Das schönste Alter

Drama | Frankreich 1995 | 85 Minuten

Regie: Didier Haudepin

Eine Siebzehnjährige begibt sich in eine von Machtspielen geprägte Liebesbeziehung mit einem jungen Faschisten, der bereits eine Mitschülerin in den Tod getrieben hat. Ein diskussionsanregender, ebenso provozierender wie suggestiver Versuch, die Faszination neofaschistischer Ideologie auf der Ebene eines sexuellen Konflikts nachvollziehbar zu machen.
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Filmdaten

Originaltitel
LE PLUS BELLE AGE. . .
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
1995
Produktionsfirma
Bloody Mary Productions/La Sept Cinéma
Regie
Didier Haudepin
Buch
Claire Mercier · Didier Haudepin
Kamera
Jean-Marc Fabre
Musik
Alexandre Desplat
Schnitt
Juliette Welfing
Darsteller
Élodie Bouchez (Delphine) · Melvil Poupaud (Axel) · Sophie Aubry (Claude) · Gaël Morel (Bertrand) · Marcel Bozonnet (Lehrer)
Länge
85 Minuten
Kinostart
-
Genre
Drama
Externe Links
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Diskussion
Mit dem Prozeß gegen den wegen der Auschwitz-Lüge angeklagten Philosophen Roger Garaudy beherrschen Anfang dieses Jahres wieder einmal Debatten über den Faschismus die französischen Feuilletons. Über die anhaltende Faschismus-Faszination unter Intellektuellen wird dort offener als hierzulande debattiert – insbesondere seit der rechtsextreme Ex-Kommunist Garaudy ausgerechnet vom beliebten Abbé Pierre Unterstützung erhielt. Sich einem solchen Thema im Rahmen eines Liebesdramas unter Gymnasiasten anzunehmen, wäre im populären deutschen Kino undenkbar – insbesondere auch, weil Didier Haudepin in seinem Film jede konkrete politische Ebene vermeidet und sich für den Aspekt individueller Machtausübung entscheidet. Schauplatz ist die Vorbereitungsklasse einer von einer erzkonservativen Studentenverbindung bestimmten Elitehochschule. Die zurückhaltende 17jährige Schülerin Delphine wird Zeugin des Selbstmords einer Mitschülerin. Der offiziell vertuschte Vorfall läßt sie eigene Nachforschungen anstellen, die sie auf die Spur des Geliebten der Verstorbenen bringen. In den charismatischen Axel, einen jungen Bourgeois, der sich selbst als Faschist einführt, verliebt sie sich augenblicklich und unterwirft sich einem von ihm diktierten Machtspiel. Erst wenn sie mit dem von seiner paramilitaristischen Studentenverbindung geknechteten Studenten Bertrand, dem Bruder der Toten, schliefe, würde auch er mit ihr Sex haben. Auch für Bertrand entwickelt Delphine Gefühle, doch noch vor dem Wiedersehen mit Axel bricht sie die Beziehung mit Bertrand ab. Ein in Bertrands Elternhaus gefundenes Videotagebuch der Verstorbenen vermittelt ihr ein Bild von Axels Machtausübung, gegen die diese immer stärker rebellierte. Beim erneuten Zusammentreffen gibt Axel Delphine die Ereignisse preis, die dem Tod seiner Geliebten vorausgingen: Sie war Zeugin geworden, wie er ihren Bruder bei einem sadistischen Initiationsritual der Studentenschaft quälte und sprang daraufhin vor seinen Augen in den Tod. Delphine entbindet sich von ihrem Geliebten, indem sie ihn sexuell demütigt.

Die drei hochbegabten jungen Schauspieler, die den Film in den Hauptrollen tragen, wurden inzwischen auch hierzulande bekannt: Gaël Morel spielte gemeinsam mit Elodie Bouchez in André Téchinés herausragendem Jugendfilm „Wilde Herzen“ (fd 31 180), bevor sie in „Clubbed to Death“ (fd 32 717) die Hauptrolle übernahm. Aber es ist eine spätere Rolle Melvil Poupauds, der die Titelrolle in Danielle Dubroux’ „Tagebuch eines Verführers“ (fd 32 743) spielte, die ein Erklärungsmodell auch für diesen Film bietet: Hier wie dort ist er der Kierkegaardsche Verführer, der sich in einem sadistischen Machtspiel aus Aufmerksamkeiten und Liebesentzug die Abhängigkeit seiner weiblichen Opfer sichert. Indem Haudepin diese Verhaltensweise mit faschistischer Gesinnung in Verbindung bringt, erreicht er eine provozierende, nachhaltig verstörende Wirkung: das ungebrochene Charisma dieser Figur suggeriert durchaus Verständnis für die Faszination, die er auf seine an Politik nicht interessierte Geliebte ausübt, nachdem sie sich von seinem Bekenntnis zum Faschismus nicht hat abschrecken lassen. In der sexuellen Ausspielung des Machtdiskurses liegt natürlich die Gefahr einer Banalisierung. Dem entgeht Haudepin, indem er mit dem Lehrer, einem Vertreter der katholischen Rechten, auch den gesellschaftlichen Nährboden der thematisierten Geisteshaltung anspricht. Trotz seines nur andeutungsweise verständlichen Endes vermittelt sich weit mehr als eine provozierende Lektion: So bitter wie sein Titel ist die Stimmung dieses ungewöhnlichen Jugendfilms, den man als tiefpessimistische Nachtseite des Nouvelle-Vague-Klassikers „Liebe mit zwanzig“ lesen kann.
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