Der Boxer (1997)

Drama | Irland 1997 | 113 Minuten

Regie: Jim Sheridan

Nach seiner Haftentlassung will sich ein ehemaliger IRA-Aktivist ausschließlich dem Boxsport widmen und sich aus allen politischen Konflikten heraushalten. Diese Haltung macht ihn suspekt, und er gerät zwischen die Fronten von Waffenstillstandsbefürwortern und militanten Aktivisten, die ihre Ziele mit Bombenterror durchzusetzen versuchen. Ein ebenso ernsthafter wie aufrichtiger Film, der das Leid und Elend eines durch Bürgerkrieg zerrütteten Landes zeigt und sich vorbehaltlos dem Pazifismus verschrieben hat. Effektvoll inszeniert und überzeugend gespielt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE BOXER
Produktionsland
Irland
Produktionsjahr
1997
Produktionsfirma
Hell's Kitchen
Regie
Jim Sheridan
Buch
Jim Sheridan · Terry George
Kamera
Chris Menges
Musik
Gavin Friday · Maurice Seezer
Schnitt
Gerry Hambling
Darsteller
Daniel Day-Lewis (Danny Flynn) · Emily Watson (Maggie) · Ken Stott (Ike Weir) · Brian Cox (Joe Hamill) · Gerard McSorley (Harry)
Länge
113 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Heimkino

Verleih DVD
Universal (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl., DD2.0 dt.)
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Diskussion
Bislang setzten sich alle Filme Jim Sheridans mit irischen Themen auseinander, doch in Zusammenarbeit mit dem Drehbuchautor Terry George scheint Sheridan sein eigentliches Thema gefunden zu haben: den Bürgerkrieg in Nordirland. „Im Namen des Vaters“ (fd 30 071) war das authentische Drama um Gerry Conlon, der 15 Jahre lang als vermeintlicher IRA-Aktivist unschuldig im Gefängnis saß, und Terry Georges eigenes Regiedebüt „Mütter & Söhne“ (fd 32 379), bei dem Sheridan als Co-Autor fungierte, handelte vom Hungerstreik von IRA-Häftlingen. „Der Boxer“ nun erzählt die (fiktive) Geschichte des ehemaligen IRA-Aktivisten Danny Flynn, der nach 14jähriger Haft wieder ins Leben zurückkehren möchte. Für ihn heißt das Boxen, ein paar Pfund verdienen, so lange es geht, und sich aus allen politischen Querelen und Aktivitäten der IRA heraushalten. Mit Hilfe seines heruntergekommenen Ex-Trainers Ike baut er den „Holy Family“-Boxclub wieder auf und bereitet sich stur auf die ersten Kämpfe vor. Stur, weil er sich nicht um die politisch/terroristischen Kämpfe der IRA schert, die Belfast erschüttern, sondern die Erkenntnis gewonnen hat, daß das Verprügeln von Engländern im Boxring auch schon ein kleiner Sieg ist. Doch Danny hat seinen Entschluß ohne die Absolution der ehemaligen Kampfgefährten gefaßt. Er gilt als Abweichler und deshalb als suspekt.

Die Spannung zwischen den Lagern verschärft sich, als Danny wieder die Beziehung zu seiner Jugendliebe Maggie aufnimmt, die während seiner Haft einen Kameraden heiratete, der aber selbst seit Jahren im Gefängnis sitzt. Maggies Vater, einer der politischen Köpfe der IRA, der den Friedensprozeß und ein friedfertiges Miteinander von Katholiken und Protestanten anstrebt, warnt vor dieser Verbindung, da sie innerhalb der IRA für ungeheures Konfliktpotential sorgen würde. Er weiß, wovon er spricht, denn Harry, der militante Führer der Belfaster IRA, der sich kein gleichberechtigtes Zusammenleben mit den Protestanten vorstellen kann, sieht in der Annäherung zwischen Danny und Maggie eine Gefährdung der Moral der „kämpfenden Truppe“. Schließlich sollen die Frauen der Rückhalt der inhaftierten Männer sein. Mehrfach wird Danny nahegelegt, Maggie zu meiden und sein Boxer-Glück in England zu suchen. Danny wechselt zwischenzeitlich zum politisch suspekten „London Gym.“ und boxt einen spektakulären Kampf. Doch als Ike ermordet wird, kehrt er in sein Viertel zurück und stellt sich seiner Liebe und seiner Verantwortung. Harry, Ikes Mörder, sieht dies gleich in mehrfacher Hinsicht als Kampfansage. Dannys Tage sind gezählt, doch immerhin hat auch Maggies Vater noch ein gewichtiges Wort mitzureden.

