Drama | Schweden 1996 | 166 Minuten

Regie: Bille August

Verfilmung des ausufernden Romans von Selma Lagerlöf als große Liebesgeschichte um die Tochter eines Dorfschullehrers und einen jungen Bauern, der, als Waisenkind, einmal einen großen Hof erben soll. Als ein aus Amerika gekommener Prediger die Bewohner des schwedischen Dorfes auffordert, ihm ins Gelobte Land, nach Jerusalem, zu folgen, zieht die junge Frau mit und setzt ihre Liebe zugunsten eines neuen Lebens in einer christlichen Gemeinschaft aufs Spiel. Ein in betörenden Bildern von außerordentlicher Schönheit entwickeltes Epos, freilich nicht frei von erzählerischen Vereinfachungen. Zurückhaltend in der Behandlung der religiösen Aspekte, funktioniert der Film dennoch auch als Religionsgeschichte, die daran erinnert, daß ein christliches Leben überall möglich und sinnvoll ist. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
JERUSALEM
Produktionsland
Schweden
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
AB Svensk Filmindustri/Metronome Prod./Schibsted Film/Marko Röhr Prod./Nordiska Film/Danish Broadcasting/Norwegian Broadcasting/Icelandic/YLE Finland
Regie
Bille August
Buch
Bille August
Kamera
Jörgen Persson
Musik
Stefan Nilsson
Schnitt
Janus Billeskov Jansen
Darsteller
Ulf Friberg (Ingmar) · Maria Bonnevie (Gertrud) · Pernilla August (Karin, Ingmars Schwester) · Reine Brynolfsson (Tim, Karins 2. Ehemann) · Lena Endre (Barbro, Ingmars Ehefrau)
Länge
166 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
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Diskussion
Bille August wagte sich an ein Nationalheiligtum der Schweden, das einst, zumindest in den 20er Jahren, auch in Deutschland in der Bibliothek eines jeden Bildungsbürgers zu finden war. Vor allem für das schwedische Kino ist Selma Lagerlöf eine der großen Inspirationen – einst und offenbar auch noch heute. Einigermaßen bekannt dürfte noch Mauritz Stillers Adaption von „Gösta Berling“ (1924) sein – als Greta Garbos erster bedeutender Film. Weniger bekannt dagegen ist, daß Victor Sjöströms Filme „Ingmarssöhne“ (1919) und „Karin von Ingmarshof“ (1920) genauso wie die zweiteilige Arbeit des Sjöström-Schülers Gustaf Molander „Die Verdammten“ (1925/26) auf Selma Lagerlöfs Roman „Jerusalem“ basieren. Bille Augusts Adaption dieses Stoffes entstand 1996, kam also noch vor Augusts „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ (fd 32 400) in die schwedischen Kinos. Für August ist „Jerusalem“ in erster Linie eine große Liebesgeschichte, und so schält er aus dem weit ausufernden Roman vor allem die Geschichte von Ingmar und Gertrud heraus, die schon als Kinder zusammen aufwuchsen – Ingmar, das Waisenkind, das einmal den großen Ingmarhof erben soll, und Gertrud, die Tochter des Dorfschullehrers, der den Jungen großzog. Gleichzeitig ist „Jerusalem“ aber auch eine Religionsgeschichte. Der Film zeigt es gleich zu Beginn: da erfährt der Pastor, daß in seinem „Kirchspiel“, seiner Pfarrei, ein Bethaus gebaut werden soll. Der Pfarrer – wie er gänzlich an den Rand der Ereignisse gedrängt wird, erinnert er an ähnliche Pastoren aus Ingmar Bergmans Filmen – muß mit ansehen, wie seine Kirche leer bleibt und das Bethaus ein Erfolg wird, wie ihm niemand mehr zuhört, der aus dem fernen Amerika gekommene Prediger Hellgum aber wie ein Heilsbringer verehrt wird. Er fordert seine Anhänger auf, ihre Familien, ihre Eltern, Haus und Hof im Stich zu lassen und mit ihm in das Gelobte Land, nach Jerusalem, zu gehen, um dort in einer christlichen Gemeinschaft zu leben und auf die Wiederkehr des Heilands zu warten. Gertrud zieht mit nach Jerusalem, Ingmar will in Dalarne bleiben und den Ingmarhof verwalten. Um das dafür nötige Geld zu bekommen, muß er die Tochter eines reichen Bauern heiraten. Später folgt auch er den Pilgern, versucht, Gertrud, die er immer noch liebt, zurückzuholen – was ihm auch gelingt, freilich ist die Liebe Gertruds erloschen.

