El Medina - Die Stadt

Drama | Frankreich/Ägypten 1999 | 108 Minuten

Regie: Yousry Nasrallah

Ein junger Mann, der sich zur Schauspielerei berufen fühlt, flüchtet vor den Zwängen von Familie und Tradition aus seiner Heimatstadt Kairo nach Paris. Dort gilt er aber auch zwei Jahre später noch als illegaler Einwanderer und muss mit betrügerischen Boxkämpfen sein Geld verdienen. Nach einem Überfall verliert er sein Gedächtnis und kehrt mit einer neuen Identität nach Hause zurück. Solide als Parabel erzähltes Drama um Selbstverwirklichung, die nur mit Opfern und sogar durch den Verlust der Identität zu erreichen ist. Einerseits in düsteren, realistischen Bildern erzählt, illustriert der Film auch die Träume der Hauptfigur, die ihm Kraft zum Weiterleben verleihen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
EL MEDINA
Produktionsland
Frankreich/Ägypten
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
ACCT/Fondation Montecinemaverità/Misr International Films/Ognon/Procirep/arte
Regie
Yousry Nasrallah
Buch
Yousry Nasrallah · Nasser Abdel-Rahmane · Claire Denis
Kamera
Samir Bahzan
Musik
Tamer Ezzar
Schnitt
Tamer Fathi
Darsteller
Roschdy Zem (Roschdy) · Bassem Samra (Ali) · Abla Kamel (Bannoura, die Mutter) · Ahmed Fouad Selim (Atta, der Vater) · Mohamed Nagaty (Eid)
Länge
108 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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IMDb | TMDB

Diskussion
Manche Großstädte sehen aus wie ein Zusammenschluss aus vielen kleinen, engen Dörfern. In den Augen von Ali wirkt seine Heimatstadt Kairo und besonders das Viertel, in dem er leben muss, wie ein Dorf, in dem man seit alters her strengen Verhaltensmaßregeln folgt. Der junge Mann Mitte 20 fühlt sich zur Schauspielerei berufen, doch seinen Lebensunterhalt verdient er an der Kasse einer Metzgerei. Nur manchmal darf er bei einer kleinen Theatertruppe auftreten, etwa als Frankensteins Monster. Sein strenger Vater will, dass er nach Saudi-Arabien geht, um Geld zu verdienen, wenn er ihm schon nicht am Gemüsestand auf dem Markt hilft. Aber Ali ist ein Dickkopf, und so lässt er eines Tages Familie, Freunde und seine Geliebte zurück und geht nach Paris. Dort aber ist er nach zwei Jahren Aufenthalt noch immer ein illegaler Immigrant, und sein Job besteht darin, in getürkten Boxkämpfen für seine Auftraggebern Geld zu verdienen - auch eine Art der Schauspielerei, allerdings eine erniedrigende. Eines Tages wird er aufgrund einer Verwechslung zusammen geschlagen und verliert das Gedächtnis. Als neuer Mensch kehrt er nach Kairo zurück. Die Geschichte vermittelt nicht gerade eine optimistische Haltung in Bezug auf Erfolg und Selbstverwirklichung. Aber nur scheinbar behalten am Ende diejenigen Recht, die Ali zum Bleiben bewegen wollten und dazu, sich mit seinem Leben abzufinden. Tatsächlich zeigt der Film einen Helden, der seinem Traum folgt und sich trotz aller Niederlagen treu bleibt; auch wenn es ihn am Ende die Identität kostet. Dieser Kunstgriff sorgt dafür, dass Ali in eine völlig neue Haut schlüpfen kann. So ist seine Rückkehr kein Akt der Reue, sondern ein weiterer Versuch, das bisherige, enge Leben zurückzulassen, und das sogar an dem Ort, vor dem er geflohen war. Regisseur Yousri Nasrallah hat einst selbst seiner Heimatstadt Kairo den Rücken gekehrt, um woanders sein Glück zu suchen - zunächst ausgerechnet im Beirut während der Bürgerkriegsjahre, später in Paris. Nasrallah lässt seinen Helden all das spüren, woran er selbst beinahe „erstickt“ ist, wie er in einem Interview erzählte: die Dominanz von Tradition, Familie, sozialer Zugehörigkeit und Glauben. Seine Hauptfigur Ali ist zwar ein gutmütiger Mensch voller Vertrauen in die Menschheit, doch wenn es um seinen Lebenstraum geht, bleibt er unbeirrt - in Bassem Samra hat Nasrallah einen Darsteller gefunden, der diese etwas ambivalente Lebenshaltung wunderbar verkörpert. Der Film ist an den Originalschauplätzen entstanden, die beide nicht sehr einladend wirken: hier das verwinkelte Kairo, in dem die Menschen auf engstem Raum miteinander leben müssen, und dort das düstere, verregnete Paris, in der die Bedrohung durch die Polizei, durch Schlepper oder die örtliche Unterwelt allgegenwärtig ist. „Die wahre Reise findet im Kopf statt“, sagt einer von Alis Freunden aus Kairo - doch auch dies heißt nicht, dass man alles beim Alten lassen soll, sondern, dass man sich vor allem innerlich frei machen muss. Nasrallah zeigt daher den Akt der Befreiung sowohl als steinigen Weg, in harten, realistischen Bildern, aber auch als seelischen Höhenflug: Immer wieder sieht man Ali träumen, durch die Lüfte schweben, in ein Paradies gelangen, das er auf Erden nie sehen wird, an das zu Glauben ihm aber Flügel verleiht. Hier wird der Einfluss der Drehbuch-Co-Autorin Claire Denis deutlich, die in ihren Filmen ebenfalls Wege zwischen Vorstellung und Wirklichkeit erforscht. Und auch Nasrallahs Lehrmeister, Youssef Chahine, der wohl bekannteste Regisseur des arabischen Raums, hat beides schon oft zum Thema seiner Filme gemacht: den gegenwärtigen Orient und den, der nur in der Vorstellung existiert.
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