Hinter dem Horizont

Literaturverfilmung | USA 1998 | 106 Minuten

Regie: Vincent Ward

Ein Kinderarzt stirbt bei einem Unfall und findet sich in einem Himmel wieder, der aus seinen eigenen Vorstellungen erwächst. Als sich seine verzweifelte Frau das Leben nimmt und in die Hölle kommt, macht er sich auf den Weg, um sie zu befreien. Ein farblich außergewöhnlich brillanter Film, der die Kunst digitaler Spezialeffekte in den Dienst einer bilderstarken Jenseitsgeschichte stellt; Paradies wie Unterwelt werden dabei an Hand bedeutender Kunstwerke gestaltet. Die zeitgenössische Vision eines solipsistisch verengten "Barock"-Paradieses leidet an dramaturgischen Schwächen, worüber auch die stupende Kompilation an Architektur und Malerei nicht hinwegtäuschen kann. Nachdenklich stimmt das Fehlen eines jeden reflektierten Bezuges auf menschliche Existenzerfahrung, worin sich neue mythologisierende Sehnsüchte manifestieren. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
WHAT DREAMS MAY COME
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Interscope Communications/Metafilmics/Polygram
Regie
Vincent Ward
Buch
Ronald Bass
Kamera
Eduardo Serra
Musik
Michael Kamen
Schnitt
David Brenner · Maysie Hoy
Darsteller
Robin Williams (Chris Nielsen) · Cuba Gooding jr. (Albert) · Annabella Sciorra (Annie Nielsen) · Max von Sydow (Spurenleser) · Jessica Brooks Grant (Marie Nielsen)
Länge
106 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Literaturverfilmung
Externe Links
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Diskussion
Vom ersten Augenblick an verschlägt es einem in Vincent Wards filmischer Licht- und Farbenevokation den Atem: wenn die Kamera in bestechendem CinemaScope über einen Schweizer Bergsee gleitet und Robin Williams’ Stimme im Off davon zu sprechen anhebt, wie ihm seine Frau Annie begegnet ist. Die schneebedeckten Gipfel transzendieren ins All, Annies rotes Schultertuch flattert glückstrunken im Wind, Landschaft und Atmosphäre atmen den Himmel auf Erden. Dieses glühende Malen auf Zelluloid setzt sich fort in Amerika, wo im großzügigen Familienhaus jede Schattierung geheimnisvoll leuchtet und die Bäume in magischer Pracht glänzen, aber auch bei der Trauerfeier für ihre beiden tödlich verunglückten Kinder, in der allein durch die erloschenen Töne alles gesagt ist, bevor noch ein Wort fällt. Vier Jahre nach diesem traurigen Tag versucht Chris, der als Kinderarzt arbeitet und sich auf dem Heimweg befindet, bei einem Unfall erste Hilfe zu leisten – und steht im nächsten Moment neben seiner völlig aufgelösten Frau, kurz darauf unweit einer Beerdigung. Ein flirrender Schattenriß neben ihm klärt ihn auf, daß es seine sterblichen Überreste sind, die eben zu Grabe getragen werden. Albert, der erst im Jenseits greifbare Konturen annimmt, läßt ihm Zeit, sich an sein neues Dasein zu gewöhnen und die Vergeblichkeit seiner Versuche einzusehen, seiner verzweifelten Frau beizustehen. An Stelle grotesker Kontaktaufnahmen wie in „Ghost – Nachricht von Sam“ (fd 28 562) läßt sich Chris resigniert fallen – und landet in einer monetschen Blütenpracht, deren satte Ölfarben noch nicht trocken sind. „Die Gedanken sind die Wirklichkeit, die Materie nur Illusion“, gibt ihm der Engel mit auf den Weg, der ihn in ein utopisch-reales Paradies geleitet, das aus Chris’ eigenen Vorstellungen erwächst.

