Wunsch & Wirklichkeit

Melodram | USA 1998 | 114 Minuten

Regie: Lesli Linka Glatter

Ein liberal eingestelltes Ehepaar aus der wohlhabenden Bostoner Gesellschaft kann keine Kinder bekommen, weil der Mann zeugungsunfähig ist. Ein junger Harvard-Student wird engagiert, um den Mangel zu beheben. Als der Plan funktioniert, beginnen die eigentlichen Schwierigkeiten, in deren Verlauf die Frau Trost in den Armen eines Priesters findet. Ein als lange Rückblende mit großer stilistischer Geschlossenheit erzähltes Melodram, dessen Themen - Emanzipation, Unfruchtbarkeit, Zölibat und Schicksal - zu keiner überzeugenden Verbindung finden. Auch die Verankerung in den 30er Jahren mißlingt, weil dem Film jedes Gespür für die Zeit fehlt. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE PROPOSITION
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Interscope Communications
Regie
Lesli Linka Glatter
Buch
Rick Ramage
Kamera
Peter Sova
Musik
Stephen Endelman
Schnitt
Jacqueline Cambas
Darsteller
Kenneth Branagh (Pfarrer Michael McKinnon) · Madeleine Stowe (Eleanor Barret) · William Hurt (Arthur Barret) · Blythe Danner (Syril Danning) · Robert Loggia (Hannibal Thurman)
Länge
114 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Melodram
Externe Links
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Diskussion
Die filmische Rekonstruktion oder fiktive Konstruktion vergangener Zeiten unterliegt nicht nur dem Diktat der äußeren Authentizität. Zwar vermittelt sich der Eindruck des Historischen am augenfälligsten durch entsprechendes Dekor und Kostüme, doch selbst die aufwendigste Ausstattung bleibt Staffage, wenn die Inszenierung keinen Zugang zum Zeitgefühl einer Epoche findet. Daß die emotionale Vergegenwärtigung dabei ungleich schwerer fällt und perspektivisch außerdem stets an die Gegenwart des Betrachters zurückgebunden bleibt, enthebt nicht der Anstrengung, wenigstens ansatzweise in das atmosphärische Geflecht einer Ära einzudringen. Daran aber scheitern nicht nur historisch gewandete Kostümfilme, sondern auch viele ambitionierte Dramen, die ihre Konflikte nur unzureichend mit den jeweiligen Zeitumständen verknüpfen. Lesli Linka Glatters „period piece“ aus den 30er Jahren ist dafür ein typisches Beispiel. Wie schon in ihrem Debütfilm „Now & Than – Damals und Heute“ (fd 31 829) erzählt die Regisseurin in einer langen Rückblende von aufwühlend-schmerzhaften Ereignissen, die sich diesmal in der priviligierten Schicht Bostons zutragen. 1935 war ein junger Priester auf seine erste Pfarrstelle berufen worden. Der wohlhabenden Klientel begegnet Pater McKinnon zum Leidwesen seines Vorgesetzten höflich, aber reserviert – und kümmert sich stattdessen lieber um Arme und Arbeitslose. Einen Antrittsbesuch bei den einflußreichen Barrets schiebt der Geistliche noch aus einem anderen Grund hinaus: er ist der Neffe des angesehenen Anwalts Arthur Barret, dessen aristokratischen Habitus ihm so sehr mißfällt wie die skrupellosen Geschäfte seines eigenen Vaters Samuel. Priester sei er geworden, scherzt McKinnon bitter, weil die Kirche die einzige Firma sei, die sein Vater nicht kaufen könne. Der moralische Rigorismus des Klerikers bewahrt ihn nicht vor dem Aufruhr der Gefühle, als er vom delikaten Zustand der Barret-Ehe erfährt. Eleanor, die eben ihren ersten, von feministischen Gedanken beeinflußten Roman veröffentlicht hat, liebt ihren distinguierten Mann zärtlich und innig. Trotzdem leidet sie darunter, daß er keine Kinder zeugen kann. Arthur, gewohnt, auf alle Probleme eine Lösung zu finden, will endlich auch diesen Mißstand beseitigen und engagiert einen Harvard-Absolventen, der Eleanor schwängern soll. Der Wunsch geht nach kleineren Komplikationen tatsächlich in Erfüllung, doch die Wirklichkeit erweist sich als weit komplizierter. Der Kindsvater hat nämlich sein Herz für die schöne Lady entdeckt und droht mit einem Skandal, falls ihm der Kontakt verweigert wird. Dafür segnet er wenig später das Zeitliche, worauf hin Eleanor das Baby verliert, ihren Mann für den Mörder hält und Trost bei Pater McKinnon sucht, an dem die Begegnungen mit der geistreichen und warmherzigen Frau nicht spurlos vorübergehen.

