- | Großbritannien/Deutschland/Spanien 1996 | 125 Minuten

Regie: Ken Loach

Ein Busfahrer verliebt sich Ende der 80er Jahre in Glasgow in eine nicaraguanische Tänzerin, die auf Grund von traumatischen Erlebnissen nach Schottland geflohen ist. Nach einem Selbstmordversuch motiviert er sie, sich ihrer Vergangenheit zu stellen. Gemeinsam reisen sie nach Nicaragua, wo die Contras mit einem grausamen Guerillakrieg die Zivilbevölkerung terrorisieren. Die ungewöhnlich selbstlose Liebesgeschichte ist einem realistischen Kino verpflichtet und vermittelt durch einen dokumentarischen Stil Nähe und Authentizität. Trotz politisch motivierter Parteinahme für die Sache der Sandinisten und einiger Einseitigkeiten ist der Film ein überzeugendes Beispiel für die filmische Thematisierung der verwandelnden Kraft der Liebe. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
CARLA'S SONG
Produktionsland
Großbritannien/Deutschland/Spanien
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
Parallax Pictures/Road Movie Dritte/Tornasol
Regie
Ken Loach
Buch
Paul Laverty
Kamera
Barry Ackroyd
Musik
George Fenton
Schnitt
Jonathan Morris
Darsteller
Robert Carlyle (George) · Olyanka Cabezas (Carla) · Scott Glenn (Bradley) · Salvador Espinosa (Rafel) · Louise Goodall (Maureen)
Länge
125 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Heimkino

Die Erstauflage der DVD (2005) ist nur innerhalb der Box "Ken Loach Sammler Edition" erschienen.

Verleih DVD
epix (16:9, 1.66:1, DD2.0 engl./dt.)
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Diskussion
Die Konsequenz, mit der Ken Loach seinem filmischen Ethos eines sozial und politisch engagierten Kinos verpflichtet ist, sucht selbst unter den an "Realisten" nicht armen britischen Regisseuren seinesgleichen. Kompromißloser als die jungen Filmemacher, radikaler noch als Mike Leigh, verfolgt der 1936 geborene Engländer seine Vision eines filmischen Blicks, der weder vor der Wirklichkeit die Augen niederschlägt noch sich vom jeweiligen Zeitgeist blenden läßt. Zwei Jahre nach "Land and Freedom" (fd 31 553), seiner Annäherung an den Spanischen Bürgerkrieg, greift Loach erneut ein Thema auf, das schon lange aus den Schlagzeilen verschwunden ist: Nicaragua und das Schicksal der sandinistischen Revolution. Und wieder gelingt es ihm scheinbar spielerisch, den historisch-geografischen Graben einzuebnen und das Schicksal von Menschen greifbar zu machen, die weder als Kinohelden geboren wurden noch ein Leben führen, das jemals das Interesse der Öffentlichkeit gefunden hätte.

Der Film spielt Ende der 80er Jahre, als die Sandinisten die erste frei gewählte Regierung stellten, der Norden des Landes aber von den Contras mit einem grausamen Guerillakrieg überzogen wurde. Seinen Ausgang aber nimmt er in den engen Gassen Glasgows, durch die ein junger Busfahrer seinen Doppeldecker steuert. George ist ein impulsiver, aufgeweckter Bursche, der sich mit seinen Vorgesetzten ständig kleine Gefechte liefert, in einer gesichtslosen Betonbausiedlung wohnt und von seiner Geliebten zur Heirat gedrängt wird. Als er bei einer Kontrolle einer dunkelhäutigen Schwarzfahrerin beim Entwischen hilft, wird er abgemahnt, was ihn nicht daran hindert, einige Tage später alle Fahrgäste vor die Tür zu setzen, um sein Gefährt kurzerhand als eine Art Privattaxi zu gebrauchen. Die Stippvisite mit Caria, wie die Fremde ohne Fahrschein heißt, endet im schottischen Hochmoor, wo der Bus im Morast steckenbleibt. Wie Loach die schwierige Annäherung zwischen dem neugierigen Schotten und der verschlossenen, kaum Englisch sprechenden Tänzerin aus Nicaragua in Bilder umsetzt, ist um so bemerkenswerter, weil er seinen dokumentarischen Stil auch in der Schilderung der zögerlichen Liebesgeschichte beibehält. Die traumatischen Erlebnisse, die Caria in den naßkalten Norden Englands flüchten ließen, und die in der Begegnung mit George wieder so virulent werden, daß sie einen Selbstmordversuch unternimmt, laufen nie Gefahr, wie Kintopp zu wirken. Und auch die Reaktionen des gefeuerten George, der zwischen Fürsorge, Begehren und Hilflosigkeit schwankt, gewinnen ein so menschliches Maß, daß jede Anleihe beim "bigger than life" kindisch erscheinen würde.

