern dramaturgisch so eingesetzt sind, daß sie die Handlung vorantreiben. Ein verführerisch "schöner" Film, der mit einer Fülle nostalgisch-parodistischer Zitate aus mehreren Jahrzehnten Filmgeschichte aufwartet. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
EVERYONE SAYS: I LOVE YOU
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
Jan Doumanian Prod.
Regie
Woody Allen
Buch
Woody Allen
Kamera
Carlo Di Palma
Musik
Dick Hyman
Schnitt
Susan E. Morse
Darsteller
Julia Roberts (Von) · Drew Barrymore (Skylar) · Goldie Hawn (Steffie) · Natalie Portman (Laura) · Woody Allen (Joe)
Länge
101 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
VCL (1.66:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Natürlich hatte man von Woody Allen nach den Turbulenzen in seinem Privatleben, dem Streß um Ex-Frau und Adoptivtochter, dem Negativimage auf Grund der sensationslüsternen Boulevardpresse etwas anderes erwartet. Doch Allen tat niemandem den Gefallen, "Interiors anno 96' zu inszenieren. Er schuf ein märchenhaftes Musical, eine sanfte Flucht aus den bösen realen Beziehungskisten in den zauberischen Traum, in dem alles, jedenfalls das meiste, gut wird.

"Alle sagen: I love you" bebildert den Jahresablauf einer amerikansichen Mittelklasse-Familie. Der Film beginnt in New York, wandert dann nach Paris und Venedig und somit in die drei Lieblingsstädte des Regisseurs. Woody Allen spielt dabei mit Postkartenmotiven; seine Helden tummeln sich an bekannten Orten, die sowohl real sind als auch zu Trauminseln verfremdet. Das Ufer der Seine wirkt nicht minder "künstlich" arrangiert wie etwa in Vincente Minnellis "Ein Amerikaner in Paris" (1951), und wenn der erfolglose Buchautor Joe hier mit seiner Ex-Frau Steffie ausgerechnet am Weihnachtsabend einen Pas de deux tanzt, dann ist das nostalgisch und ironisch zugleich, ein zärtliches wie dezent parodistisches Zitat als Reverenz ans klassische Hollywood-Kino. Immerhin schweben die beiden noch ein paar Zentimeter höher und ein paar Sekunden länger durch die Luft als Ginger Rogers und Fred Astaire - wenn auch nur mit Hilfe der Tricktechnik.

Woody Allen wandelt kreuz und quer durch die Geschichte des Films, es gibt Anspielungen en masse - das eigene Werk und das von anderen Leuten betreffend. Natürlich sind die ersten Szenen, ein paar Bilder vom Metropolitan Museum oder vom Central Park, eine Reminiszenz an "Manhattan" (fd 22 160), nur diesmal in leuchtend schönen Frühlingsfarben anstatt des herben Schwarzweiß; vielleicht ein Signal für die zunehmende Sanftheit des einstigen Stadtneurotikers. Natürlich taucht das Motiv der Psychiatrie, das sich wie ein roter Faden durch das Oeuvre Aliens zieht, auch diesmal wieder auf, freilich spöttisch und distanziert: Joe erfährt von seiner Tochter Djuna, welche erotischen Wunschträume eine junge Frau ihrer Psychiaterin beichtet; Djuna hatte an der Wand gelauscht, und Joe nutzt dieses Wissen zum Sturmangriff auf die geheimnisvolle Unbekannte. Daß Woody Allen einmal an die Stelle von Richard Gere treten würde und "Pretty Woman" Julia Roberts verführen darf, gehört zu jenen schönen Überraschungen, die amerikanisches Kino hin und wieder doch noch zu bieten in der Lage ist.

Vor der Umarmung haben die beiden allerdings durch die verwinkelten Gassen und über die Brücken von Venedig zu joggen. Das Labyrinth der Lagunenstadt erweist sich für den liebeshungrigen Joe dabei als ähnlich albtraumhaft wie etwa für das junge Ehepaar in Paul Schraders "Der Trost von Fremden" (fd 28 602) - nur daß diesmal ein unblutiges und harmonisches Ende programmiert ist. Sogar der sich selbst karikierende Tim Roth ("Reservoir Dogs"; "Pulp Fiction") wird in den großen komödiantischen Reigen einbezogen - ein Panoptikum skurriler Gestalten, das der Regisseur spielerisch und niemals denunziatorisch zelebriert. Goldie Hawn etwa darf eine "liberale Demokratin" vorführen, die ihre Zeit damit verbringt, Spenden für Museen, Krankenhäuser oder eine Vereinigung "Rettet die Wale" zu sammeln. Daß ihr Sohn Scott zum "konservativen Republikaner" mutierte, bereitet ihr wie der gesamten Familie erheblichen Kummer - bis sich herausstellt, welche Ursache das politische Abseits des Sprößlings hat. Eine sarkastische Pointe.

Übrigens scheint selbst ein deutscher Film zitiert worden zu sein, falls Woody Allen ihn denn jemals zu Gesicht bekam: Die Geisterparty in der Aufbahrungshalle, in der der tote Großvater liegt, erinnert durchaus an die Tänze der Spukgestalten aus den "Spessart"-Grusicals von Kurt Hoffmann. Wenn sich die New Yorker Familie aber am Schluß in Paris trifft, im Palais Chaillot, wo die Cinémathèque Française untergebracht war, um dort, beim großen Finale, mit Groucho-Marx-Bart und - Zigarre zu posieren, ist ganz offensichtlich, vor wem sich Woody Allen am tiefsten verbeugt.

Aus den Arbeiten der Marx-Brothers bezieht "Alle sagen: I love you" die Lust am und die Liebe zum Chaos. Nicht zuletzt sind einige der schönsten Choreographien dieser Zuneigung geschuldet. Exzellent etwa die Sequenz im Juwelierladen, in der sich Dutzende Angestellte um die Wünsche des jungen Bräutigams Holden kümmern. Den Verlobungsring, den er erwirbt, versteckt er freilich leider in einem Sahnedessert, so daß das teure Stück statt auf dem Finger im Magen der angebeteten Skylar landet. So beginnt der Film, und nicht minder turbulent setzt er sich fort: mit einer exzentrischen Szene in einem Operationssaal des städtischen Krankenhauses oder dem Versuch des Ex-Sträflings, Skylar zu becircen, um dann mit ihrer Hilfe einen einstigen Mitgefangenen aus dem Knast zu holen. Die Songs, die Woody Allen aus den 30er und 40er Jahren in die Handlung transplantiert, unterbrechen die Geschichten nicht, sondern treiben sie voran, unterstreichen die Atmosphäre des jeweiligen Moments. Daß man in "Alle sagen: I love you" sogar Julia Roberts und Tim Roth singen hört und sieht, gehört trotz oder gerade wegen mancher fragilen oder gar schiefen Töne zu den besonderen Finessen.

Und worum geht es nun eigentlich? Um nichts weniger als um die Liebe. Um Paare, die sich finden und verlieren, um kleine und große Umwege zum Glück, um Träume und Hoffnungen, Irrtümer und die immerwährende Sehnsucht nach Harmonie. Woody Allens Film, mit einem großen Figurenensemble, das durch eine Off-Erzählerin (Joes Tochter Djuna) zusammengehalten wird, ist wie ein großer, bunter, wunderbar schillernder Luftballon. Sticht man hinein, bleibt wenig übrig. Doch solang er schwebt, leicht und elegant, blickt man ihm amüsiert und erfreut zu.
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