- | USA 1998 | 108 Minuten

Regie: Warren Beatty

Ein amerikanischer Senator hat von seinen Jobs und seinem Leben genug und beauftragt einen Killer, ihn zu töten. Diese Entscheidung verschafft ihm innere Freiheit und führt zur Bekanntschaft mit einer afroamerikanischen Rapperin. Der Rap fasziniert den Senator derart, daß er mit dessen Hilfe von nun an unbequeme politische Wahrheiten unter die Leute bringt. Eine Mixtur aus Politfarce, Gesellschaftskomödie und Märchen. Was auf den ersten Blick wie eine Reality-TV-Reportage aussieht, erweist sich als künstlerisch raffiniert ausgeklügelter Film, in dem allenfalls einige ungebremste klamottige Szenen stören. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BULWORTH
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Twentieth Century Fox
Regie
Warren Beatty
Buch
Warren Beatty · Jeremy Pikser
Kamera
Vittorio Storaro
Musik
Ennio Morricone
Schnitt
Robert C. Jones · Billy Weber
Darsteller
Warren Beatty (Jay Bulworth) · Halle Berry (Nina) · Don Cheadle (L.D.) · Oliver Platt (Dennis Murphy) · Paul Sorvino (Graham Crockett)
Länge
108 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
Warren Beatty, Co-Autor, Regisseur, Produzent und Hauptdarsteller in Personalunion, blättert die wahnwitzige Geschichte eines amtsmüden Senators auf. Dessen Wiederwahl steht ins Haus, doch seine Quoten sind im Keller, und er selbst hat nicht mehr die geringste Lust und Kraft, weitere Jahre in dieser oder irgendeiner anderen Funktion zu verbringen. Die ersten Szenen zeigen die enigmatische Welt einer politischen Kaste, aus der jede natürliche Regung verbannt zu sein schient. Die Reden des Senators sind so genormt wie seine Verbeugungen, auch die äußere Präsentation seiner längst zerstörten Ehe verläuft nach dem ewig gleichen Schema des Lächelns und der Lüge. Beatty inszeniert das wie die 24-Stunden-Live-Reportage eines Fernsehsenders: die Kamera hautnah am Helden, ohne Rücksicht auf Intimität; das technische Gerät als kalter Registrator aller Hektik und Schwindeleien. So erblickt man auch den Senator in seinen Privatzimmern: jeglicher Masken beraubt, geistig abwesend, mit flimmerndem Bildschirm vor der Nase, wobei das stupide Gemisch aus Shows, Sport und Werbung ihn längst nicht mehr erreicht. Dieser Mann, so scheint es, dämmert im Refugium der Schizophrenie dahin, und nichts kann ihn mehr treffen – weder das Leben noch der Tod. Beatty läßt seinen Jay Billington Bulworth im Strudel der Geschehnisse treiben und bringt auf diese Weise seine, des Regisseurs Wahrheit über die Gefangenschaft von Politikern in ihrem eigenen, von der Realität weitgehend abgekoppelten Räderwerk auf den Punkt. Daß der Film weitgehend nachts spielt, in dunklen Zimmern, Sälen und Großstadtstraßen, die nur von künstlichem Licht beleuchtet werden, unterstreicht die Unnatur dieses Universums: Es ist eine synthetische Welt, in der sich der Senator wie in Trance bewegt.

