Road Movie | Australien 1997 | 96 Minuten

Regie: Bill Bennett

Ein junges Liebespaar, das einsame Männer ausraubt, entdeckt bei einem seiner Opfer eine Videokassette, die einen berühmten Ex-Footballstar als Kinderschänder entlarvt. Verfolgt von ihm und der Polizei fliehen die beiden in die australische Wüste, geraten in mysteriöse Todesfälle, werden verhaftet, entführt und kommen letztlich noch einmal mit dem Schrecken davon. Ein außergewöhnlich montiertes, gänzlich auf eine musikalische Untermalung verzichtendes Roadmovie, das die Zerrissenheit der Protagonisten nicht nur durch die Form, sondern auch durch beeindruckende schauspielerische Leistungen nachvollziehbar macht. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
KISS OR KILL
Produktionsland
Australien
Produktionsjahr
1997
Produktionsfirma
Australian Film Finance Corporation/Australian Asset Management/South Australian Film Corporation/Movievision PTY/Bill Bennett Prod.
Regie
Bill Bennett
Buch
Bill Bennett
Kamera
Malcolm McCulloch
Schnitt
Henry Dangar
Darsteller
Frances O'Connor (Nikki) · Matt Day (Al) · Barry Otto (Adler Jones) · Chris Haywood (Detective Hummer) · Andrew S. Gilbert (Detective Crean)
Länge
96 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Road Movie
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Diskussion
Der 1953 geborene Australier Bill Bennett kam über den Journalismus zum Film, begann 1972 mit Kurzfilmen und drehte dann 16 teilweise preisgekrönte Dokumentationen fürs australische Fernsehen. 1985 wandte er sich dem Spielfilm zu, kehrte in seinen Arbeiten aber immer wieder zum „Doku-Drama“ zurück. Seine zweite Leidenschaft gilt dem Road Movie, dessen oftmals stereotypen Handlungsschemen er neue Reize abgewinnen konnte. So sorgte „Backlash“ (1986), in dem ein altgedienter Polizist und seine unerfahrene Kollegin eine junge schwarze Mörderin in ihren abgelegenen Prozeßort bringen sollen, für Aufsehen und erhielt internationale Preise. Um eine Reise ging es auch in „Spider & Rose“ (1994), einer „Harold and Maude“-Variante, in der ein junger Krankenwagenfahrer eine 70jährige zu ihren weit entfernt wohnenden Verwandten chauffiert. Der weltweite Erfolg dieses Films öffnete Bennett die Tür nach Hollywood, aber der eigenwillige Regisseur kam mit den dort herrschenden fremdbestimmten Produktionsbedingungen nicht zurecht. Man schnitt seinen Film „Gestohlene Herzen“ (fd 31 850) um und machte aus der bissig unkonzipierten Geschichte eines Gangsterpärchen ein Star-Vehikel für Sandra Bullock. Wie der Film hätte aussehen können, ahnt man, wenn man nun „Kiss or Kill“ sieht, in dem sich Bennett alle Freiheiten gestattet, die ihm das Hollywood-Kino versagte.

