Die Salzmänner von Tibet

Dokumentarfilm | Deutschland/Schweiz 1996 | 112 Minuten

Regie: Ulrike Koch

Die in epischer Form entwickelte ethnografische Beschreibung eines in seiner Existenz bedrohten nomadischen Volkes im Norden von Tibet. Zwar versammelt der Film interessante Aspekte von Kulturgeschichte, religiöser Identität, Alltagswirklichkeit und Arbeitskultur, folgt aber in seinem dokumentarischen Ansatz allzu unkritisch und unreflektiert einer romantisierenden Tradition, die sich ein betont "schönes" und harmonisches Bild der abgefilmten "Wirklichkeit" macht, dabei aber dringender Fragen der gegenwärtigen industriellen Welt ausklammert. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland/Schweiz
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
Catpics/D.U.R.A.N./BR/MDR/DRS/TSI
Regie
Ulrike Koch
Buch
Ulrike Koch
Kamera
Pio Corradi
Musik
Stefan Wulff · Frank Wulff
Schnitt
Magdolna Rokob
Länge
112 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Schwierig ist es für die Fremden, fremd genug zu sein und doch nicht fremd, uns zu gleichen und auch wieder nicht. Freundlich müssen sie sein, lächeln und singen, ihre Götter um Beistand bitten und nicht um Geld. Deshalb mußte schon Nanook, der Eskimo, erstaunt in eine Schallplatte beißen und mit seinen Freunden einen toten Seehund angeln. In den USA, wo ihn alle so liebten, wurde ein Eis nach ihm benannt. Er selbst ist später allerdings verhungert. "Die Salzmänner von Tibet" kommen auch ohne Biß in die Platte ganz aus der romantischen Tradition Robert Flahertys. Aber schon Grierson, auch nicht gerade ein Sozialrevolutionär, fand dessen Filme zwar dramaturgisch ergreifend, thematisch für die moderne Massengesellschaft aber nicht mehr ganz passend. Der Kampf des Individuums gegen die Naturgewalten hatte für ihn schon Ende der 20er Jahre mit der industriellen Welt zu wenig zu tun.

Natürlich haben die Fremden mit uns zu tun: Wir nehmen ihnen ihr Land weg, ihre Bodenschätze, ihre Religion, wir zwingen sie zur Monokultur, reden ihnen die Vielweiberei aus und trösten sie mit Schnaps. Sehen aber wollen wir das nicht. Lieber machen wir uns ein Bild, von dem wir morgen glauben wollen, daß es wenigstens gestern noch gestimmt hat. Nach dem Genozid im schlimmsten und der Verelendung im Normalfall sagen wir dann: Schau, so waren sie einmal, stolze Krieger (die Indianer), geschickte Fischer (die Eskimos), begabte Dichter und Reisende (die Tuareg). Und: Schau, so waren sie einmal, die Salzmänner von Tibet. Mehr als einen Monat sind sie unterwegs mit ihren kleinen Pferden und Yaks, um Salz aus einem See zu holen. Nur Männer dürfen mit. Ihre Regeln sind einfach: einer spielt die alte Mutter, einer den alten Vater, einer den Herrn der Tiere, und einen Neuling und Initianten haben sie auch dabei. Vor der Reise machen sie ein Ritual, damit alles gut geht, haben sie das Salz gesammelt, machen sie ein Ritual, weil alles gutgegangen ist. Dann kehren sie wieder zurück, in Wind und Regen und Schnee. Das verstehen auch wir, und mehr wollen und mehr müssen wir auch nicht verstehen. Denn die Salzmänner, das sind wir, das ist unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben, nach guten Vätern und Müttern, nach wohlgesinnten Göttern. Und weil wir unsere Sehnsüchte pflegen, sagt der überflüssige Abspanntext, daß bald die böse Modernisierung kommt und es eines Tages keine Salzmänner mehr geben wird. Für diesen Fall haben wir dann den Film. Schau, so waren sie einmal, werden wir dann sagen, freundliche Tibeter, die ihre Yaks und ihre Götter liebten und in Einklang mit der Natur lebten. Nur wo sie ihre Gummistiefel kaufen und ihre Eisenschaufeln, wohin die Asphaltstraße führt, die sie überqueren, und woher die Lastwagen kommen, die ebenfalls Salz holen, das hat der Film ebenso wenig gesagt wie er über sich gesprochen hat. Über seine Reise, sein Auto, sein Zelt und seinen Tee schweigt er. Stattdessen tut er so, als sei er einfach nur mitgegangen, wochenlang in schlichter, menschlicher Einfachheit. Aber er hat sich ja auch nur ein Bild gemacht, und wenn es auch das falsche war, so wird es doch für immer schön gewesen sein.
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