Zug des Lebens

Komödie | Frankreich/Belgien/Niederlande 1998 | 103 Minuten

Regie: Radu Mihaileanu

1941, irgendwo in Osteuropa: Die Bewohner eines kleinen jüdischen Shtetls organisieren ihren eigenen Deportationszug, um der Verschleppung durch die Deutschen zu entkommen, und planen die Flucht über Russland nach Palästina. Eine bittere Komödie vor dem Hintergrund der Shoa, die das Tragische im Komischen spürbar werden lässt und dem typisch jiddischen Humor ein Denkmal setzt. Zwar hätten manche Charaktere der Vertiefung bedurft, insgesamt aber ist der (hervorragend gespielte) Film eine überdenkenswerte Auseinandersetzung mit dem Thema Holocaust, der trotz aller erzählerischen Leichtigkeit das Leben als Albtraum schildert. - Ab 14 möglich.
Zur Filmkritik filmfriend

Filmdaten

Originaltitel
TRAIN DE VIE
Produktionsland
Frankreich/Belgien/Niederlande
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Tiberius/Noé Prod./ Raphael Films/7IA-Le Studio canal+/Hungry Eye Lowland Pictures BV/Canal+Ecriture/PolyGram Audiovisuel
Regie
Radu Mihaileanu
Buch
Radu Mihaileanu
Kamera
Giorgos Arvanitis · Laurent Dailland
Musik
Goran Bregovic
Schnitt
Monique Rysselinck
Darsteller
Lionel Abelanski (Shlomo) · Rufus (Mordechai) · Clément Harari (Rabbi) · Michel Muller (Yossi) · Bruno Abraham-Kremer (Yankele)
Länge
103 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14 möglich.
Genre
Komödie
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Neben der unauffälligen Standardausgabe ist zudem eine umfangreichere Special Edition (2DVDs) erschienen. Die Extras dieser Ausgabe umfassen u.a. ein ausführliches, sehr informatives Booklet (28 Seiten) sowie ein umfangreiches, erschöpfendes Werkstadtgespräch mit dem Regisseur und seinem Vater (ca. 80 Minuten). Die Special-Edition (2 DVDs) ist mit dem Silberling 2004 ausgezeichnet.

Verleih DVD
Sun Film (1.85:1, DD5.1 frz./dt.)
DVD kaufen

Diskussion
Vor zwei Jahren heimste Roberto Benignis „Das Leben ist schön“ (fd 33 422) überschwängliches Lob ein, provozierte aber auch harsche Kritik. Darf man eine Komödie drehen, die den Holocaust zum Thema hat? Verharmlost dieses Genre die Shoah und beleidigt somit das Andenken der Ermordeten? Ähnlichen Fragen dürfte sich auch Radu Mihaileanu ausgesetzt sehen, der, ebenso wie Benigni, mit seinem Film „Zug des Lebens“ die Macht der Fantasie angesichts unvorstellbaren Schreckens beschwört. „La vida es un sueno“: Getreu dem Motto des Barocktheaters, das Leben sei nur ein Traum, stürzen sich die Bewohner eines kleinen osteuropäischen jüdischen Shtetl im Sommer 1941 in eine waghalsige, zuweilen an Lubitschs „Sein oder Nichtsein“ (fd 24 433) erinnernde Charade, um der Verschleppung durch die vorrückenden Nazis zu entgehen. Der Rettungsplan ist so irrwitzig, dass er nur vom wunderlichen, aber durchaus respektierten Dorfnarren Shlomo stammen kann. Die Einwohner setzen ihr gesamtes Hab und Gut ein, um eine Lokomotive und einige Waggons zu kaufen, die sie allesamt, getarnt als Deportationszug, über Russland in die Freiheit nach Palästina bringen sollen. Während das Gros der Gemeinde unter Führung des Rabbi zusammengepfercht in den hinteren Wagen Platz nehmen muss, steckt man diejenigen, die am besten Deutsch sprechen, in selbst genähte Uniformen und lässt sie die Rolle der Nazis übernehmen. Zu deren Anführer ernennt man den Holzhändler Mordechai. Je länger die Reise dauert, desto prekärere Situationen gilt es zu meistern. Dabei droht nicht nur von den Deutschen Gefahr, sondern auch von der Résistance, die den vermeintlichen Deportationszug sprengen will. Unterdessen kommt es auch im Innern der Gemeinde zu erheblichen Spannungen. Die schöne Esther will angesichts der ungewissen Zukunft unbedingt noch einen Mann finden. Yossi, den sie verschmäht hat, gründet eine kommunistische Zelle und rebelliert gegen die menschenunwürdige Unterbringung der „Gefangenen“ in den Waggons, und die „Deutschen“ verhalten sich unter Mordechais Führung, dem Leitsatz „Kleider machen Leute“ folgend, zunehmend wie echte Nazis. Dennoch gelingt es ihnen schließlich, die russische Frontlinie zu erreichen, wo sie inmitten von Kanonenschlägen und massiven Kampfhandlungen ihren Eintritt in ein Leben in Freiheit feiern.

