Der General (1998)

Biopic | Großbritannien 1998 | 124 Minuten

Regie: John Boorman

Aufstieg und Fall des irischen Unterweltbosses Martin Cahill, der seine Straftaten als Widerstandsaktionen gegen das kapitalistische System deklarierte, sich Zeit seines Lebens mit Freund und Feind anlegte und im August 1994 von der IRA erschossen wurde, weil er sie brüskiert hatte. Das in faszinierenden schwarz-weißen Bildern inszenierte Porträt einer charismatischen Führerpersönlichkeit, die sich in der Rolle des Arbeiterklasse-Heroen gefiel, letztlich jedoch an der eigenen Hybris scheiterte. Ein künstlerisch und darstellerisch überzeugender Film, der seinen Protagonisten als Held einer antiken Tragödie stilisiert und dessen Inszenierung zwischen Dokumentarismus und mythischer Überhöhung changiert. (Der Film liegt auch in einer fürs Fernsehen erstellten Farbfassung vor.) - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
THE GENERAL
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Merlin Films
Regie
John Boorman
Buch
John Boorman
Kamera
Seamus Deasy
Musik
Richard Buckley
Schnitt
Ron Davis
Darsteller
Brendan Gleeson (Martin Cahill) · Jon Voight (Inspector Ned Kenny) · Adrian Dunbar (Noel Curley) · Sean McGinley (Gary) · Maria Doyle Kennedy (Frances Cahill)
Länge
124 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Biopic
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IMDb | TMDB

Diskussion
Im Augenblick des Todes, lautet ein beliebter Topos, zieht das gesamte Leben noch einmal wie ein Film vor dem geistigen Auge vorbei. Autor, Regisseur und Produzent John Boorman macht sich dies als dramaturgischen Rahmen für sein langumkämpftes Herzensprojekt „The General“ zunutze, das auf der Vita von Irlands prominenstestem Dieb Martin Cahill beruht, der im August 1994 von der IRA erschossen wurde. Für die ausbalancierte Synthese aus Filmbiografie, Sozialdrama und „Caper“-Film erhielt Boorman 1998 in Cannes den Regiepreis. Der gebürtige Engländer kehrt mit seinem besten Film seit langem nach einer ebenso von Hochs („Excalibur“, fd 22 998) wie Tiefs („Die Zeit der bunten Vögel“, fd 28 283) gekennzeichneten Hollywoodkarriere in das Kriminellenmilieu seines frühen Films „Point Blank“ (fd 15 307) und auf die grüne Insel zurück, auf der er lange gelebt hat. Boormans charismatischer Dubliner Cahill ist ein korpulenter Verschnitt aus Robin Hood, Al Capone und Jesse James, der nach seinen eigenen Gesetzen und Regeln lebt, geradlinig und widersprüchlich zugleich. Dazu gehören bei dem fünffachen, liebevollen Familienvater der Verzicht auf Alkohol und Zigaretten ebenso wie die glückliche Dreierbeziehung mit seiner Frau Frances und deren Schwester Tina sowie seine weißen T-Shirts mit infantilen Schweinchen-Motiven. Dieser irische Dickschädel ist seit seiner Kindheit und dem sexuellen Mißbrauch in einer katholischen Besserungsanstalt von einem tiefen Hass gegen Autoritäten und Institutionen jeglicher Couleur durchdrungen, der sich im Kampf „wir gegen sie“ immer wieder Bahn bricht. Als Repräsentant der Armen und Ausgebeuteten seines Heimatstadtteils Hollyfield, einem der heruntergekommensten der Stadt, legt sich der Sozialrebell mit den Besitzenden und der staatlichen Obrigkeit an, die verzweifelte Familien gnadenlos zwangsräumen läßt und ihre Wohnungen der Abrißbirne preisgibt. Seine immer gewagteren Diebstähle und Einbrüche sind stets auch ein Akt des Widerstands gegen das kapitalistische System und machen den ebenso gewitzten wie erfinderischen Meisterdieb selbst zu einer Autorität mit den „heidnischen Charakterzügen eines keltischen Stammeshäuptlings“ (Boorman): „The General“ nennen ihn nicht nur seine Gangmitglieder und Bewunderer mit paramilitärischem Respekt, sondern auch seine Feinde und Gegenspieler wie der hartnäckige Polizeiinspektor Ned Kenny.

Fiktion, die auf Fakten basiert, lautete Boormans Devise auf den Spuren des publicityscheuen Cahill, von dem es nicht einmal ein anständiges Foto gab, da er sich in der Öffentlichkeit immer die Finger vors Gesicht hielt oder die Kapuze seines Anoraks über den Kopf zog. Beides verschmilzt der englische Regisseur und Autor zu einem eingängigen Porträt eines Arbeiterklasse-Heroen, der die Fassade aufrecht hält und geduldig für seine Stütze ansteht, aber schon mit dem Handy den nächsten Coup organisiert. Boorman legt ihm immer wieder prägnante Textzeilen und Aussagen in den Mund: Queen Elisabeth sei sein Vorbild, provoziert das irische Urgestein beispielsweise nordirische Terroristen, denn sie zahle ebenfalls keine Steuern. Anders als die Protagonisten seiner Landsmänner Stephen Frears oder Ken Loach umgibt diesen Martin Cahill ein Mythos, den die zwischen Überhöhung und Dokumentarismus changiernden schwarz-weißen CinemaScope-Bilder des Kameramanns Seamus Deasy erfahrbar machen. Boormans Faszination von Cahills Dreistigkeit und dessen enormer krimineller Intelligenz ist deutlich spürbar, doch interessiert ihn vor allem die Widersprüchlichkeit dieses prinzipientreuen Schwerkriminellen, der zugleich ein überzeugter Antiautoritärer ist und doch seine Machtposition im Ernstfall mit autokratischer Härte und Anmaßung ausübt, der durch und durch Individualist ist, zugleich aber die Familie und alte Freunde über alles stellt. Der bemerkenswerte und in Deutschland noch viel zu wenig bekannte Hauptdarsteller Brendan Gleeson besitzt nicht nur eine große physische Ähnlichkeit mit dem wirklichen Cahill, sondern verleiht den Widersprüchen und inneren Regungen seiner Figur glaubwürdigen Ausdruck. Wie der Held einer griechischen Tragödie scheitert Cahill nicht zuletzt an sich selbst, an seiner eigenen Hybris. Er gefällt sich als „Pate“ nach italienischen Vorbildern und legt sich mit allen an, selbst mit seinen Vertrauten und mit der IRA, die er durch seine Kollaboration mit der protestantischen Gegenorganisation Ulster Volunteer Force brüskiert. Nach einem körperlichen Zusammenbruch steigert sich seine Vermessenheit bis zu Paranoia-Attacken, während seine Freunde einer nach dem anderen hinter Gitter wandern. Am Ende ist der „General“ ausgebrannt und isoliert: Gegen seine Hinrichtung durch die Hand eines IRA-Killers wehrt sich der einstige Überlebenskünstler nicht einmal mehr.
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