Aimée & Jaguar

Drama | Deutschland 1998 | 126 Minuten

Regie: Max Färberböck

Die Liebesgeschichte zwischen einer Hausfrau und einer jungen Jüdin im Berlin des Jahres 1943. Eine Zeit lang kann die Nazi-Mitläuferin und Mutterkreuzträgerin ihre Liebe ausleben, doch am Ende entdeckt die Gestapo das Geheimnis der beiden Frauen und deportiert die Jüdin nach Theresienstadt. Ein von zwei hervorragenden Hauptdarstellerinnen getragener Film, konzipiert nach einer wahren Begebenheit als opulentes Ausstattungskino. Zwar droht der historische Hintergrund des öfteren zur bewegenden Kulisse zu werden, so daß keine rundum überzeugende Balance zwischen Emotionen und Authentizität entsteht; und auch die langen Gespräche der unnötigen Rahmenhandlung hemmen die wild-temperamentvolle Präsenz der Darstellerinnen spürbar. Insgesamt aber ein hochinteressanter, durchaus auch bewegender Film über eine schwierige Liebe in einer schwierigen Zeit. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Senator
Regie
Max Färberböck
Buch
Max Färberböck · Rona Munro
Kamera
Tony Imi
Musik
Jan A.P. Kaczmarek
Schnitt
Barbara Hennings
Darsteller
Maria Schrader (Felice Schragenheim) · Juliane Köhler (Lilly Wust) · Johanna Wokalek (Ilse) · Heike Makatsch (Klärchen) · Elisabeth Degen (Lotte)
Länge
126 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Liebesfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
BMG (16:9, 1.85:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Der deutsche Film geht neue Wege: Nach „23 – Nichts ist wie es scheint“ (fd 33 482) und „Fette Welt“ (fd 33 504), die nicht nur die „Rückkehr des Sozialen“ markieren, sondern beweisen, daß Kino im Zeitalter des „anything goes“ nicht unbedingt einen Verlust an Authentizität bedeuten muß, kommt nun eine authentische (Liebes-)Geschichte, die für ein großes Gefühlsdrama wie geschaffen schien: „Aimée & Jaguar“, „eine Liebesgeschichte, Berlin 1943“, so der Untertitel des gleichnamigen Bestsellers von Erica Fischer, der seit seinem Erscheinen 1994 einen beispiellosen Siegeszug angetreten hat. Übersetzt in elf Sprachen, in zahlreichen Hörfunk-Features und Fernsehdokumentationen bearbeitet, verhalf das belletristische Sachbuch, mit dem die außergewöhnliche Liebesgeschichte aus den letzten Kriegsjahren zwischen einer deutschen Jüdin und einer Nazi-Mitläuferin der Vergessenheit entrissen wurde, der damals 80jährigen Lilly Wust, die verarmt und isoliert in Berlin lebte, zum späten Ruhm. Erica Fischer hatte „ein wenig Bauchweh“, als sie das Drehbuch las, denn „die bittersüße Story bietet sich zur Verschnulzung an“. Dramaturgisch hält dieses vom Leben unter extremen, unmenschlichen Bedingungen diktierte Melodram auch alle Ingredienzen des Genres bereit: Lilly Wust, vierfache Mutter und biedere Hausfrau, Trägerin des Mutterkreuzes in Bronze, verheiratet mit dem Frontsoldaten und überzeugten Nazi-Anhänger Günther, ist eine linientreue Opportunistin, die wie ihr untreuer Ehemann Ablenkung in wechselnden Affären sucht, da sie die wahre Liebe noch nicht gefunden hat. Erst als die 21jährige Felice Schragenheim, die im Untergrund für ein jüdisches Selbsthilfe-Netzwerk arbeitet, in ihr Leben tritt, bedeutet dies eine Befreiung für sie. Lilly verliebt sich in die lesbische Jüdin, die als „menschliches U-Boot“ und ohne feste Bleibe in Berlin lebt. Fast täglich schreiben sie sich Briefe und Gedichte, geben sich neue Namen: Aimée (Lilly) und Jaguar (Felice). Da die geheimnisvolle Geliebte tagelang verschwindet, preßt ihr Lilly, von Eifersucht getrieben, nach zähem Ringen das Geständnis ab, eine Jüdin zu sein, und bietet Felice nicht nur Unterschlupf, sondern auch eine perfekte Tarnung. Bis die Gestapo durch Zufall hinter Felices Geheimnis kommt und sie nach Theresienstadt deportiert.