Mit klerikalen Herz-Schmerz-Themen im Stile von „Die Dornenvögel“ hat dies alles nur am Rande zu tun, obwohl es nicht leicht fällt, das inhaltliche Zentrum des erlesen bebilderten Melodrams zu benennen. Den unterschiedlichen Akzenten und Themen kommt man am ehesten über die verschiedenen Arbeitstitel auf die Spur, unter denen das Werk im Laufe seiner Entstehung firmierte. Ursprünglich sollte es „Shakespeare’s Sister“ heißen, in Anlehnung an Eleanors Ausspruch, daß es ebenso berühmte Autorinnen wie Shakespeare gäbe, wenn die letzten Jahrhunderte nicht unter dem Zeichen des Patriarchats gestanden hätten. Ihre Figur ist erkennbar dem Vorbild Virginia Woolfs nachgebildet; ihr Recht auf ein eigenes Zimmer, in das sie sich zum Schreiben zurückziehen kann, wird ebenso als Schritt der Emanzipation und wachsenden Selbständigkeit gedeutet wie der Wunsch nach Schwangerschaft. Daß sie dafür am Ende mit dem Leben zahlt, paßt allerdings mehr zu „Tempting Fate“, der Herausforderung des Schicksals, was eine moralische Ebene anklingen läßt. Ob damit der Fehltritt des Priesters, die Auflehnung gegen die natürlichen Umstände der Zeugungsunfähigkeit oder die Arroganz bürgerlich-feudaler Macht gemeint ist, bleibt jedoch ebenso im dunkeln wie die Frage, auf welches der vielen Angebote sich der Titel „The Proposition“ bezieht, unter dem der Film letztlich dann startete. Die auffällige Schwäche des Drehbuchs versucht Glatter durch eine intensive Skizzierung der Charaktere auszugleichen, was ihr dank der starken Präsenz von Madeleine Stowe gut gelingt; Kenneth Branagh als vaterloser Priester hingegen bleibt blaß und in seinen Motiven widersprüchlich oder vordergründig; und William Hurt ist für die Rolle des distinguierten Grandseigneurs schlichtweg zu jung: daß er McKinnons Onkel sein soll, nimmt man nur kognitiv zur Kenntnis. Doch selbst wenn man solche Ungereimtheiten beiseite läßt, stößt man immer wieder auf eine grundlegende Ambivalenz: Stoff, Idee und Zeit fallen auseinander. Zwar überbieten sich Ausstatter und Kamera gegenseitig in der Gestaltung einer beeindruckend geschlossenen Atmosphäre, die in herbstlich-verhaltene Farben getaucht ist, weil der Film als Erinnerung von Pater McKinnon erzählt wird, der 17 Jahre später seine Erlebnisse Revue passieren läßt. Doch die Boston High Society, deren Liberalität und Modernität den Hintergrund bilden soll, taucht kaum auf. Was Alan Rudolph in „Mrs. Parker und ihr lasterhafter Kreis“ (fd 31 444) überzeugend gelang, die glücklose Dorothy Parker aus den Ansprüchen und Illusionen ihrer Zeit verständlich zu machen, mißlingt Glatter: bis auf die Accessoires fehlt jedes Zeitkolorit. Deshalb wirken ihre Figuren wohl auch so idealisiert und wie die Personnage eines beliebigen Rührstücks.
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