Das Ende des Films scheint suggerieren zu sollen: Es ist vollkommen gleichgültig, wo der Mensch lebt, ob in Palästina oder in Schweden. Überall ist ein christliches Leben möglich und sinnvoll. „Jerusalem“ ist in allererster Linie der Film einer eindrucksvollen Bildsprache. Jörgen Persson (er stand nicht nur bei den bekannten Filmen von Bille August hinter der Kamera, sondern auch bei Bo Widerbergs „Adalen 31“ und „Joe Hill“, fd 17 704) ließ sich von der klassischen schwedischen Filmschule inspirieren, vermied konsequent jedes Kunstlicht und schuf Bilder, Szenenfolgen – wie die von der Kahnfahrt einer Hochzeitsgesellschaft –, die den Atem stocken lassen. Diese Bilder sind das wirkliche Ereignis des Films. Allerdings können sie ihre volle Wirkung nur auf der großen Kinoleinwand entfalten – eine Leinwand, die wahrscheinlich aber selbst in Schweden für derartige Filme nicht leicht erreichbar sein dürfte. August stand vor der gewiß extrem schwierigen Aufgabe, die facettenreiche Handlung eines fast 500 Seiten umfassenden Romans in 165 Filmminuten zu bringen. Das konnte nur teilweise gelingen. Mit der Konzentration auf die Liebesgeschichte entgeht der Film nicht immer der Gefahr einer Verflachung. August reduziert die Zahl der Personen, deutet bei einigen die Motive ihres Handelns nur an, bei anderen verzichtet er gänzlich darauf. Das macht die Geschichte mitunter etwas zu simpel und einschichtig. Mag auch bei Lagerlöf das jüdische Element Jerusalems nur am Rande eine Rolle spielen, August hat es gänzlich eliminiert. So fand sich für das eigenartige imaginäre „Streitgespräch“ zwischen Felsendom und Moschee, zwischen Heiligem Grab und Heiligen Felsen über die Dominanz an diesem Heiligen Ort genausowenig ein Platz wie für die kuriose Geschichte des Hauses, in dem die schwedischen Kolonisten am Damaskus-Tor wohnen. Es ist der ehemalige Palast eines Paschas und Gouverneurs von Jerusalem, aus dem sie – verleumdet und diffamiert – vertrieben werden sollen. Im Film bleiben die Stadt Jerusalem und ihre historische Entwicklung in einem eigenartig diffusen Licht.

In Treue gegenüber Lagerlöf setzt August die Akzente in der Behandlung der religiösen Aspekte sehr zurückhaltend. Hellgum ist auch im Film kein Scharlatan, kein charismatischer Sektenprediger – wie überhaupt das Wort „Sekte“ bei Lagerlöf nie, im Film nur ein einziges Mal zu hören ist. Trotzdem können sich beim heutigen Zuschauer Assoziationen zu heutigen Entwicklungen allerdings durchaus einstellen. Mit „Jeruslaem“ scheint August an seinen Ausgangspunkt zurückgekehrt zu sein. Der Film ist eine achtbare Arbeit, vergleichbar mit seinen ersten beiden Erfolgen „Pelle, der Eroberer“ (fd 27 471) und „Die besten Absichten“ (29 877). Freilich zeichnet „Jerusalem“ nicht die vitale Kraft und Inspiration aus, die eine andere Verfilmung großer schwedischer Literatur so nachhaltig prägte: Jan Troells Epos „Emigranten“ (fd 20 153) und „Das neue Land“ (fd 20 175) nach dem Roman von Wilhelm Moberg. Von Troell blieb in der Erinnerung eine packende Geschichte, von August werden vermutlich die atemberaubend schönen Bilder bleiben.
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