East Palace, West Palace

Drama | VR China 1996 | 90 Minuten

Regie: Zhang Yuan

Im Park des alten Kaiserpalastes von Peking wird ein junger homosexueller Schriftsteller von einem Polizisten festgenommen und eine Nacht lang verhört. Am anderen Morgen ist die Gefühlswelt des Polizisten, dem der Schriftsteller seine Liebe gestanden hat, ins Wanken geraten. Ein unabhängig produziertes Kammerspiel, in dem es nicht nur um das in China tabuisierte Thema Homosexualität geht, sondern um den Umgang mit "Andersartigen" überhaupt. Der Film erweist sich als Plädoyer für Toleranz und gegenseitige Achtung, das vor allem durch ausgezeichnete Darsteller überzeugt. Gelegentlich wirkt er auf Grund seiner erzieherischen Absichten allzu didaktisch und überdeutlich.
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Filmdaten

Originaltitel
DONG GONG XI GONG
Produktionsland
VR China
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
Amazon Entertainment/Quelqu'un d'autre Productions/Ministère Français de la Culture/Ministère des affaires étrangères/Hubert Bals Fund
Regie
Zhang Yuan
Buch
Zhang Yuan · Wang Xiaobo
Kamera
Zhang Jian
Musik
Xiang Min
Schnitt
Vincent Levy
Darsteller
Si Han (A-Lan) · Hu Jun (Shi, der Polizist) · Wang Quan (A-Lan als Kind)
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12 (Video)
Genre
Drama
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Diskussion
Im ersten Bild gleitet die Kamera an einer alten, rankenbewachsenen Mauer empor und gibt schließlich in einer Totale den Blick auf den Innenraum einer öffentlichen Toilette frei. Diese liegt am Rand des alten Kaiserpalastes in Peking und ist ein stadtbekannter Treffpunkt von Homosexuellen. Die behutsame Bewegung der Kamera signalisiert, daß der Film in eine „verbotene Zone“ eindringt, läßt aber zugleich auch die Art und Weise vermuten, in der das geschehen wird: dezent, sensibel, ohne spekulative Ambitionen.

Zhang Yuan, geboren 1963, nimmt sich in seiner fünften Arbeit einem Thema an, das in China noch immer als Tabu gilt: der „anderen“, der gleichgeschlechtlichen Liebe. Ein Stoff, der im staatlich gelenkten chinesischen Kino undenkbar wäre, als unabhängige „Underground“-Produktion jedoch geduldet wurde. Die Behörden hielten sich zurück, als sich Zhang Yuan finanzielle Mittel aus Frankreich und den Niederlanden besorgte (der Film kostete rund eine halbe Million Mark); auch die Nachbearbeitung des Materials in Paris wurde nicht durch eine Beschlagnahme verhindert. Gezeigt wurde „East Palace, West Palace“ im „Reich der Mitte“ freilich bis heute nicht; und als er während des Festivals in Cannes 1997 seine internationale Premiere erlebte, versagte die chinesische Regierung dem Regisseur die Ausreise.

