Drei Leben und ein Tod

Tragikomödie | Frankreich 1996 | 123 Minuten

Regie: Raúl Ruiz

In drei Episoden stellt Marcello Mastroianni Männer dar, die plötzlich und oft ohne erklärbaren Grund ihre Identität wechseln. Erst im Epilog wird ersichtlich, daß es sich bei den dreien um eine einzige Person handelt, die sich die Geschichten ihres Lebens zurechtgebogen und dabei ihre Identität längst verloren hat. Ein intellektuelles Vexierspiel, das mit Träumen und Albträumen, Lügengespinsten und Hoffnungsstrahlen jongliert und in der Tradition Luis Buñuels die Elemente des traditionellen Erzählkinos benutzt, um sie ad absurdum zu führen. Ein anspruchsvolles ironisches Gegenwartsmärchen, dessen Hintergründigkeit sich mitunter nur schwer erschließt. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
TROIS VIES ET UNE SEULE MORT | TRES VIDAS E UMA SO MORTE
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
Gemini Films/Madragoa Filmes/La Sept Cinéma/Canal+/Centre National de la Cinématographie
Regie
Raúl Ruiz
Buch
Raúl Ruiz · Pascal Bonitzer
Kamera
Laurent Machuel
Musik
Jorge Arriagada
Schnitt
Rodolfo Wedeles
Darsteller
Marcello Mastroianni (Mateo/Georges/der Butler/Luc Allamand) · Anna Galiena (Tania) · Marisa Paredes (Maria) · Melvil Poupaud (Martin) · Chiara Mastroianni (Cécile)
Länge
123 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Tragikomödie
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Wie Raoul Ruiz’ „Genealogien eines Verbrechens“ (fd 33 275) ist auch „Drei Leben und ein Tod“ ein ironisches Puzzle, das den Zuschauer ständig auf falsche Fährten lockt. Geschichten werden angerissen, um dann Nebensträngen zu weichen, die sich zwar hübsch ausnehmen, aber zunächst wenig Sinn machen. Erst am Ende fügt sich das Ganze zum Spiegel des diskreten Charmes von Zeitgenossen, die ihr wahres Wesen permanent verschleiern und dafür lauter kleine und große Lebenslügen produzieren und kultivieren. Marcello Mastroianni spielt die Figur, mit der dieses Thema wie in einer chemischen Versuchsanordnung vorgeführt wird; es ist eine der letzten Aufgaben des Darstellers, der hier noch einmal an die großen Rollen seines filmischen Oeuvres erinnern kann: ein Mann, der seine Identität permanent zerstört und zugleich auf der Suche nach ihr ist; ständig zwischen imaginärer Freiheit und der Sehnsucht nach Partnerschaft und Nähe hin- und herpendelnd. Ruiz läßt ihn in drei Episoden auftreten, die auf den ersten Blick nichts miteinander verbindet außer einem Rundfunkmoderator, der sie in Zwischenschnitten zu erzählen beginnt und dessen Off-Stimme dann den Film begleitet. In der ersten Episode spielt Mastroianni einen alternden Vertreter; vor 20 Jahren hatte er seine Frau und die kleine Tochter verlassen, jetzt kehrt er mit einer merkwürdigen Legende zurück: Er habe in einer Wohnung ganz in ihrer Nähe gelebt, und geheimnisvolle Feen hätten die Zeit vor seinen Augen gefressen. Die zweite Episode zeigt den Darsteller als berühmten Professor der Anthropologie, den eine merkwürdige Kraft zwingt, seine alte dominante Mutter zu verlassen und Bettler zu werden. Als solcher verliebt er sich in eine Hure, die in Wirklichkeit Unternehmerin ist, aber auch sie verläßt er wieder. Der dritte Teil konfrontiert den alten Mann schließlich mit einer jungen Frau (gespielt von Mastroiannis Tochter Chiara), der er ein Schloß schenkt, in dem er selbst incognito als Butler lebt.

Erst am Schluß, im Epilog, verknüpft Ruiz die einzelnen Fäden zu einem etwas absonderlichen und schwer durchdringlichen Knäuel. Die Männer, die Mastroianni bis dahin porträtierte, erweisen sich als eine einzige Figur; auch die Frauen, die in den drei Geschichten agierten, gehören irgendwie zusammen: als Mutter und Tochter beispielsweise. Ruiz versteht solche Konstruktionen, die deutlich an den späten Luis Buñuel erinnern, als ironisches Spiel mit den Modellen des tradierten Erzählkinos und zugleich als intellektuell anspruchsvollen Gegenentwurf, als Gedankenexperiment. Nicht der Alltagsrealismus interessiert ihn, sondern die Magie, die die Irrungen und Wirrungen des Alltäglichen bewirkt und zugleich von ihnen gespeist wird. „Drei Leben und ein Tod“ ist eine freie Fantasie aus Träumen und Albträumen, Lügengespinsten und Hoffnungsstrahlen. Das Konglomerat aus Magie, Märchen und Ironie manifestiert sich auch ganz direkt: Unter anderem stellt Ruiz das Vergehen von Zeit durch Trickaufnahmen von „Feen“ dar, die im Eiltempo Zeitungen und Zeitschriften verschlingen und weder vor der „Humanité Dimanche“ noch vor dem „Figaro“ Halt machen. Und als Bösewicht geistert ein humpelnder, stotternder Mann in weißem Anzug durch die Episoden – das schwarzhumorige Zerrbild des Helden, ein Abgesandter aus den Comic Strips.
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