Und vor mir die Sterne - Das Leben der Schlagersängerin Renate Kern

Dokumentarfilm | Deutschland 1998 | 86 Minuten

Regie: Ulrike Franke

Ein Porträt der deutschen Schlagersängerin Renate Kern, die in der zweiten Hälfte der 60er Jahre große Erfolge mit ihren optimistischen Liedern feierte, den Niedergang ihres Erfolgs jedoch nicht ertragen konnte und 1991 nach langer Depression Selbstmord verübte. An Hand von Archivmaterial und Aussagen von Wegbegleitern entstand eine beeindruckende Biografie, die über das Porträt einer eigentlich schüchternen Frau hinaus die deutsche Schlagerbranche hinterfragt und die übergroß beschworenen Gefühle des Metiers auf kleinbürgerliche Dimensionen schrumpfen läßt. Ein Glücksfall für den Dokumentarfilm. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Filmproduktion Loeken Franke
Regie
Ulrike Franke · Michael Loeken
Buch
Ulrike Franke · Michael Loeken
Kamera
Jörg Adams
Schnitt
Jean-Marc Lesguillons
Länge
86 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
„Die Welt ist so schön wie ein Traum“, „Laß den dummen Kummer“, „Traurigsein lohnt sich nicht“, „Du mußt mit den Wimpern klimpern“ – so hießen die Schlagererfolge, die Renate Kern Mitte der 60er bis Anfang der 70er Jahre für sich verbuchen konnte. Die Liste ihrer Hits ließe sich lange fortsetzen. 1965 entdeckte Kai Warner, Produzent bei der Hamburger Polydor und Bruder von James Last, die junge Frau mit der kehligen Stimme, die schon bald zur Seelentrösterin der Nation avancierte, auch wenn ihr der wenig schmeichelhafte Titel einer „Provinzkönigin“ anhing. Mitte der 70er Jahre begann ihr Stern – wie der des deutschen Schlagers überhaupt – zu sinken. Kleine Comeback-Versuche scheiterten. Auch das millionenteure Tonstudio, das sie im Obergeschoß ihres Wohnhauses einrichtete, führten nicht zur erhofften Wende. Die schien erst zum Greifen nahe, als Renate Kern nach Nashville reiste und unter dem Namen Nancy Wood Country-Songs aufnahm. Eine ihrer Platten stürmte die US-Charts, doch zurück in Deutschland machte sich Ernüchterung breit: der kleine Country-Markt war längst gesättigt. So blieb der erfolgsverwöhnten Sängerin nichts anderes übrig, als über die Dörfer zu tingeln und bei Radio Bremen eine Country-Sendung zu moderieren. Ihr letztes Engagement führte sie – zusammen mit einer bulgarischen Tanz-Band – an Bord eines finnischen Fährschiffes. 1991 wurde Renate Kern mit starken Depressionen zur stationären Behandlung in eine Klinik eingewiesen. Wenige Tage nach ihrer Entlassung nahm sie sich das Leben.

Der Dokumentarfilm beginnt mit einem heiteren Bild: Renate Kern, die eigentlich Renate Poggensee hieß, feiert mit Freunden das Richtfest ihres Hauses in Hoyerswege (Oldenburg): ein Refugium, das ihr immer wieder Rückzugs- und Regenerationsmöglichkeiten bot. Im Grundstein, so erfährt man später, ist ihr erster Plattenvertrag eingemauert. Doch der Eindruck von der fröhlichen Frau, die Leben und Erfolg genießt, täuscht. An Hand privater Filmdokumente, Archivaufnahmen und durch Gespräche mit Kollegen, Weggefährten oder dem Ehemann enthüllt sich das Bild einer innerlich zerrissenen Frau, die keinen der „guten Ratschläge“, die sie in ihren Schlagern beschwor, im eigenen Leben umsetzen konnte. So wird der Film zum erschütternden Dokument einer Lebenslüge, der die Hochglanzfröhlichkeit Lügen straft, wenn die eingesprochenen Tagebuchaufzeichnungen der Sängerin die Bilder konterkarieren. Von Lebensangst ist häufig die Rede und von Ausgebranntsein, von Einsamkeit, Angst und Enttäuschungen. Zugleich aber entsteht auch der Eindruck einer Stehauf-Frau, die trotz ihrer angeborenen Scheu ausgerechnet auf der Bühne ihr Glück machen und ihren Niedergang nie wahrhaben wollte. Sogar den letzten Auftritt auf der Fähre, wo sie wegen Seegang und Alkohol im Sitzen singen mußte, versuchte sie sich schön zu reden.