„Hinter dem Horizont“ ist ein unglaublich brillanter Farbfilm, der die Kunst digitaler „special effects“ in den Dienst einer faszinierend-schillernden Idee stellt. Nach einem Roman des Science-Fiction-Autors Richard Matheson entwirft Ward die berückende Vision eines zeitgenössischen „Barock“-Himmels, in dem die subjektiv-solipsistische Konstruktion des Jenseits an die Stelle einer himmlischen Gemeinschaft getreten ist. Weil Annie Gemälde des 19. Jahrhunderts restaurierte und ihre eigene Malerei für beide zur emotionalen Zuflucht nach dem Tod der Kinder wurde, wandelt Chris nun durch faszinierende Welten von Caspar David Friedrich bis van Gogh. Alles ist möglich, weil es im Grunde nur ein Produkt der Einbildungskraft ist, weshalb Chris schon bald am liebsten in jener Schweizer Landschaft weilt, die Annie in Erinnerung ihres glücklichen Anfangs auf Leinwand bannte. Dort aber steht ein wunderschöner Baum mit blauen Blüten, den er zuvor noch nie gesehen hat. Auch Albert ist ratlos, bis er sich an seltene Fälle erinnert, in denen die Seelenverwandtschaft eines Paares auch über den Tod hinaus bestand: Annies gemalte Versuche, mit der Tragödie zurecht zu kommen. Als sich aber die Wolken verfinstern und ein Orkan den Baum entblättert, spiegelt dies ihr Scheitern wider: Sie begeht Selbstmord und hat damit den Eintritt in den Himmel verwirkt. So schlicht wie Alberts scholastische Begründung der Hölle als Ort für jene, die sich gegen die „Natur“ versündigen, fällt die „Theologie“ von Wards dantesker Wanderung dann doch nicht aus, auf die er den liebenden Orpheus in die Unterwelt schickt, denn auch dort gilt das gleiche Prinzip, daß sich jeder seinen Kosmos schafft – nur daß die Unglücklichen keinen Ausweg aus ihrem Albtraum finden. Also hetzt Chris, geleitet von einem verwitterten Spurenleser (Max von Sydow), durch grauenvolle Bosch-Szenarien, die angesichts der realen Höllen unseres Jahrhunderts freilich seltsam antiquiert wirken. Sein Ziel: die in nicht endender Selbstzerstörung gefangene Annie.

Wards Film hat einige dramaturgische Schwierigkeiten, die opulent bebilderten Jenseitsfantasien mit dem in vielen Rückblenden enthüllten Plot zu einer spannenden Geschichte zu vereinen, wofür die gigantische Kompilation an Architektur und Malerei aus zwei Jahrtausenden nur bedingt entschädigen. Als Kern seiner gemalten „Göttlichen Komödie“ enthüllt sich die Umkehrung des „Philemon-und-Baucis“-Motivs: Das vollkommene Glück ist nicht der Tod, sondern die Liebe von Mann und Frau, die diesen überwindet. Daß in dieser emphatischen Diade im Grunde kein Platz für ein Drittes (z.B. Kinder) ist, wird anfangs in einer Einstellung mehr versteckt als angedeutet. Am nachdenklichsten stimmt allerdings die „theologische“ Fallhöhe dieser Jenseitsgeschichte: Bis auf den zeitgemäßen subjektiven Konstruktivismus, der (mit Ausnahme der „Engel“-Figuren) eine konsequente Monadologie entwirft, fehlt jegliche Spur dessen, was menschliche Existenz kennzeichnet: Angst, Not, Verantwortung, Schuld. Der „Himmel“ ist in Wards Schlaraffenland-Version ein fantastisches Glückskaufhaus, in dem man nach Lust und Laune alle narzißtischen Bedürfnisse befriedigen kann, ohne dafür „bezahlen“ zu müssen. Im Kontext der „Traumfabrik“ mag ein solch radikaler Infantilismus vielleicht nicht weiter verwundern, als Spiegelbild religiöser Befindlichkeiten aber signalisiert er eine brisante Entkopplung, die die spirituellen Deutesysteme wieder Richtung Opiate verschiebt. Der soziale Existentialismus, den sich die christlichen Theologien in den letzten 80 Jahren mühsam errungen haben, scheint vor diesem Hintergrund so überholt wie alle Entmythologisierungskämpfe: Engel und Teufel sind wieder im Kommen.
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