As Tears Go By

Action | Hongkong 1988 | 102 Minuten

Regie: Wong Kar-wai

Die Beschreibung einer bedingungslosen Freundschaft zwischen zwei Triaden-Gangstern in Hongkong und der Preis, den sie verlangt, in diesem Fall das Glück einer sich anbahnenden Liebesbeziehung. Wong Kar-wais Erstlingswerk ist ein romantisches Actiondrama, entwickelt in einer weitverzweigten anekdotischen Erzählstruktur, die einerseits noch deutlich die Konventionen eines harten Genrefilms bedient, andererseits bereits alle Facetten seiner prägnanten Stilistik aufweist. Eine reizvolle Mischung aus purer Verspieltheit und philosophischer Nachdenklichkeit, entwickelt in artifiziellen, schillernd-schönen Farben, ausgefeilten Kamerablicken und raffinierten Bildbearbeitungen. (O.m.d.U.) - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
WANGJIAO KAMEN | AS TEARS GO BY
Produktionsland
Hongkong
Produktionsjahr
1988
Regie
Wong Kar-wai
Buch
Wong Kar-wai
Kamera
Andrew Lau
Musik
Danny Chung
Schnitt
Peter Chiang · Hai Kit-wai
Darsteller
Andy Lau (Ah Wah) · Maggie Cheung (Ah Ngor) · Jacky Cheung (Fly) · Alex Man (Tony) · Wong Un (Mabel)
Länge
102 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Action | Drama
Externe Links
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Diskussion
Unter den Vorspanntiteln flimmern einige übereinandergestellte Bildröhren in einem Schaufenster, die ein blaues Wolkenpanorama zeigen. Alles hat diesen elektrisierenden Blaustich in Wong Kar-wais erstem Film „As Tears Go By“: Es ist ein Bild, das später noch einmal erscheinen wird, dann nicht mehr als Videoinstallation, sondern als Teil einer Landschaft der Insel Lantau, wo der Protagonist seine Geliebte aufsuchen wird, und das ihm nach einer Liebesnacht ins Bewußtsein gelangt. Um ein solches Naturbild freilich in die Großstadt zu holen, bedarf es wohl des Rasters von Videomonitoren. Neonblau ist die Lieblingsfarbe des neueren Hongkong-Kinos, dicht gefolgt von Neonpink und Neongrün. Schon in seinem Erstlingswerk hat Wong diese Palette angerührt, sein Einfluß war rasch so beträchtlich, daß sich seine Handschrift weit über die eigene Produktion hinaus bemerkbar machte. Wer in Hongkongs scharf kalkulierender Filmindustrie arbeitete, mußte von diesem Ästhetizismus gleichermaßen befremdet wie fasziniert sein. Die Wieder- bzw. Neubegegnung mit Wong Kar-wais Frühwerk zeigt diese Stilistik bereits in voller Entwicklung. Allerdings erkämpft sich die Bildsprache in diesem Fall noch ihren Raum innerhalb der vorgegebenen Schemata des Gangsterfilms. „As Tears Go By“ erzählt die archaische Geschichte einer Blutsbrüderschaft, für die man sogar das real existierende Glück einer Liebesbeziehung einzutauschen bereit ist. Entwickelt wird dies allerdings in einer weitverzweigten anekdotischen Erzählstruktur.

Für eine Sekunde durchschneidet eine grellrote Neonschrift den blauen Bildgrund. „Future“ verheißt sie, es ist der Name einer Discothek. Obgleich das Hongkong dieses Films bereits historisch ist, wirkt das Design der Stadt tatsächlich futuristisch. Für das westliche Science-Fiction-Kino sind seit Ridley Scotts „Der Blade Runner“ (fd 23 689) asiatische Großstädte Vorboten des modernen Metropolis. An diesen Film erinnert die unterschwellige elektronische Musikbegleitung in „As Tears Go By“, deren ausgehaltene Akkorde auch Gewaltszenen mit elegischem Ton begegnen. Oft ist über die Ästhetisierung der Gewalt im Hongkong-Kino diskutiert worden, und „As Tears Go By“ ist in dieser Hinsicht der härteste Film seines Regisseurs. Doch während etwa John Woo oder Ringo Lam die Artistik einer Kampfszene durch Zeitlupen überhöhen, seziert Wong die Aktionen in ihrem Ablauf, verwandelt ihren Fluß in eine Abfolge einzelner Fragmente und Einzelbild-Sequenzen. Ein Überfall in einer Großküche, der einer ähnlichen Szene aus „Fallen Angels“ (fd 32 321) vorgreift, ist ein Beispiel für Stilisierung ohne jede Überhöhung: Im monochromen Blau der Szene gibt es nur noch eine zweite Farbe, ein giftiges Gelb. Diesen hervorstechenden Ton hat ein Getränk, das jemand brutal einer Katze einzuflößen versucht. Wie in einem der Disaster-Bilder Andy Warhols verklärt die attraktive Farbigkeit nicht den Blick auf die Grausamkeit des Gezeigten.

