Kikujiros Sommer

Jugendfilm | Japan 1998 | 121 Minuten

Regie: Takeshi Kitano

Ein achtjähriger Halbwaise aus Tokio wird auf der Suche nach seiner Mutter von einem Bekannten seiner Großmutter begleitet. Während der letztlich erfolglosen Reise bahnt sich zwischen dem stillen, traurigen Kind und dem aggressiven Grobian langsam eine Freundschaft an. Eine von Melancholie und Poesie, aber auch von unbändiger Lust an kindlichen Späßen getragene Hommage an den Slapstick-Stummfilm, die das Genre durch den surreal-absurden Humor Takeshi Kitanos "modernisiert". Durch das berührende Spiel der beiden Hauptdarsteller zugleich ein unaufdringliches Plädoyer für Freundschaft und Menschlichkeit. - Sehenswert ab 10.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
KIKUJIRO NO NATSU
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Bandai Visual/Tokyo FM/Nippon Herald/Office Kitano
Regie
Takeshi Kitano
Buch
Takeshi Kitano
Kamera
Katsumi Yanagishima
Musik
Joe Hisaishi
Schnitt
Takeshi Kitano
Darsteller
Beat Takeshi (Kikujiro) · Yusuke Sekiguchi (Masao) · Kayoko Kishimoto (Kikujiros Frau) · Great Gidayu (Fatso) · Rakkyo Ide (glatzköpfiger Biker)
Länge
121 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0 (Video)
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 10.
Genre
Jugendfilm | Komödie
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Das Interview mit dem Regisseur in der Bonussektion ist auf der Senator DVD (9 Min.) gegenüber der Atlantis DVD (23 Min.) stark gekürzt.

Verleih DVD
Atlantis Film (16:9, 1.85:1, DD2.0 jap., DD5.1 dt.); Senator (16:9, 1.85:1, DD5.1 dt.)
DVD kaufen

Diskussion
Mit seinen virtuos inszenierten, die Publikumserwartungen immer wieder düpierenden Gangster-Balladen „Hana-Bi“ (fd 32 958), „Sonatine“ (fd 33 140) und „Violent Cop“ (fd 33 144) wurde Takeshi Kitano unter europäischen Cineasten bekannt. In Japan ist das 1947 geborene Allround-Talent allerdings seit den 80er-Jahren eine Kultfigur, die zeitweise in neun verschiedenen Fernsehshows pro Woche zu sehen war: vom Stand-up-Komiker bis zum Moderator wissenschaftlicher Sendungen machte er sich vor allem als respektloser Kommentator aktueller Ereignisse einen Namen. Internationales Aufsehen erregte der auch als Schriftsteller und Maler hervorgetretene Takeshi erstmals als brutaler Sergeant Hara in Nagisa Oshimas „Furyo – Merry Christmas, Mr. Lawrence“ (fd 24 288), ehe er mit „Hana-Bi“ 1997 in Venedig den „Goldenen Löwen“ gewann. Nun hat er seinen Spaß an anarchischer Gewalt mit einer geradezu kindischen Lust am Unsinn vertauscht und ist zu seinen Ursprüngen als Komiker zurückgekehrt.

