Ein Lied von Liebe und Tod - Gloomy Sunday

- | Deutschland/Ungarn 1999 | 114 Minuten

Regie: Rolf Schübel

Einen ungarischen Restaurantbesitzer, seine Kellnerin und den Komponisten der "Selbstmörder"-Hymne "Lied vom traurigen Sonntag" verbindet in den 30er-Jahren eine innige "ménage à trois". Als ein junger Deutscher, der die Kellnerin ebenfalls liebt, während des Krieges als SS-Offizier nach Budapest zurückkehrt und seine Macht ausspielt, wandelt sich der ungewöhnliche Lebensentwurf in eine bittere Tragödie. Aufwendig inszeniertes Melodram, das mit einem betont populären Zugriff auf die Romanvorlage die Grenzen von Utopie und Wirklichkeit auslotet. Trotz dramaturgischer Schwächen überzeugt der Film durch seine Kameraarbeit und exzellente schauspielerische Leistungen. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland/Ungarn
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
Studio Hamburg/Dom Film/WDR/arte/Premiere/PolyGram/Focus
Regie
Rolf Schübel
Buch
Ruth Toma · Rolf Schübel
Kamera
Edward Klosinski
Musik
Detlef Friedrich Petersen · Rezsö Seress
Schnitt
Ursula Höf
Darsteller
Joachim Król (Laszló Szabó) · Stefano Dionisi (András Aradi) · Ben Becker (Hans Eberhard Wieck, jung) · Erika Marozsán (Ilona Várnai) · Sebastian Koch (Obersturmbannführer Eichbaum)
Länge
114 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs.

Verleih DVD
Universal (FF P&S, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Ausgangspunkt der Geschichte ist ein authentisches Lied, das der Ungar Rezsö Seress 1935 in einem Restaurant in Budapest komponierte: Das „Lied vom traurigen Sonntag“ wurde ein Welterfolg und fand auch in jüngster Zeit noch Interpreten wie Elvis Costello und Sinead O’Connor. Seinen Ruhm verdankt es freilich einem äußerst makabren Umstand: Hunderte von zumeist jungen Menschen zeigten sich in den 30er- und frühen 40er-Jahren dermaßen ergriffen von dem melancholischen Kunstlied, dass sie es als Begleitmusik für ihren wie auch immer zu erklärenden Abschied vom Leben verwendeten – das Lied wurde in der Öffentlichkeit als „Hymne der Selbstmörder“ legendär. 1988 umrankte der Autor Nick Barkow diesen wahren Kern mit einem fiktiven Drama vor dem Hintergrund des Zeitenwandels in Ungarn: Die Beschaulichkeit des alltäglichen Lebens wird durch die deutsche Besetzung des Landes im Zweiten Weltkrieg schlagartig in ein von Zerstörung, Flucht und Panik geprägtes Chaos verwandelt, wobei das Schicksal des jüdischen Restaurantbesitzers Laszló Szabó exemplarisch ins Zentrum rückt. Dieser steht in einem spannungsgeladenen Dreiecksverhältnis zum Pianisten (und „Erfinder“ des Liedes) in seinem Restaurant sowie zu dem jungen Deutschen Wieck, der zunächst als treuer Stammkunde, nach Kriegsausbruch als SS-Führer einkehrt. Den Filmemacher Rolf Schübel faszinierte die Mischung aus Bitterkeit, Ironie und Humor, die den für ihn ganz und gar „undeutschen“ Roman durchtränkte, was ihn bei seiner filmischen Adaption freilich nicht daran hinderte, einschneidende Veränderungen im Handlungsverlauf vorzunehmen: Mit der schönen und sinnlichen Ungarin Ilona führt er eine zentrale weibliche Gestalt ein, die das vergleichsweise „abstrakte“ Gedankenkonstrukt des Romans in eine „handfeste“ Liebesgeschichte, eine „ménage à trois“ mit tragischem Ausgang münden lässt: „Casablanca“ meets „Jules und Jim“, so könnte man das Konzept ketzerisch verkürzt umschreiben.

