- | Kanada 1996 | 78 Minuten

Regie: Lynne Stopkewich

Seit ihrer Kindheit empfindet eine junge Frau eine starke Anziehung zum Tod. Was damals feierliche Beerdigungen von toten Tieren waren, findet seine Fortsetzung in der Arbeit als Einbalsamiererin in einem Begräbnisinstitut. Die erotisch-zärtliche Nähe zu Leichen wird in Frage gestellt, als sich ein Medizinstudent in sie verliebt. Ein eindringlicher Debütfilm, der die abseitige Empfindung mehr darstellt als erklärt und unreflektiert eine weitverbreitete esoterische Lichtmetaphorik als Faktum übernimmt. Obwohl der Tod zum bloßen Übergang entwirklicht wird, gräbt sich die Vision eines liebevollen Umgangs mit Verstorbenen ins Gedächtnis ein. (Videotitel: "Kissed - Der Todeskuß")
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Filmdaten

Originaltitel
KISSED
Produktionsland
Kanada
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
Boneyard Film Company/British Columbia Film
Regie
Lynne Stopkewich
Buch
Barbara Gowdy · Angus Fraser
Kamera
Gregory Middleton
Musik
Don MacDonald
Schnitt
John Pozer · Peter Roeck · Lynne Stopkewich
Darsteller
Molly Parker (Sandra Larson) · Peter Outerbridge (Matt) · Jay Brazeau (Mr. Wallis) · Natasha Morley (Sandra als Kind)
Länge
78 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
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Diskussion
Gestorben wird im Kino viel und vor allem schnell. Selten aber hat der Tod eine so intime Aufmerksamkeit erfahren wir im Debütfilm der Kanadierin Lynne Stopkewich. Ihre Heldin Sandra Larson fühlt sich von früher Kindheit an zu seiner schweigenden Feierlichkeit hingezogen. Verendete Tiere; liest sie am Wegrand auf und bestattet sie mit liebevollen, zärtlichen Ritualen. Manchmal zieht sie sich dabei aus und tanzt um die kleinen Gräber herum. Der Schleier kindlicher Unschuld reißt, als sie bei einer dieser Beerdigungen durch eine entsetzte Freundin aus dem Taumel hochschreckt: Zwischen ihren Beinen tropft Blut. Auch Jahre später empfindet das blaßhäutige Mädchen eine tiefe Liebe für tote Körper, die es im Biologieunterricht sezieren lernt. Die Arbeit des Skalpells ruft zwar Widerwillen hervor, doch der Faszination der Ordnung, die dabei zutage tritt, kann Sandra sich kaum entziehen. Die seltsame Neigung bestimmt auch ihre Berufswahl: sie wird Einbalsamiererin bei einem Begräbnisinstitut. Obwohl ihr das eigentliche Handwerk, Verstorbene so herzurichten, daß sie besser als zu Lebzeiten aussehen, ebenso Unbehagen bereitet, schätzt sie ihre Tätigkeit: kann sie dadurch doch den Leichen nahe sein. Nachts kehrt sie heimlich zu ihnen zurück, um sie scheu zu liebkosen. Es sei wie das Hinabtauchen in einen kalten, stillen Bergsee, erklärt sie ihrem Geliebten Matt einmal das Verlangen, die Toten zu berühren. Die Begegnung mit dem Medizinstudenten hatte Sandra aus ihrer solitären Existenz gerissen und Zweifel an ihrer Rolle als Außenseiterin verstärkt. Doch der Versuch, ähnlich intensive Gefühle für einen Lebenden zu empfinden, scheitert. Zwischen Matts Berührungen und dem Kuß, den sie in einer Autowaschanlage einem jungen Toten auf die kalten Lippen drückt, klaffen Welten. Was sich für Sandra binnen kurzem zur Erfahrung verdichtet, treibt Matt zu immer verzweifelteren Anstrengungen, ihre Liebe zu gewinnen. Zuerst drängt er darauf, ebenfalls eine Nacht mit einer Leiche zu verbringen, dann legt er sich in schwarzem Anzug und geschminktem Gesicht ins Bett. Als auch diese äußere Anverwandlung keine erotische Glut entfachen kann, verfällt Matt auf eine extreme Idee.

