Die Ewigkeit und ein Tag

Drama | Griechenland/Frankreich/Italien/Deutschland 1997 | 133 Minuten

Regie: Theo Angelopoulos

Ein vereinsamter griechischer Dichter, der nur noch kurze Zeit zu leben hat, versucht, die letzten Angelegenheiten zu ordnen. Während in seiner Erinnerung Stationen seines Lebens Gestalt annehmen, lernt er einen kleinen albanischen Flüchtlingsjungen kennen, der wie er selbst unbeheimatet in einer fremden Welt lebt. Beide übernehmen Verantwortung füreinander und überwinden ihre (Lebens-)Angst. Ein in langen, extrem ruhigen Einstellungen virtuos komponierter Film über den Verlust der (inneren) Heimat, der verschiedene Zeit- und Erzählebenen miteinander verbindet und eine Welt schafft, in der Vergangenheit und Gegenwart gleichberechtigt nebeneinander stehen. (Kinotipp der katholischen Filmkritik) - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
MIA EONIOTITA KE MIA MERA | L' ETERNITA E UN GIORNO | L' ETERNITE ET UN JOUR
Produktionsland
Griechenland/Frankreich/Italien/Deutschland
Produktionsjahr
1997
Produktionsfirma
Theo Angelopoulos Prod./Greek Film Centre/Greek Television (ET 1)/Paradis Films/Intermedias/La Sept Cinéma/Le Studio Canal +/Eurimages/Instituto Luce/WDR
Regie
Theo Angelopoulos
Buch
Theo Angelopoulos
Kamera
Giorgos Arvanitis · Andreas Sinanos
Musik
Eleni Karaindrou
Schnitt
Giannis Tsitsopoulos
Darsteller
Bruno Ganz (Alexander) · Isabelle Renauld (Anna) · Achileas Skevis (das Kind) · Despina Bebedeli (Alexanders Mutter) · Iris Hatziantoniou (Alexanders Tochter)
Länge
133 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Die Standardausgabe hat keine erwähnenswerten Extras. Die Premium Edition (2 DVDs) überzeugt wegen des die ganze Schaffensphase des Regisseurs umspannenden Werkstattgesprächs "Begegnungen mit Theo Angelopoulos - Berlin, 22. Juni 2007" (80 Min.). Die Premium Edition ist mit dem Silberling 2008 ausgezeichnet.

Verleih DVD
Kinowelt (16:9, 1.66:1, DD2.0 gri./dt.)
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Diskussion
Der Dichter Alexandros, seit dem Tod seiner Frau vereinsamt und verstummt, weiß, daß er nur noch einen Tag zu leben hat. Er versucht, die Dinge zu ordnen und ins Reine zu bringen, findet nach etlichen Schwierigkeiten auch einen Unterschlupf für den treuen Hund. Doch Alexandros spürt immer deutlicher, daß das Leben niemanden ganz so einfach aus der Verantwortung entläßt und es noch vieles zu regeln gäbe. Schriftstellerisch hat er sich in der Vollendung und Nachdichtung eines Revolutionsgedichts aus dem vorigen Jahrhundert festgefahren, das ihn auf den Spuren eines griechischen Poeten wandeln läßt, der, seiner Muttersprache verlustig, in Italien aufwuchs und nach der Rückkehr auf seine Heimatinsel Worte kaufen mußte, um seiner Berufung nachgehen zu können. Auch Alexandros fährt sprachlos durch Thessaloniki, findet keinen Kontakt zu seiner Tochter, deren Geburt vor 30 Jahren das größte Glück war. Dabei hängt er seinen Erinnerungen nach, die ihm die wichtigsten Personen seines Lebens vor Augen führen: seine über alles geliebte, doch vernachlässigte Frau Anna, und die Mutter, deren Stimme in der Erinnerung nachhallt und ihn auch am Vorabend seines Todes liebevoll zu Tisch ruft – ein ehemals verspieltes Kind ist an seinem Ende angelangt. Es war ein Leben voller Chancen, die durchaus genutzt wurden, deren Ausschöpfung jedoch stets mit Defiziten in anderen Lebensbereichen verbunden war; nun steht es an der letzten Schwelle, und Alexandros weiß nicht, wie es aufhören kann. In dieser Extremsituation läuft Alexandros ein albanisches Flüchtlingskind über den Weg, das er vormittags aus einer Augenblickslaune heraus vor dem Zugriff der Polizei gerettet hat und das im Laufe des Tages zu seinem Wegbegleiter wird. Er will den Jungen nach Albanien zurückbringen, doch Heimat ist längst nicht mehr der Ort, wo man sich geborgen und zu Hause fühlen könnte. Eine Straßenbahnfahrt durch die nachtleere Stadt, zu der sich einige skurrile Nachtschwärmer gesellen, stellt den Endpunkt dieser kurzen, aber intensiven Freundschaft dar. Dann heißt es Abschied nehmen. Der Junge wird das wenig freundliche „Gastland“ Griechenland verlassen und sich in Italien einer ungewissen Zukunft stellen; der Dichter wird sein letztes Morgenrot erleben. Dabei ist ihm nicht der prosaische Tod vor einer roten Ampel auf einer der Hauptverkehrsadern Thessalonikis beschieden, sondern ein poetisch-verklärter: Vor seinem Elternhaus tanzt er mit Anna in ein anderes, hoffentlich besseres Leben.

