Hongkong Love Affair

Liebesfilm | Hongkong 1996 | 116 Minuten

Regie: Peter Chan

Die episch angelegte Liebesgeschichte zwischen zwei aus dem chinesischen Hinterland nach Hongkong übergesiedelten jungen Menschen. Obwohl sich zeitweilig eine leidenschaftliche Beziehung entfaltet, verzichtet das Paar aus Familienräson auf eine dauerhafte Bindung. Nach mehreren Jahren und diversen Wechselfällen des Schicksals bietet sich ihm eine zweite Chance. Durch die genaue psychologische Charakterzeichnung, nur scheinbar nebensächliche Anekdoten sowie den hohen dokumentarischen Wert entwirft der Film das plastische Bild einer fremden Lebenswelt. Da die schicksalhaften Verkettungen der Handlung mehr und mehr überhandnehmen, verschiebt sich der Gesamtcharakter jedoch, wodurch der ansonsten ausgesprochen reizvolle Film viel von seiner künstlerisch autonomen Sprache einbüßt. (O.m.d.U.)
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Filmdaten

Originaltitel
TIAN MI MI
Produktionsland
Hongkong
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
United Filmmakers Organisation
Regie
Peter Chan
Buch
Ivy Ho
Kamera
Jingle Ma
Musik
Chau Tsang-hei
Schnitt
Chan Keihop · Kwong Chi-Leung
Darsteller
Maggie Cheung (Li Qiao) · Leon Lai (Li Xiao-jun) · Eric Tsang (Pow) · Kristy Yeung (Fang Xiaoting) · Christopher Doyle (Jeremy)
Länge
116 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Genre
Liebesfilm
Externe Links
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Diskussion
Kaum ein topografisch klar umreißbares Gebiet dieser Erde konzentriert in so hohem Maße kulturelle Widersprüche wie der Stadtstaat Hongkong. Als Scharnier zwischen konfuzianischer Tradition und westlicher Technisierung, zwischen ländlich geprägter Lebensweise und eskalierender Urbanisierung steht die ehemalige Kronkolonie als Symbol für die ganze Komplexität zivilisatorischer Prozesse. Einhergehend mit dem kulturellen Gefälle der imperialistischen Megapolis gegenüber ihrem agrarisch verbliebenen bzw. planwirtschaftlich regierten Hinterland, ergab sich zwangsläufig eine ungeheure Sogwirkung für Migrationsströme. Politisch wie wirtschaftlich mußte Hongkong für Millionen von Chinesen als glücksverheißender Fluchtpunkt erscheinen (und tut dies noch heute), als hochgradig idealisierter Gegenentwurf zu den eigenen, negativ apostrophierten Lebenserfahrungen. Es handelt sich hierbei um hochinteressante Prozesse gesellschaftlicher Umwertungen, die mit nichts geringerem als der vorchristlichen Völkerwanderung zu vergleichen sind und unsere allernächste Zukunft maßgeblich prägen werden. Doch ganz gleich ob man dieses Phänomen als apokalyptische Vision beschwört oder, wie Heiner Müller, kühl-distanziert mit dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik zu beschreiben sucht – letztlich verkörpert jeder einzelne Flüchtling ein individuelles Schicksal mit ureigenen Ängsten, Hoffnungen und Zweifeln. Das Kino bietet hin und wieder die Möglichkeit, schlaglichtartige Einblicke in dieses schillernde Kaleidoskop des Menschlich-Allzumenschlichen zu erheischen. So auch „Hongkong Love Affair“.

Die Handlung setzt im März 1986 ein: Jun trifft mit einer Vorortbahn im Zentrum Hongkongs ein, um hier sein Glück als Einwanderer zu suchen. Alles an seinem Verhalten verrät seine Herkunft: seine Kleidung, seine ständige Verwirrung ob des Großstadttrubels, seine meist völlig unangebrachten Floskeln und Gesten; ja, er spricht nicht einmal kantonesisch. Einziger Fixpunkt im fremden Chaos ist ihm Tante Rosie, die ein zwielichtiges Etablissement betreibt und von ihrer angeblichen, bereits Jahrzehnte zurückliegenden Begegnung mit William Holden zehrt. Als Jun von seinem ersten selbstverdienten Geld einen mythischen Ort namens „McDonald’s“ aufsucht, trifft er dort auf die weltgewandte und schöne Qiao. Sie gibt ihm einige Überlebenstips, freilich nicht, ohne sich die Ahnungslosigkeit des Neuankömmlings geschäftlich dienstbar zu machen. Obwohl Jun mit dem festen Vorsatz nach Hongkong gekommen war, genug Geld für die Übersiedlung seiner Verlobten zusammenzusparen, kommt es, wie es kommen muß: Jun und Qiao werden ein Paar, verbringen leidenschaftliche Stunden in einem billigen Hotel. Langsam, aber zielstrebig vollzieht sich der wirtschaftliche Aufstieg der beiden, aus Familienräson allerdings in getrennten Lebenslinien – tatsächlich feiert Jun nach drei Jahren Hochzeit mit seiner langjährigen Verlobten aus der rotchinesischen Provinz. Qiao hat sich hingegen mit dem Triadenchef Bao zusammengetan. In mehreren, über die Jahre verteilten Episoden erzählt der Film, daß Jun und Qiao zwar getrennt leben, innerlich aber enger miteinander verbunden sind als sie sich dies selbst zugestehen wollen. Zuletzt will es das Schicksal, daß sie sich nach diversen dramatischen Wechselfällen noch einmal zufällig begegnen und eine neue Chance erhalten.

„Hongkong Love Affair“ nimmt teilweise sehr gefangen: Durch die genaue psychologische Zeichnung der Charaktere, die zahlreichen Details und scheinbar nebensächlichen Anekdoten der Handlung sowie seinen hohen dokumentarischen Wert stellt sich das plastische Bild einer fremden Lebenswelt dar. Vor allem die in ihrer Heimat als Superstar gefeierte Maggie Cheung versteht es, der zunächst als oberflächig eingeführten Figur der Qiao mit zunehmender Dauer des Geschehens erstaunliche Differenzierungen abzugewinnen. Der Wunsch dieser fast zwangsneurotischen Aufsteigerin zur totalen Assimilierung in ihrer neuen Wahlheimat, die damit verbundene Verleugnung der eigentlichen Herkunft, wird glaubhaft und mit allen Widersprüchen modelliert. Auch in den Nebenrollen nimmt der Film für sich ein; eine besondere Referenz dürfte dabei die Besetzung Christopher Doyles als ständig alkoholisierter Englischlehrer darstellen: Der australische Kameramann hat schließlich durch seine Mitarbeit bei den Filmen von Wong Kar-Wei den Stil des Neuen Kinos Hongkongs maßgeblich mitgeprägt. Leider verspielt Peter Chan diese Potenzen in geradezu schmerzlicher Weise. Vor allem im letzten Drittel nehmen die schicksalhaften Verkettungen überhand und verschieben den Gesamtcharakter des Plots in Richtung Trivialklamotte. Überdeutliche Zeichen der Vorbestimmung treten mehr und mehr an die Stelle der vorher noch unaufdringlich gestalteten szenischen Arrangements. Die leitmotivisch gestaltete, an westlicher Unterhaltungsware orientierte, dabei äußerst stereotype Filmmusik übergießt das Ganze noch mit einem beschwerlich goutierbaren Zuckerguß. Dieser unmotiviert daherkommende inszenatorische Konzeptionsverlust ist um so bedauerlicher, da ein und derselbe Film an anderen Stellen bereits zu einer viel deutlicheren, künstlerisch autonomen Sprache gefunden hatte.
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