Trotz des Sujets ist „Der Boxer“ kein Sportlerfilm. Der titelgebende Kampfsport gilt vielmehr als Metapher, verweist auf das Individuum, das sich durchboxen muß, jenseits aller Parteiinteressen und des Verlaufs der politischen Fronten. Sheridans Film ist die Innenansicht einer mehrfach zerrissenen Gesellschaft, in der der Gegner nach fast 30 Jahren Bürgerkrieg längst nicht mehr klar definiert ist, sondern der Feind durchaus auch in den eigenen Reihen stehen kann. Den Hintergrund bilden das nordirische Friedensabkommen der letzten Jahre und die Nadelstiche militanter IRA-Kommandos, die den politischen Erfolg mit Gewaltaktionen zu hintertreiben versuchen. Sheridan zeigt das Bild einer Gesellschaft, deren Haß sich verselbständigt hat und den Kampf um des Kampfes willen fortführt. Entstanden ist ein zutiefst humaner Film, der Partei für die Menschen und ihr Land ergreift und die friedliche Koexistenz als die einzige Chance propagiert. Für diese Vision steht auch der „Holy Family“-Boxclub, der sowohl Katholiken als auch Protestanten offensteht. An ihm scheiden sich zwar die Geister, und er wird niedergebrannt, doch es besteht kein Zweifel, daß er eine neue Chance erhalten wird.

Sheridan zeigt die Tristesse, die sich über Belfast gelegt hat: schäbige Wohnviertel, die allgegenwärtige britische Armee; er zeigt an Hand heruntergekommener sozialer Strukturen den Stillstand, den das Land durchleiden muß; und er zeigt, wie sich dies in den Gesichtern und Seelen der Bewohner ausgewirkt hat. Kameramann Chris Menges liefert hierzu eindrucksvolle Bilder von klaustrophobischer Enge, die das Innenleben der Protagonisten spiegeln, um kurz darauf durch Fahrt- und Flugaufnahmen vom einzelnen auf die Gesamtheit zu verweisen: auf Belfast, eine geteilte und gehetzte Stadt, die keine Ruhe findet. Auch die guten Darsteller unterstützen die Absicht: gramgebeugte oder haßerfüllte Charaktere, die sich kaum noch einen Ausweg vorstellen können, gefangen im ewigen Jetzt eines haltlosen Zustandes. Besonders deutlich wird die Rolle der Frauen in diesem Dauerkonflikt. Sie sind nicht nur die großen Dulderinnen, die Leid und Elend schweigend ertragen, vielmehr erscheinen sie als von der IRA-Führung instrumentalisiert: als letzter Rückhalt der kämpfenden Truppe in der Rolle der treusorgenden Häftlingsehefrauen. Wie ernst es Sheridan ist, verdeutlicht auch die Tatsache, daß er mit seinen Action- und Gewaltszenen äußerst ökonomisch umgeht und sie streng in den Dienst der ausgeklügelten Dramaturgie stellt. Nur dreimal schlägt die IRA zu, und jedesmal bleibt die Kamera auf Distanz, zeigt die Auswirkungen des Terrors, ohne ihn zur Spannungserzeugung zu nutzen. „Der Boxer“ ist ein wichtiger und kluger Film, der einen (west-)europäischen Konflikt in den Mittelpunkt stellt, der immer wieder in Vergessenheit zu geraten droht, weil die aktuellen Konflikte, die die Medien freudig aufgreifen, die nichtgelösten Altlasten Tag für Tag in den Hintergrund drängen.
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