Die Zeit mit Kathrin

Dokumentarfilm | Schweiz 1999 | 96 Minuten

Regie: Urs Graf

Dokumentarfilm, der vier Ausbildungsjahre im Leben einer Schülerin an der Schauspielakademie Zürich zusammenfasst und sich über den Einblick in diese Ausbildung zum intensiven Porträt einer jungen Frau verdichtet, der man beim "Wachsen" zuschauen darf. Da auch gelegentliche Tiefpunkte nicht ausgeklammert werden, wird das Leben in seiner Gesamtheit erfasst. Ein einfühlsamer Film, der nicht zuletzt durch die sympathische Hauptdarstellerin beste dokumentarische Unterhaltung bietet. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
DIE ZEIT MIT KATHRIN
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
Filmkollektiv Zürich/Urs Graf Prod.
Regie
Urs Graf
Buch
Urs Graf
Kamera
Otmar Schmid · Werner Schneider · Björn Lindroos
Musik
Alfred Zimmerlin
Länge
96 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Am Anfang steht ein ungewöhnlicher Vertrag: Eine junge Frau, Kathrin Bohny, 21, kommt mit dem Züricher Filmschaffenden Urs Graf überein, ihre vierjährige Ausbildung an der Schauspielakademie Zürich dokumentieren zu lassen. Für beide Seiten ist dies eine riskante Angelegenheit, denn der Film könnte auch das Dokument eines Scheitern werden. Wie hätte sich Kathrin dann verhalten, was hätte der Regisseur aus seinem Film gemacht? Am Ende steht ein mittlerweile selten gewordenes Wort: „Danke“, sagt der Regisseur leise aus dem Off, und es klingt ehrlich und bewegt. Dazwischen liegt Plackerei auf beiden Seiten: Kathrin, die ihre Scheu nur langsam ablegt, ihre Unsicherheit anfänglich durch mädchenhaftes Gekicher und Lachen zu überdenken versucht - und natürlich genau das Gegenteil erreicht - , sie scheint der Mittelpunkt der Schülergruppe zu sein; auf der anderen Seite der Regisseur, der an seinem Thema bleiben muss, ihm jedoch Distanz zubilligen will. Durch Schwarzfilm getrennt werden die einzelnen Schritte der Ausbildung chronologisch und tagebuchartig aufgefächert. Lernerfolge werden vorgestellt, die zunächst mit der völligen Demontage Kathrins beginnen. Sie lernt anders stehen, gehen und sitzen, ihre Sprache verändert sich genauso wie die Rolle, die sie in ihrem Leben spielt; sie lernt auch das an sich kennen, was ihr bisher fremd war. Schauspielschule ist schließlich der Ort, „wo erforscht wird, was der Mensch ist und was er darüber hinaus noch sein könnte“. Irgendwann in der Mitte des ersten Schuljahres steht die bange Frage im Raum: „Wer weiß, was von Kathrin übrig bleibt, wenn sie einmal ganz zu sich gefunden hat?“

Da muss man als Zuschauer schon schlucken, denn hier wird die Identität eines jungen, recht fragilen Menschen regelrecht in Frage gestellt. Auch später folgen Szenen, die nachdenklich stimmen: Im letzten Drittel ändert die Musik ihre Tonart, wird elegisch; Kathrin redet im Heimatdialekt, obwohl Hochdeutsch auf der Schule vorgeschrieben ist. Ein Scheitern scheint sich abzuzeichnen, zumal ihr bei Gastspielen und Proben nur kleine Rollen angeboten werden. Die große Lust des Neubeginns, die man in den ersten Jahren förmlich spürte, scheint durch Ernüchterung eingeholt zu sein, zumal die Schauspielpläne für Eleven kaum Festanstellungen vorsehen. Aber die Ausbildung geht weiter: Rollenspiele, Körpertraining, Atem- und Sprechübungen, Anleitungen zum Sichloslassen. Und immer wieder, wenn auch nur für kurze Augenblicke, flammt eine ungezügelte Freude auf: Freude an der Arbeit, die zum Leben geworden ist. Zum Ende dann doch die Entwarnung: Kathrin kommt in Baden-Baden unter. Genugtuung für die junge Frau, Freude beim Zuschauer, der einer erwachsenen Frau beim Wachsen zusehen durfte, mit ihr und ihren Veränderungen vertraut geworden ist. Dieses hohe Maß an Anteilnahme gelingt durch eine intensive Kameraarbeit, die stets Nähe sucht, ohne ihrem Objekt ihr Geheimnis entreißen zu wollen, den sensiblen Regisseur, der Handlung und Dialoge lenkt, ohne ihnen Gewalt anzutun, und mit einem zurückgenommenen Off-Kommentar dem Film Struktur gibt, und nicht zuletzt der bis zur Selbstentlarvung offenen Hauptdarstellerin, die ein großes Risiko eingegangen ist und ihre Chance genutzt hat - auch dank ihres natürlichen Charmes. Der Dokumentarfilm dürfte viele vor Rätsel stellen und die Frage aufwerfen, warum solche Filme überhaupt gemacht werden und wer sie sich ansehen soll. Letztlich aber werden auch skeptische Zuschauer durchaus belohnt, weil der Film nicht nur von Kathrin und ihrer Entwicklung handelt, sondern auch Tugenden wie Disziplin und Durchsetzungsvermögen feiert. Das macht ihn nicht unbedingt bequem, aber es ist einfach schön, dem Leben bei der Arbeit zu zuschauen.
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