Kurt & Courtney

Dokumentarfilm | Großbritannien 1998 | 95 Minuten

Regie: Nick Broomfield

Dokumentarfilm, der die Umstände des Todes des Rockmusikers Kurt Cobain recherchiert, der 1994 Selbstmord beging. Seitdem halten sich hartnäckig Gerüchte, daß Cobain ermordet wurde. Eine dieser Theorien weist Cobains Witwe, die Schauspielerin Courtney Love, als Täterin und Anstifterin aus. Ein Dokumentarfilm, der sich im Lauf seiner Recherchen, die mit allen Mitteln ver- und behindert werden sollen, zu einem vielsagenden Dokument über die Öffentlichkeitsarbeit von Medienkonzernen sowie die Relativität von Wahrheit verdichtet. - Ab 16 möglich.
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Filmdaten

Originaltitel
KURT & COURTNEY
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Strength Film
Regie
Nick Broomfield
Buch
Nick Broomfield
Kamera
Joan Churchill · Alex Vedder
Musik
David Bergeaud
Schnitt
Mark Atkins · Harley Escudier
Länge
95 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16 möglich.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Im April 1994 schießt sich Kurt Cobain, ein junger Mann aus Seattle, in einem Nebentrakt seiner Wohnung mit einem Jagdgewehr eine Kugel in den Kopf. Eine tragische, gleichwohl alltägliche Geschichte, dennoch löst sein Tod weltweit Betroffenheit aus. Schließlich war Cobain Sänger und Frontmann der „Grunge“-Gruppe „Nirvana“, die zu jener Zeit auf dem Höhepunkt ihrer Karriere steht und den dröhnenden, gitarrenlastigen, bei aller Ausgereiftheit nie ganz perfekt klingenden Seattle-Rock-sound miterfunden und geprägt hat. Cobain hinterläßt eine junge Frau und eine zweijährige Tochter. Selbstmord ist die naheliegendste Erklärung für den gewaltsamen Tod, schließlich war es aktenkundig, daß der Musiker seit Jahren heroinabhängig war. Der Name der Band erschien den Fans plötzlich als Programm; nicht umsonst hatten viele Songs eine lebensfeindliche Grundeinstellung und progagierten „bessere“ Möglichkeiten. Parallel zur offiziellen Darstellung etablierte sich in der Folgezeit eine Verschwörungstheorie, die einen Auftragsmord ins Kalkül zog – Drahtzieher der ganzen Angelegenheit sei die liebende und trauernde Ehefrau Courtney Love.

Vor diesem Verwirrspiel stand der mehrfach preisgekrönte englische Dokumentarfilmer Nick Broomfield, als er 1997 mit den Recherchen begann. An privates, wenn auch spärliches Archivmaterial heranzukommen, war keine Schwierigkeit, Cobains Tante Mary, bei der der spätere Star aufwuchs, stellte es zur Verfügung, lieferte auch auf Tonband die Piepsstimme des zweijährigen Kurt sowie erste Amateur-Aufnahmen des Pubertierenden. Doch dann gestalteten sich die Ermittlungen immer schwieriger: Die erste Adresse in Sachen Kurt Cobain, die Witwe des Rockstars selbst, die mittlerweile von der „Rock-Schlampe“ zum (Fast-)Hollywood-Star aufgestiegen ist, verweigert jede Zusammenarbeit und boykottiert das Filmvorhaben durch einstweilige Verfügungen. Die Plattenfirma EMI, die die Alleinrechte an allen „Nirvana“-Songs besitzt, untersagt jegliche Verwendung der Musik der Gruppe. Keine Strategien, die geeignet sind, Zweifel zu zerstreuen. Aus der Dokumention über den Tod eines Rockstars wird eine intensive Investigation, die zu ehemaligen Freunden des Ehepaares führt, einen wenig väterlichen Vater Courtneys zeigt, und in deren Verlauf die Mutmaßung geschürt wird, daß Courtney Kurt „abservieren“ wollte. Eine Mutmaßung, die nicht unbedingt dadurch entkräftet wird, daß einer der Hauptzeugen, der „durchgeknallte“ Sänger einer S/M-Band, der behauptet, von Courtney für 50.000 Dollar für den Mord an Kurt verpflichtet worden zu sein, während der

Dreharbeiten ermordet wird. Wenn es um Grausiges geht, schreibt das Leben immer noch die abscheulichsten Geschichten.

Broomfields ermittelnder Dokumentarfilm findet kein befriedigendes Ende, alle Fakten bleiben weiterhin im dunkeln. Manchmal flackert ein erhellendes Blitzlicht auf, das jedoch keine Erkenntnis bringt, sondern die Gerüchte und Mutmaßungen nährt. Gerüchte, die auch durch die intensiven Bemühungen von Cobains Witwe geschürt werden, die die Dreharbeiten mit allen Mitteln ver- und behindern wollte, zu diesem Zweck eine Armada von Anwälten ins Feld führte und sich hinter dem mächtigen Medienkonzern EMI verschanzen konnte. So recherchiert der Film nicht nur die mysteriösen Todesumstände eines Rockmusikers, sondern wird zwangsläufig zum Dokument der eigenen Verhinderung, nimmt Schlenker an, die im ursprünglichen Konzept nicht vorgesehen waren, und erhält dadurch seine eigentliche Spannung. Courtney Love meidet jeden Kontakt zum Filmemacher, entzieht sich jeder Stellungnahme, reagiert auf alle Interview-Anfragen abweisend. Dies macht nicht nur den legendenumwobenen Todesfall erneut interessant, sondern wirft ein erhellendes Licht auf die Öffentlichkeitsarbeit von Medienkonzernen, denen sonst jede kostenlose Schlagzeile über einen ihrer Stars lieb ist – auch die negativen. Für Wirbel sorgte ferner, daß EMI jede Verwendung der Musik für den Film untersagte; auch zur Einstimmung auf die Dokumentation dürfen in den Kinos keine Songs der Gruppe gespielt werden, und für das Sundance Festival 1998 mußte der bereits gebuchte Film zurückgezogen werden. Bloomfield hat sich auf diesen Machtkampf eingelassen: Als in Los Angeles Preise für mutige Presseberichterstattungen verliehen werden und ausgerechnet Courtney Love die Trophäen überreicht, schleicht sich Bloomfield ans Rednerpult und stellt den Juroren peinliche Fragen. Natürlich ohne Erfolg, aber immerhin macht er seinen Unmut öffentlich. Sein überzeugender Dokumentarfilm legt mit konventionellen Mitteln, aber nicht ohne Witz eine Reihe von Umfeldern bloß und ist nicht nur das Psychogramm einer drogenumnebelten Ehe. Vielmehr entführt er auch in Halbweltkreise am Rande der Legalität und im Fahrwasser des Showgeschäfts, von deren Existenz man zwar weiß, die jedoch gerne im Sinne des Geschäfts totgeschwiegen werden. Aber auch deren Einflußmöglichkeiten, das wird sinnfällig, werden verschwindend gering, wenn es sich um wirklich große, übergeordnete Medieninteressen handelt. Da kommt einem Bert Brecht in den Sinn, dem der Überfall auf eine Bank das kleinere Verbrechen gegenüber deren Gründung war. Unterm Strich erreicht der Film mehr, als er eigentlich erreichen wollte, auch wenn keine mitreißenden „Nivana“-Stücke zu hören sind, sondern nur der kleine Kurt, der die „Monkeys“ nachsingt; ein Tondokument aus glücklichen Kindertagen, das Tante Mary aufbewahrt hat.
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