Färberböck interessiert an dieser filmreifen Liebesromanze, die Felices Tod „unsterblich“ macht, das Großformatige, Überlebensgroße der Gefühle vor dem Hintergrund einer barbarischen Diktatur. Nicht die Wandlung der Mitläuferin und Antisemitin Lilly zur Philosemitin und Retterin, die von ihrer blinden Liebe zur Zivilcourage verleitet, noch drei weitere Jüdinnen in ihrer Wohnung aufnahm und Felice bei ihrer Widerstandsarbeit unterstützte, steht wie bei Erica Fischer im Mittelpunkt seiner Geschichte. Den Regisseur reizte vielmehr „das typische Berliner Chaos- und Kriegsgefühl“, der „Tanz auf dem Vulkan“ in einer Stadt, wo im Hagel der Flächenbombardements lesbische Mädchen Geld damit verdienen, daß sie sich als Pin-up-Girls für deutsche Soldaten ablichten lassen, eine waghalsige Jüdin im Untergrund unter falschem Namen für eine nationalsozialistische Zeitung arbeitet und dort brisante Unterlagen verschwinden läßt und eine Mutterkreuzträgerin sich Hals über Kopf in die Liebe zu einer lesbischen Jüdin stürzt. Mag sein, daß diese Verschiebung der Gewichtung den Film vor einer peinlichen Heroisierung und Verklärung seiner lebenshungrigen Figuren bewahrt. Zumal die auf parallele Entwicklung mehrerer Stränge angelegte Dramaturgie diesen schillernden Mikrokosmos einzufangen versucht: Militärs und NS-Propagandisten kommen hier ebenso zum Vorschein wie die kleinen Spießbürger und die Glamour-Welt des Adlon-Hotels, untergetauchte Juden oder Girlies aus der lesbischen Szene. So fällt auch einigen Nebenfiguren eine wichtige Rolle zu wie der lebenslustigen Ilse, die bei Lilly ihr „Pflichtjahr“ als Hausmädchen ableistet und sie mit ihrer Freundin und Ex-Geliebten Felice zusammenbringt, oder dem redenschwingenden Chefredakteur, der selbst seinen Nazi-Tiraden nicht mehr glauben mag. Obwohl Färberböck ganz auf seine beiden exzellent besetzten Protagonistinnen setzt, vermag er das emotionale Potential dieser widersprüchlichen Figuren nicht auszuschöpfen. Bemüht, leichtfüßig und unsentimental zu erzählen, läßt er sie zwar mit herausfordernden Blicken und im nervösen Überschwang agieren, die psychologisch motivierende Einbindung in die Realita Nazi-Deutschlands aber bis auf das fulminante Finale, in dem die behauptete Bedrohung des Paares endlich hautnah spürbar wird, vermissen. So wirkt auch die slawische Gefühlsemphase in der zwischen musikalischem Lyrismus und pathetischem Gestus oszillierenden Partitur des Polen J. P. Kaczmarek beinahe erpresserisch, obwohl die Musik die sehnsüchtigen Gefühle mehr als authentisch vermittelt. Wenn die stark stilisierten Bilder von Luftangriffen den Himmel über Berlin in ein gefiltertes Blutrot getaucht werden, verkommt der historische Hintergrund endgültig zur bewegenden Kulisse.

Da Ilse nach Jahrzehnten in einem Altersheim Lilly wieder begegnet und die Geschichte rückblickend erzählt, als ob die Erkenntnis, daß das ganze Leben durch diese unmögliche Liebe aus den Fugen geraten sei, noch einer langatmigen Rahmenhandlung bedürft hätte, legt der assekurierende Rückgriff die Vermutung nahe, man traue der eruptiven Kraft entfesselter Emotionen nicht, wofür auch die redundante Rückblende im Epilog spricht, wenn Maria Schrader Felices Lebenshunger und Überlebenswillen zusätzlich Ausdruck verleihen muß. So bleibt „Aimée und Jaguar“, bis in die kleinste Rolle sorgsam besetzt, ein für deutsche Verhältnisse beachtliches Stück opulentes Austattungskino, das eine Reihe visuell wie atmosphärisch überzeugend modellierter szenischer Arrangements bietet, aber trotzt der Brisanz seines Themas das dramatische Potential der singulären Love-Story nicht nutzt, da er zu keiner gelungenen Balance zwischen Emotionen und Authentizität findet.
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