„East Palace, West Palace“ ist ein Kammerspiel. Aus den im Halbdunkel agierenden Beteiligten einer abendlichen Polizeirazzia, Jägern und Gejagten, treten zwei Gesichter hervor: das des Milizionärs Shi und das des Schriftstellers A-Lan. Auf diese beiden Männer konzentriert sich die Aufmerksamkeit; zwischen ihnen beginnt ein Duell, das von der Seite des Polizisten mit subtiler Gewalt, von der Seite des jungen Homosexuellen vorwiegend mit Worten geführt wird. Shi wiederholt immer wieder seinen, der offiziellen Doktrin entsprechenden Satz, daß Homosexuelle verachtenswert seien und der Umerziehung bedürften, während A-Lan seine Lebensgeschichte preisgibt und den Polizisten zu überzeugen versucht, Homosexualität als eine von mannigfachen, naturgegebenen Spielarten intimer menschlicher Beziehungen zu begreifen. Der Dialog zwischen den beiden mündet über weite Strecken in einem langen, von Rückblenden durchsetzten Monolog A-Lans. Dem westlichen Zuschauer bringen dessen – szenisch nur angedeutete – Reminiszenzen an erste sexuelle, auch sadomasochistische Erlebnisse vermutlich kaum Neues; homosexuelle Geschichten im Kino haben hierzulande die Ebene der Didaktik, wie sie in „East Palace, West Palace“ ausgiebig beschritten wird, längst hinter sich gelassen. Für China allerdings ist der Film mit seinem pädagogischen Impetus tatsächlich ein mutiger, zu Offenheit und Ehrlichkeit auffordernder Akt. So kann das Gespräch zwischen A-Lan und Shi durchaus als Versuch eines Dialogs zwischen dem Regisseur und seinem einheimischen Publikum interpretiert werden, wobei es Zhang Yuan nicht nur um Homosexualität geht, sondern um Toleranz überhaupt. Der Umgang mit „Andersartigen“ betrifft auch das Verhältnis zu den Intellektuellen, die sich nicht dem von der Partei vorgegebenen Kanon anpassen, sondern eigene, unorthodoxe Ideen realisieren.

„East Palace, West Palace“ versteht sich als Parabel: „Wir sind alle verschieden, doch trotzdem gleich“, lautet einer der Kernsätze. Aufregend zu sehen ist, wie Zhang Yuan den chinesischen Macht- und Repressionsapparat charakterisiert. Polizisten dürfen, so der Film, beinahe alles. Wer eine Uniform trägt oder auch nur eine entsprechende Armbinde, nimmt sich automatisch das Recht, andere zu demütigen. Shi preßt A-Lan zum Verhör; vor ihm muß der junge Mann seine Vergangenheit und seine Seele entblößen; er legt ihm Handschellen an, zwingt ihn, stundenlang in der Hocke zu kauern; auch auf Schläge verzichtet er nicht. Wer in die Gewalt des Apparats gerät, unterliegt von der ersten Sekunde an der Gefahr, daß seine Persönlichkeit ausgelöscht wird. Zhang verharrt jedoch nicht auf dieser schlichten Ebene von Opfer und Täter, sondern jongliert auf subtile und subversive Weise mit dieser „Konfrontation“: Den sadomasochistischen Obsessionen seines Helden A-Lan kommt die Verhöratmosphäre partiell durchaus entgegen. Er beugt sich ihr, genießt sie und provoziert so sein Gegenüber zu Entdeckungen eigener, ungeahnter erotischer Befindlichkeiten. Dieser aus Liebe und Verachtung gespeiste Zweikampf nimmt Motive von Sigmund Freud oder Jean Genet auf; die Figuren verwickeln sich in ein schillerndes Knäuel der Gefühle. Dabei macht A-Lan von Anfang an deutlich, daß er Shi liebt. Dessen Darsteller Hu Jun zeigt, wie sich der Polizist zugleich abgestoßen und angezogen fühlt, wie sein inneres Gleichgewicht ins Wanken gerät. Seine Worte drücken Verachtung aus, seine Blicke Neugier. Warum beginnt der junge Mann ihn zu erregen? Wie soll er mit dessen Liebeserklärung umgehen? Als A-Lan die Frauenkleider eines im Park festgenommenen Transvestiten anzieht, verliert Shi vollends die Beherrschung. Der Film läßt offen, ob der morgendliche Kuß zwischen den Männern letztlich auf homophile Gefühle des Polizisten zurückzuführen – oder nur die Folge der verwirrenden Nacht ist. Eine kalkulierte Unsicherheit. Zhang Yuan entwirft die Skizze dieser wenigen Stunden vor allem über Großaufnahmen von Gesichtern und Händen. Die Kamera, weitgehend schmucklos, versagt sich aller Schnörkel und Überhöhungen; nur wenige Bilder verdichten sich zu optischen Metaphern. Die Schlichtheit der Fotografie, der erzieherische Gestus einiger Dialogpassagen und diverse Redundanzen im Erzählfluß bewirken zwar eine gewisse Langatmigkeit, doch das dichte Spiel der beiden Hauptdarsteller trägt über dramaturgische Hänger hinweg.
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