Die göttliche Komödie

Tragikomödie | Portugal/Frankreich 1995 | 163 Minuten

Regie: Joao César Monteiro

Ein alternder Sonderling frönt seinen diversen Leidenschaften, zu denen auch junge Mädchen und selbstgemachtes Speiseeis gehören. Die Ereignisse um ihn herum eskalieren, als er die Tochter des Metzgers in Milch badet, um so eine neue Eissorte herzustellen, deren kommerzieller Erfolg den Verkauf des Eissalons aufhalten soll. Eine fabulierfreudige Groteske, die in stilistisch streng durchkomponierten Bildern eine Gegenwelt zur nüchternen Realität entwirft und leidenschaftlich die globale Uniformierung beklagt. Der Film läßt sich ebenso als außergewöhnliche Metapher über den Zustand des Kinos lesen, wobei er sich auch obszöner und derber Ausdrucksmittel bedient, dank der außergewöhnlichen Regiekunst aber selbst nie ins Obszöne abgleitet. - Sehenswert.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
A COMEDIA DE DEUS
Produktionsland
Portugal/Frankreich
Produktionsjahr
1995
Produktionsfirma
G.E.R./Pierre Grisé Productions/Mikado Films/Zentropa Production/La Sept
Regie
Joao César Monteiro
Buch
Joao César Monteiro
Kamera
Mario Barroso
Musik
Claudio Monteverdi · Joseph Haydn · Richard Wagner · Johann Strauß
Schnitt
Carla Bogalheiro
Darsteller
Joao César Monteiro (Joao de Deus (Max Monteiro)) · Claudia Teixeira (Joaninha) · Raquel Ascendao (Rosarinho) · Manuela de Freitas (Judite) · Gracinda Nave (Félicia)
Länge
163 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Tragikomödie
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Diskussion
Verrückt, extravagant, elegant, bizarr, erotisch, schamlos, pervers, geistreich und unterhaltsam – so lauteten die Bewertungen dieses Spielfilms anläßlich seiner Uraufführung 1995 bei den Filmfestspielen in Venedig. João César Monteiro ist eine singuläre Gestalt im portugiesischen Kino und ohne Vergleich in der Kinematografie seiner Heimat. Er gilt mit seinem bislang vorliegenden Oeuvre als kompromißloser Ästhet, Exzentriker, Zyniker und Kritiker des neuen Portugal, das sich und seine Seele, seine Melancholie und Traurigkeit in den Augen vieler an den Westen verkauft hat. „Die göttliche Komödie“ ist inhaltlich wie formal ein radikales, provokatives Meisterwerk. Die Hauptfigur, ein Sonderling, an dem Jean Paul seine Freude gehabt hätte, zelebriert jeden Tag seines Lebens wie eine Ewigkeit. In einer Eisdiele namens „Paradiso“ achtet Max Monteiro auf höchsten Hygienestandard und preist stolz seinen Kunden die berühmte Spezialität des Hauses an. In seiner Wohnung widmet er sich seinem ausgefallenen Hobby, der Vervollständigung einer Sammlung weiblicher Schamhaare in einem liebevoll gepflegten und wissenschaftlich angelegten Album, seinem Tagebuch der Gedanken. Seine eigentliche Leidenschaft gilt der Verführung junger Frauen, deren Düfte und Körperausscheidungen er für die Gewinnung neuer Geschmackssorten verwendet. So lädt er eines Abends seine neue Angestellte, die Tochter des Metzgers um die Ecke, ein, um durch ein ausgiebiges Milchbad, das er genüßlich für sie zubereitet, eine neue Variante für seine Eisdiele zu erhalten. Doch alle Anstrengungen nutzen nichts. Die Inhaberin des Salons hat französische Geschäftspartner eingeladen, und die Präsentation endet in einem Desaster. Max verliert seine Anstellung, die Eisdiele wird zum amerikanischen Konsumtempel, und seine Wohnung findet er schließlich ausgebrannt vor.

Max Monteiro ist Erotomane und Libertin, maliziös und nur der eigenen Fantasie verpflichtet. Eine menschliche Herausforderung, die mit ihrem Diskurs im Gewand der surrealen Komödie den diskreten Charme der Bourgeoisie entlarvt, die Sehgewohnheiten auf eine Geduldsprobe stellend. „Die göttliche Komödie“ ist eine herrliche Groteske, und jede Sequenz besitzt ihren eigenen Rhythmus, ihren musikalischen Kontrapunkt. Der Film beginnt mit Montiverdis „Beate Virgine“ auf schwarzem Untergrund, wobei ein Sternenhimmel, ein Sonnensystem die philosophische Dimension vorgibt. In seinen stilistisch streng durchkomponierten Bildern entwirft er eine seltene Ironie des Ver-Rückten, des Unkontrollierten, die Sehnsucht nach einer anderen Welt. Es ist der Kosmos einer verlorenen Zeit, ein Manifest des Lebens, der Lebenskunst und des Kinos im Zeichen einer immer stärker und rascher um sich greifenden globalen Uniformisierung. Lissabon, Metropole der einstigen lusitanischen Weltmacht, erscheint dem Regisseur wie eine Insel des Widerstands, als ein Hort gegen den zentralistisch verordneten europäischen Film. „Portugal, ein Land von gelernten Träumern“ hat der Essayist Eduardo Lourenco geschrieben, kennt diese Figur des heiligen Verrückten, der unserer rationalen, kontrollierbaren Welt die alte Vertrautheit und Weisheit vorstellt, in der heute kein Platz mehr für Träume ist. Monteiros Held läßt einen unruhig, nachdenklich werden. Er ist der Unterschied, er sieht den Unterschied. Sein Film repräsentiert eine pikareske Weltsicht, der spanischen vergleichbar. Es ist eine Reise durch die Welt Portugals, mit seinem glücklichen Unglück, seinen Frustrationen, seinen versteckten und noch verrückteren Sehnsüchten, die zu einem wundersamen Abenteuer wird. Ein iberischer Surrealismus in der großen Tradition von Quevedo y Villegas, Goya und Buñuel. Aber auch eine geniale ironische Metapher für den Zustand des Kinos – nicht nur in Portugal. Denn für den Schauplatz Eissalon läßt sich auch Kino bzw. Film lesen. Nicht umsonst wird seine mit großer Individualität hergestellte Eisspezialität umgewidmet in eine geschmacksneutrale „Ice Cream“. Die Vormachtstellung Hollywoods ist auch in Portugal unübersehbar. „Die göttliche Komödie“ belegt die einzigartige Stellung Monteiros im zeitgenössischen Kino Portugals, mit seiner leidenschaftlichen, leuchtenden und prophetischen Art; einer Dimension von göttlicher Unorthodoxie, die überall so schmerzhaft vermißt wird.
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