Drama | USA 1997 | 133 Minuten

Regie: Robert Duvall

Ein populärer redegewandter Erweckungsprediger aus Texas erschlägt im Affekt den Liebhaber seiner Frau, flieht nach Louisiana und beginnt dort, eine neue Gemeinde aufzubauen. Eine außergewöhnliche Charakterstudie, die sich der Hauptdarsteller und Regisseur Robert Duvall auf den Leib geschrieben hat und deren "dokumentarische" Qualitäten mehr eine charismatische Religiosität beleuchten als kritisch untersuchen. Die beschreibende, primär nicht kommentierende Atmosphäre des Films vermittelt aufschlußreiche Einblicke in eine Welt amerikanischer Frömmigkeit, in der Elemente wie Unterhaltung und Bewegung zentrale Bedeutung gewinnen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE APOSTLE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1997
Produktionsfirma
Butchers Run Films
Regie
Robert Duvall
Buch
Robert Duvall
Kamera
Barry Markowitz
Musik
David Mansfield
Schnitt
Steve Mack
Darsteller
Robert Duvall ("Sonny" Dewey, Apostel) · Farrah Fawcett (Jessie Dewey) · Miranda Richardson (Toosie) · Todd Allen (Horace) · John Beasley (Reverend Blackwell)
Länge
133 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs.

Verleih DVD
Kinowelt/Arthaus (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
„The One Way Road to Heaven“ steht in blauen Neonbuchstaben auf dem Pfeil, der aufrecht in den Himmel weist. So unmißverständlich und entschieden wie dieser Fingerzweig, so kompromißlos verkündet „Sonny“ Dewey die befreiende Kraft des Glaubens an Jesus Christus. Wenn „The Apostel“, wie sich der braungebrannte Hüne nennt, in der schlichten Holzkirche in Bayou Boutte in Louisiana mit der Bibel in der Hand Feuer fängt, hält seiner verzehrenden Leidenschaft auch der hartgesottenste Skeptiker nicht stand. Auch der herzkranke, pensionierte Reverend Blackwell hat sich vom sprühenden Charisma dieses Fremden schnell anstecken lassen, der eines Tages zu Fuß in der ländlichen Kleinstadt auftauchte und seitdem seinen Lebensunterhalt als Automechaniker bestreitet. Daß Dewey eigentlich auf der Flucht ist und untertauchen möchte, weiß nur der Zuschauer, dem in Robert Duvalls eigenwilligem Porträt eines Erweckungspredigers zumindest keine dramaturgischen Rätsel aufgegeben werden. In einer mehr als halbstündigen Ouvertüre hat er Dewey als mitreißenden, aber auch ziemlich selbstgefälligen Mann kennengelernt, der seit frühester Jugend als Evangelist durch den Süden der USA zog und recht erfolgreich neue Kirchengemeinden ins Leben rief. „Heute haben wir im Himmel wieder für Schlagzeilen gesorgt“, lautet sein Motto, wenn er auf sterbende Unfallopfer einredet, um sie im Angesicht des Todes leidenschaftlich zur Bekehrung zu bewegen. Der freikirchliche Diener des Herrn erfreut sich einer großen Nachfrage seines Redetalents, das bei weißen wie schwarzen oder hispano-amerikanischen Gemeinden gleichermaßen geschätzt wird; bisweilen aber kann er seinen Jähzorn nicht zügeln, was seine Frau in manchen Situationen intuitiv die Hände vors Gesicht heben läßt. Auf Sonnys Eskapaden, wochenlange Missionsreisen und emotionale Ausfälle hat sie mit der Zeit ihre eigene Lösung gefunden, indem sie mit einem anderen Prediger eine Affäre begann. Als Sonny dahinterkommt, gefriert sein sanftes Lächeln zur Maske. Er zieht dem Nebenbuhler mit dem Baseball-Schläger eins über, versenkt sein Auto in einem See, zerreißt seinen Paß und flieht zu Fuß von Texas nach Louisiana, wo er wieder damit beginnt, was er am besten kann: Predigen.

Robert Duvall betrieb das ehrgeizige Filmprojekt, zu dem er auch das Drehbuch schrieb, über 13 Jahre lang. Für den erhofften „Oscar“ als bester Hauptdarsteller langte die schauspielerische Tour de force zwar nicht, doch neben der Nominierung wird die eigenwillige Gesamtleistung des 67jährigen in Erinnerung bleiben, der mit dem (im Original) fast zweieinhalbstündigen Film ein sperriges Werk geschaffen hat. Denn die ungewöhnliche Charakterstudie orientiert sich kaum an gängigen oder vergleichbaren Mustern. Für eine Schuld- und Sühnegeschichte fehlt nahezu jede dramaturgische Akzentuierung. Weder scheint der Prediger an düsteren Träumen zu leiden noch das Blut an seinen Händen zu spüren, obwohl er weiß, daß der unglückliche Liebhaber nicht mehr aus dem Koma erwachte. Einzig seine Familie vermißt er, die beiden Kindern und seine eigene Mutter, die in der Zwischenzeit gestorben ist. Wenn am Ende die Polizei vor der Kirche vorfährt und der Apostel seinen letzten Auftritt bis zur Neige auskostet, hat er das bevorstehende Strafverfahren zwar akzeptiert und durch seine Radiopredigten vielleicht sogar unbewußt herbeigeführt; doch statt „Zerknirschung“ oder „Umkehr“ zeigen die letzten Bilder einen Trupp von Sträflingen beim Straßenbau, der unter Sonnys Regie religiöse Lieder schmettert.

Religion oder Religiosität wird hier durch den nahezu dokumentarischen „Touch“, der dem Film ein unspektakuläres Gewebe verleiht, vor karikierenden Momenten bewahrt. Sonny ist kein Scharlatan; seine exaltierten Predigten sind keine leeren Gesten, auch wenn das Moment des Showgeschäfts nie geleugnet wird. Die religiösen Feiern der Freikirchen gleichen einer komplizierten Performance, in die die Gemeindemitglieder mindestens so aktiv wie der Prediger einbezogen sind. Indem Duvall sich kein Urteil anmaßt und sorgfältig darauf achtet, daß die charakterliche Ambivalenz seiner Hauptfiguren nicht auf seinen „Job“ abfärbt, vermittelt er einen lebendigen Eindruck von einer „Frömmigkeit“, die vielen Außenstehenden fremd und unverständlich erscheint. Das soziale Engagement aber und die Kraft der Gemeinschaft, die aus dem Wirken des „Apostels“ erwachsen, sprechen eine zu deutliche Sprache, als daß kritische Geister darüber mit einem Schulterzucken hinweggehen könnten. Selbst der evangelikale Grundzug, der am Rande zu spüren ist, sollte niemanden abschrecken, sich auf nichtalltägliche Entdeckungsreise in eine etwas schillerndere Ecke des religiösen Kaleidoskops einzulassen.
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