Ein 32. August auf Erden

Drama | Kanada 1998 | 88 Minuten

Regie: Denis Villeneuve

Nach einem Autounfall, den sie als Fingerzeig Gottes interpretiert, will eine junge Frau ihr Leben neu ordnen und mit ihrem früheren Geliebten eine neue Beziehung eingehen. Der Wunsch nach einem gemeinsamen Kind bleibt zwar unerfüllt, doch als der Geliebte nach einem Überfall ins Koma fällt, bahnt sich aufrichtige Liebe an. Ein sensibler Film über Selbstfindung und Liebe, geprägt von bildwirksamer Fabulierlust, einer intensiven Kameraarbeit sowie den beiden einfühlsamen Hauptdarstellern. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
UN 32 AOUT SUR TERRE
Produktionsland
Kanada
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Max Films
Regie
Denis Villeneuve
Buch
Denis Villeneuve
Kamera
André Turpin
Musik
Pierre Desrochers · Nathalie Boileau
Schnitt
Sophie Leblond
Darsteller
Pascale Bussières (Simone) · Alexis Martin (Philippe) · Richard S. Hamilton (Taxifahrer) · Serge Thériault (Autofahrer) · Emmanuel Bilodeau (Philippes bester Freund)
Länge
88 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Liebesfilm

Diskussion
Es herrscht Stille im Bild: Eine junge Autofahrerin wird vom Sekundenschlaf übermannt. Der Wagen gleitet über den Mittelstreifen. Schnitt. Simone erwacht kopfüber im Sicherheitsgurt hängend, befreit sich aus dem in einem Maisfeld gelandeten Wrack. Ein hilfreicher Autofahrer bringt sie in die nächste Klinik. Als sie ihn nach dem Datum fragt, antwortet er: „Der 32. August“. Irritiert nimmt Simone diese Antwort wie einen Fingerzeig Gottes auf und beschließt, den scheinbaren „Stillstand der Welt“ dazu zu nutzen, ihr Leben neu zu ordnen. Sie hängt ihren Job als Model an den Nagel und erinnert ihren Ex-Geliebten Philippe an das sich gegenseitig gegebene Versprechen, es noch einmal miteinander zu versuchen, falls man mit 30 noch keinen Partner gefunden hat. Sie ist zwar erst 26, und Philippe lebt mit einer anderen Frau zusammen – aber gewissermaßen als „Vorschuß“ bittet sie ihn, ihr ein Kind zu machen. Als Philippe die, wie er hofft, unerfüllbare Bedingung stellt, daß Baby müßte in der Wüste gezeugt werden, bucht Simone kurzerhand zwei Flüge nach Salt Lake City. Von einem skrupellosen Taxifahrer versetzt, will sich in der gleißenden Salzwüste aber die Lust nicht so richtig einstellen. Philippe, der Simone immer noch liebt, schreibt ihr kurz vor dem Rückflug einen Liebesbrief, den sie aber erst in ihrer Wohnung öffnet. Seine zärtlichen Zeilen lassen sie ihre wahren Gefühle erkennen, und sie bittet ihn, zu ihr zu kommen. Auf der Fahrt wird Philippe von drei Rowdys grundlos zusammengeschlagen: Man schreibt den 36. August. Als Simone ihn am nächsten Tag im Krankenhaus besucht, liegt er im Koma; die Zeitrechnung läuft wieder normal, es ist der 5. September. Simone besucht nun täglich den immer noch bewußtlosen Geliebten, flüstert ihm Liebeserklärungen ins Ohr und hofft, daß sie eines Tages doch noch eine gemeinsame Zukunft haben.

Der (Alb-)Traum beginnt und endet mit einem Unfall. Und als ein Insert den 32. August ankündigt, ist man als Zuschauer genauso irritiert wie Simone über dieselbe Antwort ihres „Retters“. Irgendwie erwartet man etwas Geheimnisvolles, um dann doch mit dem „Normalen“ konfrontiert zu werden: der Suche zweier Menschen nach sich selbst und der Liebe. So gesehen kann man Denis Villeneuve seinen „Taschenspielertrick“, mit dem er neugierig macht und auf eine falsche Fährte lockt, übelnehmen. Aber wenn man ihn einmal akzeptiert hat, erfreut man sich doch an seiner bildstarken Fabulierkunst. Geschickt nutzt er das Scope-Format sowohl zu intensiven Großaufnahmen als auch zu beeindruckenden Landschaftspanoramen. Dann wieder handhabt er die Kamera wie einen „guten Freund“, der Simone und Philippe auf einem, nur von einigen „jump cuts“ unterbrochenen Spaziergang begleitet und sie minutenlang beim Gespräch „belauscht“. Der unendlichen Weite der Salzwüste, in der sich zwar Simones und Philippes Körper nicht finden, ihre Wünsche und Sehnsüchte aber langsam Gestalt annehmen, stellt Villeneuve in einem grotesk-surrealen Kontrast die Enge einer „Schlafbox“ gegenüber, wo sich dann ihre Lippen finden, Philippes Liebesbrief aber (noch) ungelesen bleibt. Wie sehr sich Philippe diese Erklärung von der Seele abgerungen hat, verdeutlicht Villeneuve mit jener wunderbaren Metapher, die schon François Truffaut seinem Helden Antoine Doinel in „Geraubte Küsse“ (fd 16 083) andichtete: Auf der Flughafen-Toilette, als Philippe seinen Liebeserklärung verfaßt, wiederholt er ständig laut seinen Namen, als wolle er sich selbst ins Wort nehmen. Aber auch Simone braucht noch einmal einen albtraumartigen „Kick“, um endgültige Klarheit zu bekommen: Als sie am Rand der Wüste eine verkohlte Leiche findet, wird sie daran erinnert, daß sie selbst gerade diesem Schicksal entronnen ist und daß das Leben keinen Aufschub duldet, wenn man sich einmal entschieden hat. So werden ihre Liebkosungen an Philippes Krankenbett auch zu einem Bekenntnis, das nicht nur voller Hoffnung auf Erfüllung ist, sondern das auch in einer anderen Welt Bestand haben wird. Pascale Bussières’ spröder und Alexis Martins jungenhafter Charme geben diesen Empfindungen Gesichter, die man noch lange in Erinnerung behalten wird.
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