Mit dem Schlagwort "Nekrophilie" ist Stopkewichs eindringlichem Film nur schwer beizukommen, weil herkömmliche Assoziationen zu sehr mit Ekel- und Horrorfantasien behaftet sind. Auch voyeuristische Erwartungen unterläuft die ganz auf die Empfindungen ihrer Hauptfigur konzentrierte Handlung, die auf einer Kurzgeschichte von Barbara Gowdy basiert. Stattdessen tritt eine Figur mit seltsamen Neigungen vor Augen, die man bald sympathisch findet, auch wenn man ihr Innenleben weder nachempfinden noch teilen kann. Vor allem der erste Teil des Films vermag einen überzeugenden Eindruck vom kindlichen Umgang mit der Erfahrung des Todes zu vermitteln. Der Sprung in die Adoleszenz wird durch die Off-Stimme der Ich-Erzählerin vorbereitet, die eingangs davon spricht, daß sie als Mädchen bereits jene ungewöhnliche Anziehung empfunden habe, die der Geruch des Todes bei ihr auslöst. Die Rückblende dient außer der Verknüpfung von Sexualität und Tod durch die erste Menstruation keiner weiteren Ausdeutung, wie sich auch der weitere Verlauf nicht um eine psychologische Erhellung von Sandras Charakter bemüht. Bis auf die Information, daß sie auch als junge Frau häufig allein ist, bleiben ihre biografischen Umrisse im dunkeln. Der Grund dafür liegt in der Intention der Regisseurin, der es mehr um die Explikation einer Empfindung als auf ihre Erklärung ankommt. Komische, manchmal auch makabre Situationen, die als auflockernde Elemente in die Geschichte gestreut sind, fallen dabei manchmal zwar ein wenig aus dem Rahmen, stören aber so wenig wie die manische Fixiertheit Matts, der Sandra nicht nur für sich haben, sondern vor allem hinter ihr abgründiges Geheimnis kommen will. Mit verhaltener Kamera folgt Stopkewich Sandras Begegnungen mit den Leichen junger Männer, von der ersten zaghaften Berührung bis zum mystischen Liebesakt, der in einer lichtüberfluteten Ekstase gipfelt. "Ich habe Körper gesehen, die wie Sterne schimmerten", flüstert die Stimme aus dem Off, wenn sie von der Energie erzählt, die beim Übergang vom Leben zum Tod frei wird: ein ätherisches Fluidum, in dem die ganze Persönlichkeit des Verstorbenen in potenzierter Form enthalten sei.

Diese überwältigende Aura bildet das Zentrum, um das Sandras abseitiges Verlangen kreist, und auf das der sehr effizient strukturierte Film hinsteuert. Von Anfang an umspielt ein helles, gleißendes Licht die Toten, das auf Sandra übergreift, wenn sie mit den Leichen zärtlich ist, und das zu einem kosmischen Leuchten explodiert, wenn sie die Vereinigung sucht. Die Inspirationsquelle solcher esoterischen Lichtmetaphorik läßt sich unschwer benennen: Berichte von Menschen, die klinisch tot waren, dann aber reanimiert wurden. "Das Licht von drüben" heißt einer der Bestseller von Raymond A. Moody, in dem solche Erlebnisse popularisiert wurden. Anders aber als in Horrorthrillern wie "Der Höllentrip" (fd 23 301) oder auch "Flatliners" (fd 28 605) bezieht sich Stopkewich naiv und unreflektiert auf diese Erzählungen und stilisiert sie zum Faktum. Das nimmt ihrem Film jedes Erkenntnisinteresse, weil die mythologische Folie mit der Filmfabel ununterscheidbar verschmilzt und dadurch den Tod als hartes Faktum schlichtweg negiert. Gefühle von Schmerz, Verlust und Trauer, eine Ahnung von der jähen Endgültigkeit, mit dem das Leben endet, haben darin so wenig Platz wie man auch vergeblich nach Zeichen von Vergänglichkeit fahndet: junge Menschen, junge Leichen, kein Alter, keine Gebrechlichkeit, keine Existenz, die durch Höhen und Tiefen gegangen ist. Selbst die angedeutete Verbindung von Liebe, Sex und Leblosem, die auch in der Zuspitzung auf tote Menschen genügend Platz für Anspielungen auf eine "Kultur des Todes" ließe, wird nicht weiter entfaltet. Was trotz dieser Einschränkungen aber bleibt und Stopkewichs Film nicht so schnell vergessen läßt, ist der liebevolle Umgang mit den Verstorbenen. In ihm schwingt ein tiefer Respekt und eine große Achtung alles Kreatürlichen mit, das nicht wie funktionsuntüchtige Gebrauchsgegenstände entsorgt werden kann. Vielleicht ist es diese Vision eines würdevollen Abschieds, der persönliche, zärtliche Dienst am Beginn der letzten Reise, die ungeachtet aller Schwächen so lange nachwirkt.
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