Teurer als Rubine

Drama | USA 1997 | 117 Minuten

Regie: Boaz Yakin

Eine junge New Yorker Chassidin, die sich nicht auf ihr Dasein als Mutter und Hausfrau einschränken lassen möchte, beginnt, als Einkäuferin eines Juwelenhändlers zu arbeiten. Als sie einen talentierten afro-puertorikanischen Künstler entdeckt und fördert, wird sie aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Sensibel erzählte Emanzipationsgeschichte, die gelegentlich zur Überdeutlichkeit neigt und die religiös durchdrungene Alltagswelt der orthodoxen Juden nur perspektivisch streift. Dank der eindrucksvollen Hauptdarstellerin und präziser Momentaufnahmen kultureller Verwurzelung gelingt dem Film dennoch ein Beitrag zu Toleranz und Achtung. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
A PRICE ABOVE RUBIES
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1997
Produktionsfirma
Miramax/Lawrence Bender Prod./Pandora Films/Channel Four
Regie
Boaz Yakin
Buch
Boaz Yakin
Kamera
Adam Holender
Musik
Lesley Barber
Schnitt
Arthur Coburn
Darsteller
Renée Zellweger (Sonia) · Christopher Eccleston (Sender) · Glenn Fitzgerald (Mendel) · Allen Payne (Ramon) · Julianna Margulies (Rachel)
Länge
117 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Eine Ahnung, wie weit in Deutschland der Weg zu einer „multikulturellen Gesellschaft“ oder schlichter, aber alltagsrelevanter Toleranz noch ist, konnte man jüngst in den Auseinandersetzungen um das Kopftuch einer muslimischen Lehrerin gewinnen. Was unter dem Stichwort „Integration“ jahrzehntelang den gesellschaftlichen Konsens bestimmte, enthüllt allmählich seine gefährliche Schieflage, weil sie unbewußt vom Ideal der Assimilation ausging. In die Welt, in die Boaz Yakin mit seinem zweiten Spielfilm geleitet, existieren unterschiedliche „communities“ zumindest nebeneinander. Der in Israel geborene Regisseur taucht darin in die New Yorker Viertel von Harlem und Brooklyn ein, wo sich neben vielen Mischformen auch kulturelle Milieus behauptet haben, die ehern an ihren überkommenen Traditionen festhalten. Sonia ist eine junge chassidische Jüdin, die nach dem Willen ihrer Eltern einen Thora-Lehrer geheiratet hat. Ihre Ehe mit Mendel leidet allerdings unter dessen strenger Auslegung der religiösen Regeln, deren Studium er sein ganzes Leben widmet. Den Tag verbringt Sonia mit ihrem Neugeborenen meist allein, weil Mendel nach dem Unterricht in die Synagoge oder das Haus des Gemeindevorstellers eilt, um die Nähe des Rebbe zu suchen. Für die Anliegen seiner Frau hat er so wenig Gespür wie für ihre Sehnsucht nach Nähe und Zärtlichkeit. Mendels Bruder Sender dagegen ist aus anderem Holz geschnitzt. Obwohl er sich äußerlich den Gesetzen der orthodoxen Gemeinschaft unterwirft, weiß er sie zu seinen Gunsten auszulegen. Er verschafft Sonia, die von ihrem Vater ein untrügliches Gespür für Edelsteine geerbt hat, eine Stelle in seinem Juwelierladen, weil er sich davon hohen Gewinn verspricht und sich außerdem sexuell an ihr schadlos hält. Sonia nutzt die Chance, der drückenden Enge zu entkommen, und macht sich bald als unbestechliche Expertin einen Namen. Mendel aber mißfällt die wachsende Selbständigkeit seiner Frau. Als Sonia einen außergewöhnlichen Ring entdeckt, seinen Schöpfer, einen Afro-Puertorikaner, ausfindig macht und mit viel Überzeugungsgabe fördert, kommt es zum Bruch: Sonia wird aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und muß ihren Sohn zurücklassen.

Ähnlich wie Peter Weir in „ Der einzige Zeuge“ (fd 25 072) skizziert auch Yakin den Alltag einer religiösen Gruppe, die durch ihren Verhaltenskodex auf strikte Abgrenzung zum Rest der Welt achtet. Das Bild, das er dabei von den New Yorker Chassiden entwirft, ist perspektivisch deutlich auf die sensible Emanzipationsgeschichte einer Frau ausgerichtet, die sich mit dem Schicksal einer sich untergeordneten Hausfrau nicht zufrieden geben will. Schon Filmtitel und Vorspann forumulieren implizit eine Frage. „Teurer als Rubine“ ist ein Zitat aus den Spruchweisheiten des Alten Testaments, in der die duldsame Aufopferung einer Frau für die Familie als das gerühmt wird, was Männern mehr wert ist als rotfunkelnde Edelsteine. Dem Ring allerdings, der zu den Credits auf der schwarzen Leinwand funkelt, fehlt eben jene Gemme und fügt sich erst im Abspann zwischen die goldenen Figuren eines Liebespaares, wenn Sonia ihre Antwort gefunden hat. Der behutsame Rhythmus, mit dem der Film dem seelischen Ringen folgt, läßt auch Raum für märchenhafte Elemente wie die Geschichte von Sonias Großmutter, die ein uneheliches Kind zur Welt brachte und nach ihrem Tod weder im Himmel noch in der Hölle Platz fand, weshalb sie zur ewigen Wanderschaft verdammt ist. Yakin läßt sie als Gesprächspartner Sonias ebenso auftreten wie ihren Bruder Jossi, der als Kind ertrank. Im zum Bild geronnenen inneren Dialog spielen beide wichtige Rollen, ohne daß der Realismus des Ganzen aufgehoben würde. Hier wie an manch anderer Stelle läuft Yakin öfters Gefahr, in eine redundante Überdeutlichkeit abzugleiten, weil das Thema der schmerzhaften Selbstwerdung kaum verschlüsselt wird und vor allem zu oft anklingt. Daß man dem leisen Drama dennoch gerne folgt, liegt an Renée Zellweger, die die eigenwillige Jüdin mit viel Sinn für die Grenzen ihrer Figur verkörpert und vor allem die inneren Spannungen mimisch eindrucksvoll herausarbeitet. Obwohl Boaz Yakin das orthodoxe Judentum aus eigener Anschauung kennt, bleiben typische Szenen aus dem chassidischen Leben eigenartig blaß bis plakativ, ohne freilich in Lächerlichkeit abzugleiten. Yakins Sensibilität im filmischen Umgang mit Lebenswelten wird dort spürbar, wo sich Renée Zellweger auf Fremdes einläßt: bei nichtkoscheren Frühlingsrollen die Lust am Verstoß, im Atelier des Künstlers die Grenze ihrer Moral. Hier gelingen präzise Momentaufnahmen kultureller Verwurzelung, die unabhängig von Abgrenzung oder Anpassung den Reichtum und die Vielfalt der Völker unterstreichen. Dies wahrzunehmen und nicht als bedrohlich abzuwehren, ist toleranzförderlicher als nivellierende Eingemeindung.
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