Kinderfilm | USA 1998/99 | 94 Minuten

Regie: John Lasseter

In ihrem zweiten Abenteuer verschlägt es die "Toy Story"-Figuren Woody, einen Cowboy, und Space-Käpt'n Buzz Lightyear in die finstere Welt eines Spielzeugsammlers. Woody erweist sich als von Sammlern begehrter Puppen-"Klassiker", der mit seinen ihm bislang unbekannten Weggefährten aus den 50er-Jahren an ein Museum verkauft werden soll. Schließlich aber ziehen er und seine Freunde die Liebe des Jungen Andy dem ewigen Leben in der Vitrine vor. Der computeranimierte Trickfilm erweist sich in seiner atemberaubenden Rasanz sowie seiner überbordenden Fülle an Gags und Einfällen als ein wahres Meisterwerk der Erzählkunst. Er fasziniert sowohl als Unterhaltung auf höchstem Niveau als auch als vielschichtiger Exkurs über das Wesen des Spiels sowie die Funktionsweise kindlicher Fantasie, wobei auch Themen wie Verlustängste, Sorgen vor dem Älterwerden und der Wert von Freundschaft und Liebe einfließen. Ursprünglich in 2D produziert, wurde der Film 2009 zur erneuten Auswertung gerendert und in 3D konvertiert. - Sehenswert ab 6.
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Filmdaten

Originaltitel
TOY STORY 2
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1998/99
Produktionsfirma
Pixar Animation Studios/Walt Disney Prod.
Regie
John Lasseter · Lee Unkrich · Ash Brannon
Buch
John Lasseter · Pete Docter · Ash Brannon · Andrew Stanton · Rita Hsiao
Kamera
Sharon Calahan
Musik
Randy Newman
Schnitt
Edie Bleiman · David Ian Salter · Lee Unkrich
Länge
94 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 6.
Genre
Kinderfilm | Animation
Externe Links
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Heimkino

Unter den Extras der Erstauflage (DVD) befindet sich unter anderem die Pixar-Kurzanimation "Die kleine Lampe" (1986, 2 Min.) sowie eine Featurette zur Filmmusik (3 Min.) und zu den Charakteren (4 Min.). Bei der Special Collection (2004) handelt es sich lediglich um einen neue Umverpackung. Die Special Edition (2005) enthält indes einen dt. untertitelbaren Audiokommentar des Regisseurs John Lasseter, des Co-Regissuere Lee Unkrich und Ash Brannon sowie Co-Autor Andrew Stanton und ein Feature mit drei im Film nicht verwendeten Szenen (4 Min.). Die Special Edition (2010) enthält zudem die Featurette "Hommage an Joe Ranft" (13 Min.). Die BD enthält alle Extras der DVDs.

Verleih DVD
Buena Vista (16:9, 1.78:1, DD5.1 engl./dt.) Special Edition: Buena Vista/Pixar (16:9, 1.78:1, DD6.1 engl./dt.)
Verleih Blu-ray
Buena Vista/Pixar (16:9, 1.78:1, dts-HDMA engl., dts6.1 dt.)
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Diskussion
Die Filmgeschichte ist nicht gerade reich an Fortsetzungsfilmen, die ihre Originale übertreffen. Wenn sie jedoch gelungen sind, dann meist in den fantastischen Genres: Über „Frankensteins Braut“ , „Das Imperium schlägt zurück“ (fd 22 701) und „Batmans Rückkehr“ (fd 29 703) besteht unter Cinephilen Konsens bezüglich ihrer Überlegenheit innerhalb der Filmzyklen, denen sie entstammen. Der Grund ist stets der gleiche: Alle diese Filme vertiefen die charakterliche Entwicklung von ursprünglich eindimensional angelegten Figuren. Dazu setzen sie für den Stimmungsgehalt ihres künstlerischen Umfelds Farben ein, an die man sich beim Ursprungsfilm nicht gewagt hatte. Warum, fragt man sich, gelang dies nicht schon beim ersten Mal? Es ist nicht reizlos, sich vorzustellen, wie etwa James Whales erster „Frankenstein“ oder Tim Burtons „Batman“ (fd 27 905) ausgesehen hätten, wenn sich ihre Schöpfer bereits dort an die Ausfüllung der Leerstellen gemacht hätten. Vermutlich aber hätte es dann nie einen zweiten Frankenstein gegeben; ein Mythos kann bei seiner Geburt nicht allgemein genug sein - wie sonst sollten sich Legenden um ihn ranken?