Ilona ist Szabós Geliebte und arbeitet zugleich in seinem Restaurant als Kellnerin. Ihrer Ausstrahlung verfallen alsbald sowohl der melancholische Pianist András Aradi, der ihr sein Lied als Geburtstagsgeschenk offeriert, als auch der tapsige Wieck, der sich in betrunkenem Zustand in die Donau stürzt, als Ilona nicht ihn erhört, sondern der ernsthaften Fremdheit des Pianisten erliegt. Szabó wiederum wird für den einen zum Lebensretter, für den anderen zum Rivalen um Ilonas Gunst, eine Situation, aus der der sanfte, freigeistig denkende Lebenskünstler schon bald ei nen salomonischen Ausweg vorschlägt: Da der Mensch einerseits frei sei, sich entscheiden zu können, andererseits stets sowohl Leib als auch Seele zufrieden gestellt haben möchte, willigt er in ein Dreiecksverhältnis ein, weil ihm eine geteilte Ilona immer noch lieber ist als keine. So wird ein ganz und gar utopisches Lebensmodell für wenige Jahre Realität: Die Drei leben und arbeiten miteinander, hinzu gesellt sich geschäftlicher Erfolg, als András’ Lied durch Szabós geschicktes Taktieren zu einem weltweiten Schallplatten- und Radioerfolg wird. Doch das Lied, das seine Zuhörer zugleich glücklich und traurig macht, wirft seine Schatten voraus, nicht nur, weil es auf unerklärliche Weise die „Todessehnsucht“ so vieler Selbstmordgefährdeter kondensiert, sondern auch, weil es bereits die „dunklen“ Erfahrungen der drei Liebenden vorwegnimmt, die nach dem Einmarsch der Deutschen in das Räderwerk aus Rassenwahn und Herrendenken geraten, dem ihr vermeintlich unbotmäßiger Lebensentwurf nicht standzuhalten vermag. Jetzt wird Wieck zur dominanten Figur: Gestärkt durch seine neue Führungsrolle in der SS, die ihn mit der „Erfassung jüdi scher Wirtschaftsgüter“ in Budapest betraut hat, betreibt er unter der Hand einen lukrativen Handel mit teuer zu erkaufenden Ausreisegenehmigungen für ungarische Juden. Dabei offenbart er sich als zynisch-gedankenloser Jongleur, der seine vorgebliche Menschlichkeit und moralische Integrität als eiskalt berechnetes Kalkül ausspielt, dessen Opfer schrittweise auch die drei Liebenden werden.

Rolf Schübel erzählt diese bittere Geschichte als aufwendig in Szene gesetztes Melodram, das sehr bewusst zu vermeiden versucht, die damalige Zeit und ihre „große“ Politik kopflastig zu analysieren und zu reflektieren. Vielmehr sucht er einen betont populären und sinnlichen narrativen Zugriff auf die Fabel, um im steten Ausgleich von Heiterem und Tragischem, Spielerischem und Ernstem die Grenzen von Utopie und Wirklichkeit auszuloten und dabei das fatale Verhältnis von Politik und (Lebens-)Kultur nahe zu bringen. Dabei erweckt die erlesene Kameraarbeit, die die zahlreichen Innenszenen in mal warm-intimes, mal bedrohlich-kaltes Licht taucht, die akribisch ausgestatteten Schauplätze eindrucksvoll zum Eigenleben, das vor allem durch die schauspielerischen Leistungen von Joachim Król und Ben Becker Konturen und Glaubwürdigkeit gewinnt: Sie vermitteln eindrucksvoll die antipodischen geistigen Haltungen, die einerseits zu menschlichen Komplikationen, andererseits zu den Lebensgefahren der politischen Lage führen. Dass der Film angesichts solcher Qualitäten letztlich doch nicht ganz überzeugt, liegt vor allem an zwei Dingen. Zum einen ächzt es immer wieder im Gebälk der erzählerischen Konstruktion, die allzu demonstrativ den Bezug zur unmittelbaren Gegenwart sucht, indem sie die verklammernde Rahmenhandlung noch mit einer aufgesetzten Rache-Story belastet; andererseits misstraut Schübel leider viel zu sehr der emotionalen Tragfähigkeit seines Jonglierens mit Spiel und Wirklichkeit: Statt der Suggestivkraft der Musik und der Wirkung von Blicken und stillen Gesten zu vertrauen, müssen im Dialog immer wieder breit ausgewalzte Sentenzen rezitiert werden, die im besten Fall redundant wirken, im schlimmsten den gesucht sinnlichen Zugriff auf den Stoff geradezu torpedieren. Erst gegen Ende gelingt es Joachim Król wieder, die Blicke auf sein Gesicht zu lenken: Der von den Ereignissen überrollte Szabó verstummt, lässt sich widerstandslos abführen und deportieren, wobei allein sein ebenso spärlich wie präzis eingesetztes Mienespiel den Schrecken, aber auch die tiefe Trauer seines Erkennens spiegelt. Es ist eine der besten darstellerischen Leistungen Króls, die den Film doch zu einem bewegenden Ende bringt.
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