Dance Of Dust

- | Iran 1998 | 73 Minuten

Regie: Abolfazl Jalili

In einer Mischung aus Spiel- und Dokumentarfilm wird bruchstückhaft vom Alltag in einer primitiven Ziegelei erzählt. Zwischen einem elfjährigen Jungen und einem etwa gleichaltrigen Mädchen entwickelt sich eine leise Beziehung, die jedoch abgebrochen wird, bevor sie eigentlich entstehen kann. Obwohl der Film dem Zuschauer einiges an Geduld und Aufgeschlossenheit abverlangt, entschädigt er ihn doch durch das hohe Maß der ihm innewohnenden Energie und durch eine Filmsprache, die in ihrer Ehrlichkeit nicht weiter entfernt sein könnte von den Laborprodukten Hollywoods. Die archaische Sprache der Gesichter, Handlungen und Landschaften bedarf keiner Übersetzungen. (Originalfassung) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
RAGHS-E KHAK
Produktionsland
Iran
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Rasanch-e-Ama
Regie
Abolfazl Jalili
Buch
Abolfazl Jalili
Kamera
Ataollah Hayati
Musik
Nezamoodin Kia'ie
Schnitt
Abolfazl Jalili
Darsteller
Mahmood Khosravi (Llia) · Limua Rahi (Limua)
Länge
73 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
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Diskussion
Langsam scheint hierzulande das allzu bequeme Klischee vom Iran als filmische Tabula rasa von einer differenzierteren Wahrnehmung abgelöst zu werden. War jahrelang höchstens der Name Abbas Kiarostami bekannt, und auch dies nur in Liebhaberzirkeln, gelangten in jüngster Zeit mit dem wundervoll poetischen Film „Gabbeh“ (fd 33 068) von Mohsen Machmalbaf und der Komödie „Die fünfte Jahreszeit“ (fd 33 580) von Rafi Pitts zwei Spielfilme auf die Leinwände, die sich eines erstaunlichen Zuspruchs erfreuen konnten. Abolfazl Jalilis „Dance Of Dust“ erweitert das Spektrum nun um eine weitere Facette: eine Arbeit, die noch radikaler als die seiner Landsleute mit europäischen Sehgewohnheiten bricht. Karge Landschaft, ausgedörrt von der Sonne, gepeitscht von Sandstürmen; beileibe kein wohnlicher Ort. Dennoch geht hier ein bunt zusammengewürfelter Haufen von Wanderarbeitern türkischer, kurdischer und arabischer Herkunft seinem harten Tagwerk nach: der Herstellung von Ziegelsteinen mit primitivsten Mitteln. Das Baumaterial wird in einer Weise dem Boden abgerungen, die sich in den letzten paar Tausend Jahren kaum geändert haben dürfte. Nach der Wässerung des lehmigen Bodens werden Holzformen mit der Rohmasse gefüllt und auf großen Freiflächen umgestülpt. Hier müssen die Steine für mehrere Tage an der Luft trocknen, bevor sie gebrannt werden. Nach einigen Wochen kommen Lastkraftwagen aus der Hauptstadt, um die fertigen Ziegel abzuholen. Daraufhin beginnt alles von vorn – eine zermürbende, ebenso eintönige wie anstrengende Arbeit, die von Männern, Frauen und auch von Kindern ab etwa dem zehnten Lebensjahr gleichermaßen ertragen wird. Obwohl alles ringsum nach Regen lechzt, würden unvorhergesehene Niederschläge die Vernichtung von Arbeitszeit, Energie und Rohstoffen bedeuten. In doppelter Hinsicht sind die Arbeiter deshalb der Sonne ausgesetzt: Sie leiden unter ihrer Wucht und benötigen diese doch für ihren Lebensunterhalt.

Der Film fängt Szenen aus dem Alltag dieses Überlebenskampfs ein, bleibt immer wieder an Llia hängen, einem elfjährigen Jungen. Sein Gesicht ist noch lange nicht das eines Mannes, zeigt jedoch, wie kurz seine Kindheit gewesen ist. Llia ficht seinen Kampf mit dem Lehm wortlos aus, arbeitet in geradezu fatalistischer Routine vor sich hin. Dann fällt ihm beim Wasserholen das etwa gleichaltrige Mädchen Limua auf; er wundert sich über ihr so gar nicht in diese Umgebung passendes, unbefangenes Lächeln, beginnt, sich nach ihm zu sehnen. Die beiden Kinder werfen sich versteckte Blicke zu, ohne dabei in irgendeine Form der Unterhaltung, geschweige denn des Spiels zu treten. Das Mädchen macht dem Jungen ein Geschenk: seinen Handabdruck, gepreßt in einen der zahllosen Ziegel. Bald darauf wird Limua ernsthaft krank. Nach der Genesung zieht ihre Familie zur nächsten Arbeitsstelle. Llia bleibt zurück. Er hat ein weiteres Stück seiner Kindheit verloren.

Abolfazl Jalili erzählt diese leise Beziehungsgeschichte, die eigentlich aus ihrem Nichtzustandekommen besteht, in wenigen Splittern. Es gibt keine Handlung im eigentlichen Sinn, jedenfalls nicht im europäisch tradierten Erzählverständnis. Hierarchien oder Familienstrukturen erfahren keinerlei Erklärung, lassen sich höchstens durch Andeutungen erahnen. Zahlreiche Details, wie die offenbar nicht unwichtige Funktion von Fetischen und Verwünschungen, erschließen sich keinesfalls. Aber es gibt eine archaische Sprache der Gesichter und Landschaften, die keiner Übersetzungen bedarf. Es ist deshalb nur folgerichtig, daß der Verleih den Film in seiner Originalfassung belassen hat und auch die wenigen gesprochenen Sätze oder Gebete nicht untertitelt. Obwohl „Dance Of Dusk“ dem Zuschauer einiges an Geduld und Aufgeschlossenheit abverlangt, entschädigt er ihn doch durch das hohe Maß der ihm innewohnenden Energie und durch eine Filmsprache, die in ihrer Ehrlichkeit nicht weiter entfernt sein könnte von den Laborprodukten Hollywoods. Erstaunlich, daß keiner der bisher acht Kinofilme Jalilis in seinem Heimatland zur öffentlichen Aufführung gelangte, der Regisseur aber dennoch immer weitere Mittel für neue Projekte zur Verfügung gestellt bekommt. Die Jury der Filmfestspiele in Locarno würdigte die Unbeirrbarkeit des Künstlers 1998 mit einem „Silbernen Leoparden“.
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