„Kikujiros Sommer“ erzählt von der abenteuerlichen Reise eines höchst unterschiedlichen Paares. Der achtjährige Halbwaise Masao, der seine Mutter nie gesehen hat, wächst bei seiner Großmutter in Tokio auf. Als die Sommerferien beginnen und alle Freunde in Urlaub fahren, macht er sich auf die Suche nach seiner Mutter. Eine Bekannte schickt ihren nutzlosen Mann Kikujiro als Aufpasser mit, der seinen Schützling gleich auf die Radrennbahn schleppt. Nachdem er sein ganzes Geld und auch Masaos Taschengeld verwettet hat, müssen sie ihre Reise zu Fuß fortsetzen. Am Abend wird Masao von einem Päderasten belästigt; Kikujiro befreit ihn und stiehlt ein Taxi, das infolge seiner mangelnden Fahrkünste bald den Geist aufgibt. So landen sie in einem Hotel, wo sich der ungehobelte Kikujiro wieder daneben benimmt. Auch beim Trampen entwickelt er recht ungewöhnliche Methoden, um mitgenommen zu werden. Schließlich chauffiert sie ein freundlicher Poet in seinem Kleinbus bis zum Haus von Masaos Mutter. Hier muss der Junge enttäuscht mit ansehen, wie eine junge Frau gerade ihren Mann und ihre Tochter verabschiedet: Offensichtlich hat seine Mutter alle Brücken hinter sich abgebrochen und eine neue Familie gegründet. Kikujiro versucht, Masao mit einem Engelsglöckchen zu trösten, das er zwei Bikern abgenommen hat, und erklärt ihm, seine Mutter sei umgezogen und habe das Glöckchen zurückgelassen, damit es ihn irgendwann zu ihr führt. Auf der Rückreise treffen sie wieder den Poeten und die beiden Biker; gemeinsam verbringen sie einige Tage mit ausgelassenen Spielen an einem Flussufer. Zurück in Tokio, trennen sich Masaos und Kukijiros Wege. Doch beide gehen mit dem Gefühl auseinander, einen Freund gefunden zu haben.

Takeshi Kitano, der selbst die Hauptrolle spielt, hat die unspektakuläre Geschichte in Kapitel aufgeteilt, als wolle er wie zur Erinnerung an seine eigene Kindheit in einem Familien-Fotoalbum blättern. Obwohl er den Film nicht autobiografisch verstanden wissen will, trägt die Figur Kikujiros Züge von Takeshis Vater, der durch seine Spielleidenschaft die Familie in große Schwierigkeiten stürzte. Andererseits ist Kikujiro auch eine Persiflage auf sein eigenes (Film-)Image als „tough guy“: „Hör auf, den Gangster zu spielen“, schilt ihn seine Frau und stellt ihn einer Gruppe herumlungernder Jugendlicher als warnendes Beispiel eines heruntergekommenen Säufers vor. Vor allem aber ist „Kikujiros Sommer“ eine wundervolle Hommage auf die (Slapstick-) Komik der Stummfilmzeit, die Takeshi mit seinem eigenen surrealen Humor vermischt. Zum einen setzt er Chaplins „The Kid“ ein Denkmal, zum anderen erinnert er mit seinem stoischen, keinerlei Gefühle verratenden Gesichtsausdruck immer wieder an Buster Keaton. Wenn er sich – gefilmt in einer nicht alles „enthüllenden“ Totale, die die Fantasie des Zuschauers beflügelt – mit einem Lastwagenfahrer anlegt, dessen LKW er zuvor demolierte, zeigt sich in der bildhaften Auflösung der Szene nicht nur seine Kenntnis und Liebe zum Stummfilm, sondern auch eine unbändige Lust an einem anarchistischen Humor, den Takeshi auch mit makabren oder fast „bösartigen“ Elementen zu variieren weiß. Die wie improvisiertes Straßentheater wirkenden Spiele am Flussufer sind von geradezu rührender Naivität, frönen andererseits aber auch dem absurd-surrealen Humor Takeshis. Dem gegenüber steht die Poesie des Films, die sich vor allem aus der melancholischen Aura der beiden Hauptdarsteller entwickelt: hier der stille, immer etwas bedrückt wirkende Masao, dort der grobschlächtige Kikujiro, hinter dessen aggressiver Fassade ebenfalls Einsamkeit hervorbricht. So steht am Ende der sich vorsichtig entwickelnden, aber nie ausgesprochenen Symphatie zwischen den beiden die Hoffnung auf eine Freundschaft, die die Reise überdauert. Eine Reise, die Takeshi Kitanos langjähriger Mitarbeiter Joe Hisaishi mit einem mal unbeschwert, dann wieder melancholisch bis traurig wirkenden Soundtrack begleitet, der den Zuschauer emotional an den Gefühlen der Protagonisten teilhaben lässt. Kameramann Katsumi Yanagishima liefert dazu leuchtende „Sommerbilder“, deren schnörkellose Klarheit immer wieder das beschwören, was Takeshi Kitano sehen lassen will: die Poesie, aber auch die Absurdität des Lebens.
Kommentar verfassen

Kommentieren