El Entusiasmo (1999)

- | Chile/Spanien/Frankreich 1999 | 108 Minuten

Regie: Ricardo Larrain

Zwei Freunde, die dieselbe Frau lieben, erleben die Zeit nach der Diktatur in Chile ganz unterschiedlich. Während sich der Eine zunehmend materiellen Zielen verschreibt und so seine Frau mit dem gemeinsamen Kind in die Trennung treibt, kann sich der Andere aus seiner Zurückgezogenheit und Resignation nicht befreien und verschließt sich einer Beziehung. Ricardo Larraíns zweiter Spielfilm ist als metaphernreiches Spiegelbild einer Gesellschaft angelegt, die auch nach der Demokratisierung unter dem Trauma der Unterdrückung leidet. Dabei kommt in dem ambitionierten Konzept die Individualität der Figuren zu kurz, worunter Überzeugungskraft und Stringenz leiden. (O.m.d.U.; Fernsehtitel: "Reise ins Nichts") - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
EL ENTUSIASMO | L' ENTHOUSIASME
Produktionsland
Chile/Spanien/Frankreich
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
CineXXI/Paraiso/Cartel
Regie
Ricardo Larrain
Buch
Ricardo Larrain · Jorge Goldenberg
Kamera
Esteban Courtalon
Musik
Jorge Arriagada
Schnitt
Danielle Fillios
Darsteller
Maribel Verdú (Isabel) · Alvaro Escobar (Fernando) · Carmen Maura (Maria) · Gianfranco Lebrini (Miguel) · Leonardo Morales (Don Tito)
Länge
108 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
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Diskussion
Eine Dreiecksbeziehung zwischen einer jungen Frau und zwei Männern im Norden Chiles: 1984, noch während der Militärdiktatur Pinochets, stellt Guillermo seinem Freund Fernando die hübsche Isabel vor. Die beiden Männer sind gerade von einer Militärübung desertiert und rezitieren Verse aus dem „Canto General“ von Pablo Neruda, in denen von der „República Independiente“ die Rede ist. Doch diese ist zu dieser Zeit nur eine Utopie, ein „Konzept“ – und sie wird es auch bleiben, denn statt wirklicher Unabhängigkeit und Freiheit sind die folgenden Jahren – trotz wichtiger politischer Veränderungen – weitgehend von Verunsicherung und Lähmung geprägt, während das Recht des Stärkeren zunehmend den Gang der Dinge bestimmt. Einige Jahre nach den Ereignissen der Eingangssequenz sind Fernando und Isabel ein Paar. Der lange seitliche Schwenk im Anschluss an eine Liebesszene macht deutlich, dass einige Zeit vergangen sein muss. Denn in einem Laufstall sieht man bereits das Resultat dieser Beziehung – in Gestalt des kleinen Miguel. Die drei leben weiterhin im nördlichen Chile, dort, wo die Atacama- Wüste mit ihren Salpeter-Vorräten und einer kargen, weiten Landschaft das Bild prägt. Fernando träumt nach dem Ende der Diktatur von erfolgreichen Geschäften, zunächst allerdings noch mit einem betont naiven, spielerischen Impetus. Als seine touristischen Unternehmungen aber immer erfolgreicher laufen und seine inszenierten Attraktionen immer unverfrorener und klischeehafter werden – Kunden sind in erster Linie altlinke US-Amerikaner, die er zu den Schauplätzen der ehemaligen Arbeiterbewegung führt –, verliert er allmählich den Boden unter den Füßen. Fast zehn Jahre musste der 1957 in Santiago geborene Ricardo Larraín warten, bis er nach seinem Debütfilm „La Frontera“ und nach Arbeiten als Werbe- und Dokumentarfilmer seinen zweiten Spielfilm realisieren konnte, den er mit vielen hochsymbolischen Bildern angereichert hat. Vielleicht ist es die zeitliche Nähe zur Ära der Diktaturen, die lateinamerikanische Regisseure so oft zur symbolischen Zuspitzung greifen lässt, zu einer „uneigentlichen“ Ausdrucksweise, die unter Militärregimen das Überleben ermöglichte, inzwischen aber etwas aufgesetzt und gekünstelt wirkt. In Filmen des „späten“ Solanas verströmen sie immerhin noch eine gewisse satirische Schärfe („Die Reise“, fd 30 137); jüngere Filmemacher wie Walter Salles oder Ricardo Larraín bedienen sich dieser Metaphern dagegen mit einer eher oberflächlich poetisch-emotionalisierenden Haltung. Zwar sind Handlungen, Schauplätze und Figurenkonstellationen in „El Entusiasmo“ schön ausgedacht und inszeniert. Doch sie rauben der Dreiecksgeschichte einiges an Kraft und individueller psychologischer Grundierung, weil Larraín stets mehr erzählen will als „nur“ diese persönliche Geschichte. Unter diesem Konzept, das der Film transportieren soll – ein Land und seine Menschen nach der Diktatur unter den Fährnissen des „alles ist möglich“ –, leidet sein ambitionierter Film und insbesondere die dramaturgische Konsequenz. Natürlich steht die Figur des Fernando für den Nutznießer der Verhältnisse nach der Diktatur, der den ungebändigten wirtschaftlichen Liberalismus ohne soziale Flankierung enthusiastisch für persönliche Geschäfte und Bereicherungen entdeckt. Sein „Abheben“ deutet der Film schon früh an, als Fernando mit Isabel in der Wüste gezeigt wird, an einer Stelle, wo die Schwerkraft wie aufgehoben wirkt. Später, als er sprichwörtlich auf Wüstensand baut (eine Siedlung für Vermögende), wächst die Entfremdung zwischen ihm und Isabel. Auf der anderen Seite des Spektrums befindet sich Guillermo, der Introvertierte und von den Verhältnissen Abgestoßene. Früher hatte er mit seiner Kamera dem Ausland Bilder der chilenischen Realität vermittelt. Nun verzweifelt er an der neuen, ungezügelten Freiheit und ihren Ungerechtigkeiten, verkauft gefälschte Reportagen und zieht sich immer mehr in sich zurück. Zwischen diesen beiden Männern steht Isabel, die lebendigste und überzeugendste Figur des Films. Als sie Fernando den Laufpass gibt, hätte Guillermo die Chance, sie für sich zu gewinnen. Doch irgendwie gelingt ihm dies nicht, sodass am Ende alle drei Protagonisten für sich bleiben. Isabel allein scheint soweit in sich zu ruhen, dass sie mit ihrem Sohn der Zukunft gegenüber offen ist. „El Entusiasmo“ ist kein rundum misslungener Film. Besonders die visuelle Gestaltung der Wüstenszenen ist teilweise eindrucksvoll geraten. Doch Larraín gelingt es nicht, die richtige Mischung aus konkreter dramaturgischer Handlungslinie und Ideenhaftigkeit zu finden. Über der theoretischen Aussage verliert er die Ausgestaltung seiner Figuren aus den Augen. Wie wichtig ihm die Idee gegenüber der konkreten Erscheinung im Film ist, zeigt symptomatisch die Wahl des Soundtracks, die kaum unglücklicher sein könnte. Wie von einer vergessenen Tonspur erklingen immer wieder Passagen aus Dvoráks 9. Sinfonie, die den für Larraín wohl verführerisch klingenden Titel „Aus der Neuen Welt“ trägt. Diese neue Welt ist für den Regisseur ganz offensichtlich auch das Chile nach der Diktatur, doch der abstrakte, theoretische Transfer wirkt äußerst bemüht und ist seiner der sinnlichen Wirkung mit all seinem symphonischen Bombast schlicht ein Fehlgriff.
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