Radu Mihaileanu, ein nach Frankreich emigrierter rumänischer Jude, bezeichnet den Humor seines Volkes als Schutzschild gegen den Wahnsinn. Einmal erklärt der als Deutschlehrer engagierte Schriftsteller Schmecht dem „Nazi“ Mordechai, das Jiddische sei wie eine mit Humor gewürzte Parodie der deutschen Sprache. Um überzeugend Deutsch zu sprechen, brauche er also lediglich den Humor wegzulassen. Darauf erwidert Mordechai: „Wissen sie, dass sie parodiert werden? Vielleicht führen sie deswegen Krieg?“ Dem aberwitzigen Schrecken stellt Mihaileanu einen schrecklichen Aberwitz entgegen. Dabei sind die grotesken Elemente so hervorstechend, dass man als Zuschauer kaum versucht ist, das Geschehen an der historischen Realität zu messen. So ist „Zug des Lebens“ letztlich kein Film über den Holocaust, sondern eine Zelebrierung jüdischer Kultur. Darin liegt zugleich die Stärke und auch die Schwäche des Films. Es gibt wunderbare Demonstrationen jüdischen Humors, so beispielsweise, als Yossi mit seinen Leuten unter dem Ruf „Kommunisten aller Länder vereinigt euch“ fliehen will und einer seiner Männer erwidert: „Ich dachte, wir trennen uns gerade.“ Oder als Mordechai die effiziente Logik der Nazis ad absurdum führt, indem er einem deutschen Offizier erklärt, er deportiere zugleich Juden und Kommunisten und habe somit einen Zug gespart. Die Figurenzeichnung allerdings bleibt holzschnittartig auf ein oder zwei Charaktermerkmale beschränkt. Shlomo, der weise Narr oder der um Führung bemühte, aber sichtlich überforderte Rabbi hätten schärfere Konturen verdient. Eine Ausnahme bildet die Figur des Mordechai, die zugleich über ein weiteres Manko hinweghilft. In Einklang mit der grotesken Grundhaltung des Films werden die Nazis als ausgemachte Schwachköpfe präsentiert. Dadurch bleibt die Bedrohung jedoch meist eine behauptete. Dies ändert sich nur, wenn Mordechai auf den Plan tritt. Als Verantwortlicher ruft er seine allzu sorglos agierende Gemeinde immer wieder zur Ordnung und zerbricht fast unter der Belastung, dabei in einer deutschen Uniform zu stecken. Der brillant aufspielende Rufus lässt in seinen Auftritten meisterhaft das Tragische im Komischen spürbar werden. Wo beides so dicht beisammen liegt, ist kein unbeschwertes Lachen möglich. Der Humor in „Zug des Lebens“ macht sich niemals über die Opfer der Shoah lustig. Er ist vielmehr eine gleichermaßen verwegene und hilflose Geste, die keinerlei kathartische Wirkung erzielt. So vermutet man bereits, dass das grotesk anmutende Freudenfeuerwerk aus Schlachtenlärm und Kanonendonner nicht der eigentliche Schluss der Geschichte sein kann. Am Ende sind die Verhältnisse wieder gerade gerückt. Nur das Spiel ist ein Traum, das Leben hingegen ein Albtraum.
Kommentar verfassen

Kommentieren