Drama | Senegal/Deutschland 1996 | 105 Minuten

Regie: Safi Faye

Gegen ihren Willen soll eine 14jährige Senegalesin einen reichen, in Frankreich lebenden Emigranten heiraten, der die finanziellen Probleme ihrer Eltern löst. Sie aber will einen armen Landwirtschaftsstudenten zum Mann. Eine reizvolle ethnografische Studie, in der Tradition und Ehrgefühl der älteren und die Lebensvorstellungen der jüngeren Generation unvermittelbar aufeinanderprallen. Eindringlich vermittelt der Film ein Gefühl für das Anderssein der schwarzafrikanischen Kultur, wenn auch einige Sequenzen auffallend für den europäischen Blick arrangiert wirken. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
MOSSANE
Produktionsland
Senegal/Deutschland
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
atriascop
Regie
Safi Faye
Buch
Safi Faye
Kamera
Jürgen Jürges
Musik
Yandé Codou Sène
Schnitt
Andrée Davanture
Darsteller
Magou Seck (Mossane) · Isseu Niang (Mutter Mingué Diouf) · Moustapha Yade (Onkel Baak) · Alioune Konaré (Fara)
Länge
105 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
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Diskussion
In dem kleinen senegalesischen Dorf Mbissel, das am Meeresarm Mamangueth in der Nähe der Atlantikküste liegt, scheint die Zeit stehengeblieben zu sein: Die dörfliche Welt und die familiären Strukturen sind in der 600 Jahre alten Siedlung noch intakt, die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen mythischem Bewußtsein und der Alltagsrealität noch nicht abgerissen, wie der intensive Kontakt zu den vielbeschworenen Vorahnen, den Pangools, und die leitmotivisch gesungene Legende von einem Mädchen, dem seine Schönheit zum Verhängnis wird, zeigen. Die 14jährige Mossane, deren Name „Schönheit“ bedeutet, betört durch ihre Wohlgestalt und ihre Anmut die Männer von Mbissel. Selbst ihr Bruder empfindet für sie mehr als Geschwisterliebe und wälzt sich in Fieberträumen. Mossane aber hat ihr Herz nur einem Mann geschenkt: dem armen Landwirtschaftsstudenten Fara, der während eines Streiks mit zwei Kommilitonen in sein Dorf zurückkommt. Mossane will keinen anderen als Fara zum Mann, deswegen wehrt sie sich dagegen, von ihren Eltern per Ferntrauung mit dem in Frankreich lebenden wohlhabenden Emigranten Diogoye verheiraten zu werden, den sie nur von einem Foto kennt. Mossanes Eltern haben vor allem handfeste wirtschaftliche Motive für den Druck auf ihre einzige Tochter: Diogoye bezahlt ihre Schulden, überhäuft sie mit kostbaren Geschenken wie einer Nähmaschine und einem Ghettoblaster und ist zudem der Garant für ihren finanziell gesicherten Lebensabend.

So prallen das kapitalistisch korrumpierte elterliche Traditionsbewußtsein und ihr altmodisches Verständnis von Familienehre unversöhnlich mit den modernen Lebensvorstellungen der Tochter und ihrem Wunsch nach einer freien, selbstbestimmten Partnerwahl aufeinander. Safi Fayes Film beeindruckt durch seine Kompromißlosigkeit, auf ein konventionelles Happy-End zu verzichten. In ihrer Hochzeitsnacht flieht Mossane vor dem ihr bestimmten Schicksal in einem Boot. Sie verliert die Kontrolle darüber und kommt um in den Fluten, denen sie zu Filmbeginn glitzernd im Gegenlicht wie eine schwarze Botticelli-Venus entstieg. Am Morgen finden die Bewohner ihre Leiche am Strand und tragen sie in einem kollektiven Trauerzug ins Dorf. Im Gewand dieser Liebesgeschichte thematisiert die senegalesische Regisseurin aktuelle Probleme ihres Heimatlandes und macht auf die Zerstörung der tradierten Werte durch die ökonomische Situation aufmerksam. Das Verhalten von Mossanes Eltern bezeichnet sie als „wirtschaftliche Erpressung“. Oder wie es der Student Fara im Film angesichts verdorrter Bäume und unfruchtbaren Landes ausdrückt: „Wenn die Erde ihren Mann nicht mehr ernährt, gibt es keine Moral mehr.“

Mit viel Selbstbewußtsein fängt Faye die Langsamkeit des Lebens in dem senegalesischen Dorf ein. Das völlig andere Zeitgefühl seiner Bevölkerung spiegelt sich im ruhigen Erzählduktus und in langen Einstellungen, was reizvoll, aber nicht immer leicht auszuhalten ist. Auch erfordert die für europäisches Verständnis aktionsarme Handlung mit viel Dialog die Bereitschaft, sich darauf einzulassen. Das Anderssein der schwarzafrikanischen Kultur wird damit für ein nicht-afrikanisches Publikum im allgemeinen und für europäische Zuschauer im besonderen eindringlich filmisch erfahrbar. Dennoch stört der zuweilen plakative Vorführcharakter vieler Szenen, die wie für den europäischen Blick arrangiert wirken: so also essen die Menschen im Senegal (in einem Kreis auf dem Boden hockend und mit den Fingern gemeinsam aus einer großen Schüssel ein Hirsegericht namens Thièp); so verehren sie ihre Gottheiten und bitten um eine gute Regenzeit für die von Dürre geplagte Region (indem sie in einer Prozession einem alten Baum Reis und Milch darbringen und für den Fluß einen Stier als Opfergabe schächten); so behandelt ein senegalesischer Naturheiler seine Patienten (er diagnostiziert mittels kleiner Muscheln und bannt das Böse mit einem Horn, das er um den Hals trägt); so wird dem Bruder sein inzestuöses Verlangen nach Mossane ausgetrieben (indem er und Mossane aneinandergefesselt eine Nacht in einer Grube stehend verbringen müssen). Ohne daß die Qualität des Films als ethnografische Studie in Abrede gestellt werden soll, hätte man sich doch stärker eine authentische, aus nationaler Selbstverständlichkeit heraus operierende Perspektive gewünscht. Denn der deutsche Kameramann Jürgen Jürges kann die schwarzafrikanischen Verhältnisse notgedrungen nur als Außenstehender fotografieren. In keiner Sequenz tritt dies deutlicher zutage als in der Schächtungsszene, wo eine sehr europäisch anmutende Zurückhaltung gegenüber der Schlachtprozedur an den Tag gelegt wird. Anstatt das Durchtrennen der Halsschlagader zu zeigen, zieht sich die Kamera rücksichtsvoll auf die Totale zurück.
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