Oscar und Lucinda

Melodram | Australien 1997 | 132 Minuten

Regie: Gillian Armstrong

Mitte des 19. Jahrhunderts läßt sich ein junger englischer Theologiestudent als Missionar nach Australien entsenden, um so seiner Leidenschaft fürs Glücksspiel zu entkommen. Während der Überfahrt verliebt er sich in eine nicht minder passionierte Spielerin, was fatale Folgen für beide hat und erst spät in eine Feier des Lebens mündet. Eine in faszinierenden (Sinn-)Bildern erzählte Variation des epischen Melodrams, die sich geschickt den gängigen Handlungsmustern des Genres verweigert. Statt dessen verdichtet der Film die Erzählung zum sensiblen Porträt zweier Menschen, die außerhalb der Normen ihrer Zeit leben und zwischen dem vermeintlich kalkulierbaren Risiko einer Wette und dem unberechenbaren Risiko des Lebens ihren Standort suchen. (Videotitel: "Oscar & Lucinda") - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
OSCAR & LUCINDA
Produktionsland
Australien
Produktionsjahr
1997
Produktionsfirma
Fox Searchlight Pictures/Australian Film Finance/New South Wales Film/Television Office
Regie
Gillian Armstrong
Buch
Laura Jones
Kamera
Geoffrey Simpson
Musik
Thomas Newman
Schnitt
Nicholas Beauman
Darsteller
Ralph Fiennes (Oscar Hopkins) · Cate Blanchett (Lucinda Leplastrier) · Ciaran Hinds (Reverend Dennis Hasset) · Tom Wilkinson (Hugh Stratton) · Richard Roxburgh (Mr. Jeffris)
Länge
132 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Melodram | Literaturverfilmung
Externe Links
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Diskussion
England, Mitte des 19. Jahrhunderts. Seit dem frühen Tod seiner Mutter wächst Oscar bei seinem puritanischen Vater auf. Doch sein Glaube an Gott drückt sich schon in jungen Jahren in der Lust aus, das Schicksal herauszufordern: Als er an der Religion des Vaters zu zweifeln beginnt, vertraut er auf die göttliche Vorhersehung und wirft blindlings einen Stein auf ein Raster mit protestantischen Denominationen – mit dem Ergebnis, daß er von zu Hause weggeht und einen anglikanischen Priester um Asyl bittet. Als er Jahre später in Oxford Theologie studiert, um selbst Priester zu werden, wird er dort in die Welt des Glücksspiels eingeführt. Ob Pferderennen, Karten oder Hundekampf, Oscar erweist sich als ebenso leidenschaftlicher wie geschickter Spieler. Die Gewinne, die er dabei einstreicht, spendet er stets der Kirche. Dennoch plagt ihn sein Gewissen, so daß er sich als Missionar nach Australien entsenden läßt, um seinem Laster ein Ende zu bereiten. Während der Überfahrt trifft er auf Lucinda, eine junge Frau, die sich mit ihrem ansehnlichen Erbe eine Glasfabrik in Sydney gekauft hat. Auch sie ist eine passionierte Spielerin, eine in den Augen der Gesellschaft frevelhafte Veranlagung, über die sie ausgerechnet bei Oscar die Beichte ablegt – woraufhin der sie zu einer Partie Karten überredet. In Sydney angekommen verlieren sich die beiden zunächst aus den Augen. Aber als sie wieder aufeinandertreffen und erneut ihrer Leidenschaft nachgeben, hat das fatale Folgen: Sie werden beim Kartenspiel ertappt, Oscar verliert sein Priesteramt. Arbeits- und obdachlos gesteht er sich allmählich seine Liebe zu Lucinda ein. Obwohl er überzeugt ist, daß sie ihre Gefühle für einen anderen Mann reserviert hat, versucht er, ihr Herz zu gewinnen, indem er ihr die ultimative Wette vorschlägt: Sie setzen all ihren Besitz darauf, daß er es schafft, mitten im australischen Urwald eine Kirche aus Glas zu errichten.

Der an Werner Herzogs „Fitzcarraldo“ (fd 23 356) erinnernde Transport der fragilen Kirche ist ein Unternehmen jenseits des gesunden Menschenverstandes – ein Ritual, mit dem Oscar seine persönlichen Dämonen austreiben will: Eine letzte große Wette als Ende aller Wetten. Zugleich ist es ein überlebensgroßer Beweis seiner Liebe zu Lucinda. Daß es dieses Beweises überhaupt nicht bedurft hätte, darin liegt die Tragik von Oscars Schicksal, die der Film in Bildern von grandioser Schönheit feiert. Die visuelle Opulenz im CinemaScope-Format bedeutet jedoch nicht, daß die Adaption des Romans von Peter Carey in erster Linie die Konventionen des epischen Melodrams bedient. „Oscar und Lucinda“ verweigert sich gängigen Handlungsmustern zugunsten des sensiblen Porträts der Protagonisten, die außerhalb der Normen ihrer Zeit leben, ohne es zu wollen. Lucinda wird von ihrer Mutter als „quadratischer Stab in einer Welt voller runder Löcher“ beschrieben. Als Frau, die das Schicksal in die eigenen Hände nimmt, paßt sie nicht in eine Gesellschaft, die dem weiblichen Geschlecht den Platz in der zweiten Reihe zuweist. Oscar hadert ebenso mit dem Leben, weil er trotz seines Glaubens unfähig ist, seinen Platz in der Welt zu finden. Er ist ein Spieler, der das vermeintlich kalkulierbare Risiko einer Wette dem unberechenbaren Risiko des Lebens vorzieht. Er wagt es nicht, sich rückhaltlos auf die Menschen einzulassen, und bleibt wie Lucinda ein Außenseiter.

Gillian Armstrong maßt sich nicht an, die Figuren erklären zu können. Sie beläßt ihnen vielmehr ihr Geheimnis, meidet jede Form der Psychologisierung und geht mit ihnen ebenso behutsam um wie mit der Geschichte. Deren emotionaler Gehalt wird denn auch nicht mit eingängig-romantischen Schemata forciert, sondern entfaltet sich durch den Einsatz einer unaufdringlichen Metaphorik: Als Oscar zu Beginn des Films erlebt, wie der Vater seinen Schmerz über den Tod der Mutter in die Fluten des Meeres schreit, wird das Wasser für den Jungen zum Symbol des Todes. Auch als erwachsener Mann scheut er jede Schiffahrt, da ihn das Trauma seiner Kindheit nicht losläßt. Erst als sich sein Schicksal schließlich erfüllt, erfährt das Meer auf wundersame Weise eine Umdeutung zum Symbol der Hoffnung, so daß Oscars Nachfahren dem Wasser ohne Scheu begegnen können und die Geschichte der eigenwilligen Liebe von Oscar und Lucinda in eine Feier des Lebens mündet.
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