Das junge Liebespaar Nikki und Al schlägt sich mit kleinen Gaunereien durchs Leben: Nikki spricht in Bars einsame ältere Männer an und betäubt sie im Hotelzimmer, um sie mit Al in Ruhe ausrauben zu können. Eines Abends wacht eines der Opfer nicht mehr auf. Nikki und Al fliehen in die Wüste, weil sie befürchten, des Mordes verdächtigt zu werden. Als sie im Koffer des Toten ein Videoband entdecken, das den berühmten Ex-Footballer Zipper Doyle als Kinderschänder entlarvt, beschimpft Nikki ihn am Telefon. Nun haben sie nicht nur die Polizei, sondern auch den um die Entdeckung seiner Neigungen fürchtenden Doyle auf den Fersen. Nach einer Nacht in einem abgelegenen Hotel finden sie dessen Besitzer ermordet in seinem Bett; Nikki, die entdeckt, daß Al die Kasse geraubt hat, verdächtigt ihn der Tat, was dieser energisch abstreitet. Al wiederum spielt auf Nikkis häufiges Schlafwandeln an: Im tranceartigen Zustand könnte sie ebenso den Mord begangen haben. Mittlerweile hat Doyle sie ausfindig gemacht und versucht, sie zu erschießen. Nikki und Al entkommen und verbergen sich bei einem exzentrischen Juwelier-Ehepaar, das in einem militärischen Sperrgebiet wohnt – und am nächsten Morgen mit durchgeschnittenen Kehlen im Bett liegt. Al ist klar, daß Nikki die Mörderin ist. Er fesselt sie und versteckt sich mit ihr in einer verlassenen Hütte. Doch Nikki und Al werden verhaftet, müssen aber wegen eines formal-juristischen Fehlers auf freien Fuß gesetzt werden. Was beide nicht ahnen, ist, daß ihr Rechtsanwalt von Doyle beauftragt wurde und die Polizei sie als Lockvogel benutzt, um den Kinderschänder zu überführen. Doyle kann jedoch der Polizei ein Schnippchen schlagen und Nikki und Ali entführen. Als sie auf der Flucht in eine Straßensperre rasen, wird Doyle aus dem Auto geschleudert, während Nikki und Al den Crash überleben.

Was bei „Kiss or Kill“ sofort ins Auge (und Ohr) fällt, ist die außergewöhnliche Form. Benutzten manche Regisseure wie Jean-Luc Godard in „Außer Atem“ (fd 9 287) die „Jump-Cut-Technik“, das „Zerstückeln“ eines ursprünglich kontinuierlich aufgenommenen Handlungsablaufes, nur als eine Facette ihres innovativen Inszenierungsstils, so hat Bennett diese Technik zum beherrschenden Stilelement gemacht. Was zu Beginn noch maniriert wirkt, entpuppt sich immer mehr als die augenfällige Umsetzung der inneren Zerrissenheit von Al und Nikki. Das einzig Beständige im Leben des aus zerrütteten Familienverhältnissen stammenden und schon früh mit dem Gesetz in Konflikt geratenen Al ist seine Beziehung zu Nikki. Sie ist seine „Brücke“ zur Realtität, während er für Nikki der einzige Mann ist, dem sie sich öffnet. Und doch scheint es tief in ihrem Innern noch manche „Ecke“ zu geben, in die der Partner nicht eindringen darf. Da man auch als Zuschauer lange Zeit nicht weiß, ob man dem, was man sieht, glauben kann oder ob sich hinter den Bildern nicht doch noch eine andere Lösung versteckt, ist man eingebunden in das gegenseitige Mißtrauen der beiden, aber auch in ihre fatale Lage, die nur ein gemeinsames Entrinnen aus dem Teufelskreis erlaubt. Daß sich diese Intensität hautnah überträgt, liegt auch an einem „Trick“ Bennetts: Obwohl er sehr genau das Ziel seines Films von Augen hat, gibt er den Schauspielern doch viel Raum zum Improvisieren. Dies beschert auch dem Kameramann manch überraschenden Moment, so daß die Improvisation den Bildern dann wiederum einen dokumentarischen Anstrich verleiht, der sich auf spannende Weise an der Künstlichkeit der „Jump-Cut-Technik“ reibt. Die kontrastreiche Lichtführung schafft oft silhouettenhafte Bilder, die die Charaktere genauso für den Zuschauer „öffnen“, wie die ausschließlich mit Weitwinkelobjektiven aufgenommenen Landschaften die Weite des fünften Kontinents erfahrbar machen. Und was das Ohr angeht: Bennett verzichtet ganz auf eine musikalische Kommentierung, überläßt den präzise herausgearbeiteten natürlichen Geräuschen die dramaturgische Untermalung. Und noch etwas fällt auf: Mit Bill Bennett gibt es endlich wieder einen ausgesprochenen „Frauen-Regisseur“ zu entdecken, einen würdigen Nachfolger François Truffauts, auch wenn sich ihre Sujets nur wenig ähneln. Aber mit welcher Zärtlichkeit er hier Frances O’Connor mit der Kamera „malt“, zeugt von einer vergleichbar großen Sensibilität.
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