„Out of the Blue“, aus dem Unbestimmten, erscheint die Cousine des Triadengangsters Wah in der Disco, deren Blaulicht längst alle Gesichtsfarben der Anwesenden aufgesogen hat. Nur ein rotes Kleid behauptet sich in dieser Umgebung und bereitet die leidenschaftliche Auseinandersetzung vor, die seine Trägerin mit dem Gastgeber ihres Aufenthalts in der Stadt führen wird. In diesem Zusammentreffen finden sich bereits alle Ingredienzen für eine potenzielle Romanze, die jedoch einstweilen aufgeschoben ist. Wahs Freund Fly, ein weit weniger routinierter Ganove, schleppt sich brutal zugerichtet in dessen Wohnung. Immer wieder wird Wah dem glücklosen Kumpel beistehen, der schließlich von der Triade in einen schäbigen Imbiß strafversetzt wird. Von kurzem Glück ist Wahs Ausflug auf die Insel Lantau, wo er seine Cousine gerade noch davon abhalten kann, einen Arzt zu heiraten, der sich um ihre physischen Gebrechen, von denen sie öfter als nötig erzählt, verdient gemacht hat. Doch der Freund steckt abermals in Not: Er hat zugesagt, einen Gangster in Polizeigewahrsam zu liquidieren – ein selbstmörderisches Unterfangen. Auch für den zu Hilfe geeilten Wah nimmt das kein gutes Ende. Während die Kamera seine letzten Sekunden einfängt, verlangsamt sich der Bildfluß synchron zu seinem Herzschlag. Eine gute Sekunde nur schneidet Wong Kar-wai den Moment einer Umarmung der Geliebten in die Sterbeszene: Neun Einzelbilder nur, jedes ist dreimal hintereinander auf den Film kopiert worden, um überhaupt eine sichtbare Sequenz zu ergeben.

Zu den charakteristischen Stilmitteln Wongs, die seine Handschrift bereits hier unverkennbar erscheinen lassen, gehört die Verwendung semi-dokumentarischer Stilleben, die keine andere als eine ästhetische Funktion besitzen, jedoch völlig ungekünstelt für einige Sekunden zu sehen sind. Etwa der Blick aus dem Fenster auf eine Wäscheleine: Man sieht Textilien in Blau, Grün und den Mischfarben, aus denen sich der Film zusammensetzt, zugleich aber auch ein Bild für die Schönheit des Alltäglichen. Oder zwei rote Busse, die keine andere Aufgabe erfüllen, als sich einmal in der Totale einer grünen Landschaft zu begegnen. Wie Liebende im Vorübergehen. Wong interessiert die reine Symmetrie von Lichtmasten an einer Landstraße. Oder schließlich in der Sterbeszene der gelbe Plastikvorhang vor einer Polizeieinfahrt. Ein weiteres Stilmittel Wongs ist das „Voice over“ in Gestalt tagebuchartiger Skizzen von beiläufiger Alltäglichkeit. Gerade innerhalb eines Gangsterfilms entfalten diese lebensverbundenen, mal banalen, mal philosophischen Sätze eine bestechende Wirkung: Wo eben noch die Konvention einer Gangstergeschichte das Geschehen bestimmte, herrscht nun blanke Verspieltheit – für jeden Kinogangster normalerweise ein ernstes Sicherheitsrisiko. Nur in Form eines kurzen Briefes macht Wong hier davon Gebrauch: Verzückt liest Wah die Zeilen, die seine Cousine im Off spricht; von den neuen Gläsern, die sie gekauft hat, ist da die Rede, und die sie versteckt hat, weil sie ja sowieso früher oder später zu Bruch gehen würden. Von solcher Art Liebesmüh’ erzählen Wongs Filme: von der Sisyphusarbeit, eine Welt zu verschönern, in der gemordet und gestorben wird. Und wenn es eine Botschaft zu verstehen gibt, so höchstens die, daß eben auch einem Killer sein Gewerbe keinen Spaß machte, wenn es in seiner Umgebung keine Cousine gäbe, die sich um ihn sorgte. Wie im übrigen auch die Juke-Box (auch sie wird in „Fallen Angels“ wieder zu Ehren kommen), in die man eine Münze wirft, wenn man einmal einsam ist; nicht, um sich aufheitern, sondern um sich eine Schnulze vorspielen zu lassen, die die eigene Stimmung bestätigt. Jeder kennt wohl diese kleinen masochistischen Gesten und larmoyanten Stiche, die man sich, insbesondere bei Liebeskummer, selbst versetzt. Wo aber, außer in Wongs Filmen, findet man Bilder für diese weniger coolen Gesten? Diese peinlichen Kleinigkeiten, aus denen sich ein Lebensgefühl eben auch konstituiert?
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