Der Verleih hat sich entschlossen, „Bulworth“ in der Originalfassung mit deutschen Untertiteln in den Kinos zu starten. Dies mag mit den handlungstragenden musikalischen Elementen zu tun haben, signalisiert aber vor allem, daß man von vornherein nur mit wenigen Besuchern rechnet. Dabei zählt Beattys Opus inhaltlich und formal zu den ungewöhnlichsten neueren amerikanischen Produktionen; und zugleich erinnert es an beste Traditionen der politischen Groteske, zum Beispiel an die Filme von Preston Sturges. Aber was besagt das schon, wenn die Masse des Publikums weder gesteigertes Interesse an systemkritischer Satire noch an Filmgeschichte hat? Dabei faszinieren die Leichtigkeit und Schnelligkeit des Films. Viele Szenen wirken wie improvisiert und sind doch raffiniert ausgeklügelt: Satzfetzen, Geräusche und Musik verschmelzen zu einem dissonanten Lautteppich. Aus dem Chaos einer dokumentarisch wirkenden Bilderflut schälen sich einprägsame optische Motive heraus; und immer wieder werden die einzelnen Erzählstränge gebündelt und zu Höhepunkten geführt. Denn der Film blickt, am letzten Wahlkampfwochenende, eben nicht nur hinter die Kulissen der Public-Relation-Maschinerie, sondern folgt auch den Spuren eines Serienkillers, den Bulworth damit beauftragt hat, seinem als sinnlos empfundenen Dasein ein Ende zu bereiten. Diese letzte selbstgetroffene Entscheidung trägt zum dramaturgischen Umschlagen bei: Dank ihrer fühlt sich der Senator plötzlich frei. Beatty hütet sich jedoch, dieser Freiheit eine aufbauende, heroische Dimension zu verleihen; der Film bleibt statt dessen konsequent der Farce verpflichtet. Ebenso abstrus wie grandios ist der Einfall, Bulworth auf eine afroamerikanische Rapperin treffen zu lassen. Nina und ihre Freundinnen begeistern den alternden Senator derart, daß er sich, nach einem Nervenzusammenbruch und in ähnlicher Trance wie zuvor, auf ein zweites Leben einläßt. Dabei wird Bulworth selbst zum Rapper, der von nun an musikalisch die Wahrheit über die Gesellschaft unter seine potentiellen Wähler bringt. Er singt über den Zusammenhang von Großkapital und Arbeitslosigkeit, belehrt schwarze Wähler darüber, daß sie von Politikern nur ausgenutzt werden, bezichtigt Filmmogule der Geldgeilheit und so weiter. Der ehemalige Liberale, der durch konservative Thesen seine Glaubwürdikgeit verloren hatte, verschreckt damit zwar seine wohlhabende Klientel, und seine Berater, die zunehmend nervöser werden und vor lauter Not anfangen zu koksen, müssen schon mal einen Stromausfall inszenieren, um ihn zu bändigen. Aber die anderen – die Leute „von unten“ – beginnen, an ihn zu glauben.

Die Mixtur aus Märchen, Farce und Gesellschaftskomödie ist so absurd, daß damit unbequeme Wahrheiten spielend die Tore Hollywoods passieren. Was in einem „ernsthaften“ Film von Dialogschreibern vermutlich als leitartikelhaft verworfen worden wäre, kommt Beatty locker von den Lippen – als Rap wohlgemerkt, dargeboten von einem Helden, der das Narrenkostüm trägt; nicht mehr den gepflegten Anzug des Politikers, sondern die Klamotten des Hip-Hoppers. Daß Beatty damit nicht nur die Verwandlung des Politikers in einen Off-Off-Künstler, sondern auch des Weißen in den Farbigen andeutet, gibt dem Film einen zusätzlichen delikaten Kick. Bis zum Schluß bleibt offen, wie das alles ausgehen wird. Draußen in der Nacht lauert der Killer, und Nina wird erpreßt, Bulworth vor dessen Flinte zu locken. Am Ende jedenfalls liegt eine Leiche vor laufenden Fernsehkameras: ein Finale, das die aufkommenden romantischen Töne konsequent bricht. Der einzige Schwachpunkt des Unternehmens ist, daß Beatty gelegentlich zu sehr in die Klamotte und ins Grimassieren abgleitete. Das bringt ihn zeitweise näher an Jerry Lewis als an Dustin Hoffman, Robert de Niro oder John Travolta, die in den letzten Jahren ebenfalls mit Blicken hinter die Kulissen des Weißen Hauses und dessen Umfeld aufwarteten.
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