Erst als George ihr beim Liebesspiel das T-Shirt vom Körper streift und angesichts ihres von Narben zerfurchten Rückens vor Entsetzen zurückfährt, dämmert ihm, was Carla Nacht für Nacht den Schlaf raubt: ein - als nahezu farblose Traumsequenz immer deutlicher wiederkehrender - Hinterhalt, bei dem die Tänzerin schwerverletzt entkam, aber mit ansehen mußte, wie ihr Geliebter Antonio von den Contras brutal gefoltert wurde. Neben dem titelgebenden Lied und den Wunden, innen wie außen, ist ihr von ihrem ehemaligen Gefährten nur die Ungewißheit über sein Schicksal geblieben. Tags darauf drückt George ihr zwei Flugtickets in die Hand. Obwohl er ahnt, daß er sich und die junge Beziehung damit unkalkulierbaren Risiken aussetzt, schreckt er nicht zurück, weshalb der Film nach einer guten Stunde bis auf seine beiden Hauptfiguren nahezu alles wechselt: Licht, Atmosphäre, Rhythmus und Temperament. Georges pfiffige Souveränität weicht dem unsicheren Gehabe des Touristen, Carla glaubt man spürbar aufatmen zu hören, wenn sie sich durch die Menschenmengen auf den staubigen Busbahnhöfen schlängelt und ehemalige Mitglieder ihrer Propaganda-Gruppe nach Antonio ausforscht. Die in Glasgow eng an den Personen geführte Kamera zieht sich zurück, öffnet sich mit weiten Winkeln der unbekannten Landschaft, aber auch dem Gefühl der Verlorenheit, das George streift, als er sich mitten in einem blutigen Bürgerkrieg wiederfindet. Die Suche nach Antonio treibt beide immer tiefer in jene Gebiete, in denen die Contras die Bevölkerung mit kleinen Scharmützeln und nächtlichen Anschlägen terrorisiert, und mündet schließlich im Nirgendwo zwischen Gewehrsalven und verängstigten Einheimischen.

So sehr es Loach hierbei gelingt, die menschenverachtende Taktik der von Amerika finanzierten "low intensive warfare" anschaulich zu machen, so verführt ihn die Parteinahme für die Sache der Sandinisten auch zu merkwürdigen Einseitigkeiten. Ohne erkennbare Distanz inszeniert er den Agitprop der Regierungspartei in leuchtendsten Farben und entwirft in dem Friedenskämpfer Bradley eine Figur, die sich als geläuterter CIA-Ausbilder ohne jeden Bruch ins simple Gut-Böse-Schema fügt. Ein wenig von der unbeholfenen Naivität, mit der George wie von einem anderen Stern durch das Land stapft und sich solange an dessen Sinnlichkeit erfreut, bis ihm die Granaten um die Ohren fliegen, hätte auch dem Filmemacher gut getan, der seinem Drehbuchautor nicht korrigierend unter die Arme griff; Paul Laverty, ehemals Anwalt in Glasgow, war von 1984 an fünf Jahre lang für Menschenrechtsorganisationen in Nicaragua tätig und hat im Skript wohl auch seine eigenen Erlebnisse eingetragen. Die geballte Philippika gegen die USA raubt der ungewöhnlich selbstlosen Liebesgeschichte, an deren Ende Ankunft und Abschied stehen, ein wenig die Leichtigkeit und auch den Raum, um ihre Entwicklung auf dem anderen Kontinent detaillierter nachzuzeichnen. Am zutiefst humanen Kern von Loachs Versuch, aus den Brüchen und Katastrophen der Gegenwart den Stoff für ein sehendes, urteilendes und handelndes Kino zu gewinnen, kratzt dies freilich kaum.
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