„Und vor mir die Sterne“ ist ein Glücksfall für den Dokumentarfilm: intelligent, erhellend und voller Mitgefühl für die Sängerin, in dem man eine wehmütige Liebe der Autoren zu erkennen glaubt, ohne daß je die kritische Distanz aufgegeben würde. Neben der privaten Tragödie wirft der Film erhellende Blicke auf die deutsche Schlagerszene, wo auf der Bühne heitere Fröhlichkeit beschworen wird, hinter den Kulissen aber ein eiskaltes, manchmal sogar menschenverachtendes Geschäft regiert. Davon erzählt Dieter Thomas Heck, der einstige „Hitparaden“-Moderator, in der ihm eigenen selbstgefälligen Art; davon berichten die Produzenten. Etwa von den Versuchen der Sängerin, die seichten Schlager hinter sich zu lassen und Chansons von Edith Piaf zu interpretieren, wozu sie stimmlich durchaus in der Lage gewesen wäre. Die Antwort ließ nichts zu wünschen übrig: „Wenn wir Frau Piaf hören wollen, dann nehmen wir Frau Mathieu, aber bestimmt nicht Frau Kern. Die soll mit den Wimpern klimpern.“ Renate Kern war eine Gefangene im goldenen Käfig, die das Schicksal vieler Kollegen teilte: strahlender Aufstieg, ein paar Jahre im Rampenlicht, dann der Sturz in die Bedeutungslosigkeit. Wenn der Zenit überschritten ist, bleibt nur noch die Ochsentour durch die Provinz. Einer der Höhepunkte des Films ist dann auch der Auftritt von „sexy Rexy“ (Rex) Gildo, der nach wie vor Frauenherzen schmelzen läßt, im Grunde aber eine lächerliche Figur abgibt, wenn man den Popanz sieht, wie er vor der Show seine Bühnenpersönlichkeit aufbaut und später im nachtblauen Smoking über die Tanzfläche walzt. Der Branchenkommentar bringt es auf den Punkt: „Erst kommt die Show, und danach saufen wir so richtig einen!“ Aber auch die Fans erhalten das Wort. Drei stehen Rede und Antwort, sprechen über ihre grenzenlose Bewunderung, aber auch über Enttäuschungen, als der Star mal zickig war und den Fan-Einsatz nicht entsprechend würdigte. Einer von ihnen hält Renate Kern auch heute noch die Treue: Autogrammkarten sind wie um einen Altar gereiht, und immer wieder erklingt das alte Tonband, das ihr die Sängerin persönlich widmete. Es ist das große Verdienst des Films, daß er alle drei Handlungsebenen nahtlos ineinander fließen läßt und dabei die Menschen niemals vorführt, sondern ihnen gerecht zu werden versucht. Zum Gelingen tragen neben der Ernsthaftigkeit, mit der sich die Autoren des Metiers annehmen und als Kulturphänomen behandeln, auch die Wahl der Schauplätze bei, deren Tristesse einen reizvollen visuellen Kontrast zur heilen Glamour-Welt bietet, die in den Schlagern unaufhörlich besungen wird. Dann schrumpfen die übergroßen Gefühle zu dem, was sie eigentlich sind: (spieß-)bürgerliche Träume vom kleinen Glück, das ins Unermeßliche gesteigert wird. Gesundsingen aber, auch das zeigt der Film, hat noch keinem geholfen.
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