Ein fertiggestellter und ins Kino gelangender Film von Theo Angelopoulos ist an sich schon ein Ereignis, da der griechische Filmemacher seit Anbeginn seiner Karriere immer wieder Probleme hatte, Geld für seine politisch engagierten und künstlerisch höchst artifiziellen Produktionen aufzutreiben. Nach „Landschaft im Nebel“ (fd 27 421) und „Der schwebende Schritt des Storches“ (fd 30 070), die sich in erster Linie mit dem Problem der Migrationen befaßten, ist ihm mit „Die Ewigkeit und ein Tag“ wieder ein großer cineastischer Wurf gelungen, weil er individuelles Schicksal mit politischer Standortbestimmung zu verbinden versteht und seine Zweifel an dem politisch fast geeinten Europa anmeldet. Noch beeindruckender ist indes die Odyssee des Protagonisten Alexandros, der sich verzweifelt auf die Spuren seines Lebens begibt, dem Vergangenheit (sowie die Erinnerung daran) und Gegenwart zu einer Einheit gerinnen, die keine Trennungen mehr zuläßt, sondern in einer sehr komplexen Form Leben zur Sprache bringt; Leben, das mit Freundschaft, Liebe, Verantwortung, aber auch mit Trauer und Verlusten gefüllt ist, das immer Anstrengung erfordert und dessen Ziele so weit gesteckt sind, daß der einzelne sie nie erreichen kann. Dies gilt für gesellschaftliche Einlassungen ebenso wie für das Private. Im Kern ist dies ein schlichter Film über die Sinnsuche am Ende eines eigentlich erfüllten Lebens. Doch Angelopoulos spürt ungeheuer sensibel die Bruchstellen auf und fahndet nach einer tief verwurzelten Einsamkeit, die dem Menschen, vielleicht als „Erblast“, mit in die Wiege gelegt ist. Er tut dies mit seinen sehr eigenwilligen cineastischen Mitteln, reiht lange wundervolle Plansequenzen aneinander, meidet Großaufnahmen, erzählt die Geschichte in Totalen und Halbtotalen, die die Darsteller scheinbar immer mitten im Geschehen zeigen, zugleich jedoch das Maß ihrer Ausgrenzung deutlich machen. Seine besondere Meisterschaft läßt Angelopoulos dort erkennen, wo er verschiedene Zeitebenen miteinander verwebt und ein komplexes Raum-Zeit-Gefühl vermittelt, das auf den ersten Blick schwer zu lesen sein mag, den Zuschauer aber einem erzählerischen Ideenreichtum aussetzt, der kaum noch seinesgleichen kennt. Getragen wird der Film zudem von einem fantastischen Hauptdarsteller. Einige scheinbar selbstverliebte Eigenzitate machen im Kontext durchaus Sinn, da Angelopoulos’ gesamter cineastischer Kosmos noch einmal Revue passiert. Eine außergewöhnliche Leistung des 64jährigen Regisseurs, die wohl zum Besten zählt, was das europäische Kino in den letzten Jahren hervorgebracht hat.

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