„Toy Story 2“ ist auch in diesem Umfeld ein besonderer Fall. Schon der erste Teil war so hinreißend, dass man die Filmgeschichte anrufen musste, um einen Platz zu reklamieren. Der war schnell gefunden: Als erster komplett computeranimierter Trickfilm führt in der Geschichte des Mediums kein Weg an „Toy Story“ (fd 31 830) vorbei. Doch auch die kunstvolle Erzählung wurde seinerzeit nicht übersehen: Nie zuvor war ein Trickfilmdrehbuch für den „Oscar“ nominiert worden. Wie ein filmdramaturgisches Kompendium wirkte der Film in seinem Reichtum an winzigen Details, die gleich einem sich selbst zusammensetzenden Puzzlespiel in immer neue Verknüpfungen traten. Doch gegen die Fortsetzung erscheinen die bewunderten Charaktere plötzlich nahezu blass. Eine kleine Szene zu Beginn schlägt das Hauptthema an: Unter den Spielzeugen im Kinderzimmer bereitet man sich auf das Hereinpoltern des Familienhundes vor. Alles nimmt seine Plätze ein, um dennoch umgerannt zu werden. Sollten die Spielzeuge durch die Ankunft des Vierbeiners aus der Gunst ihres Besitzers Andy verstoßen werden, wie es seinerzeit in Disneys Klassiker dem Hund „Susi“ auf Grund eines Baby widerfahren war? Weit gefehlt! Niemand sieht in dem lustigen, aber furchtbar dummen Hund eine Gefahr. Doch wenn die Cowboy-Figur Woody, die sich auf den traditionellen Urlaub mit Andy im Cowboy-Camp freut, wohin er als einziges Spielzeug mitgenommen werden soll, durch den Überschwang seines Besitzers einen Riss bekommt und aufs Abstellregal wandert, dann ist die Sache klar: Mehr noch als im ersten Film geht es in „Toy Story 2“ um Verlustängste und die Sorge vor dem Älterwerden. Höchst menschliche Probleme, die hier parabelhaft in die Psyche von Spielzeugen verlagert werden.

Ein Flohmarkt wird zum Friedhof der Kuscheltiere. Dorthin verschlägt es einen vergessenen, müde quietschenden Plastikpinguin, und als Woody ihn retten will, ist es auch um ihn geschehen: Gestohlen von einem fanatischen Spielzeugsammler, der ihn in einen goldenen Käfig steckt, nimmt er Abschied vom Kinderzimmer. Was niemand bisher wusste: Woody ist eines der letzten erhaltenen Exemplare eines Kultspielzeugs aus den Fünfzigern. Endlich ist die Sammlung von Merchandising-Figuren zu einer damals populären Western-Serie komplett, die der Spielzeug-Fetischist nach Japan verkaufen will. Woody lernt dabei seine wahre Familie kennen: das robuste Cowgirl Jessie, den strengen Goldgräber Stinke-Piet und das liebe Pferd Bully. Das Set-Design leistet hier Großartiges in der Evokation einer ganzen Popkultur aus Erinnerungsstücken und Devotionalien einer nie gewesenen Fernsehvergangenheit. Die Serie selbst, in der die Figuren als schwarz-weiße Marionetten agieren, ist so charmant, dass nicht nur ein selbstverliebter Woody davor kleben bleibt.

Unterdessen macht sich die Kinderzimmer-Gang, angeführt von Captain Buzz Lightyear, auf zur Rettungsodyssee. Als sie in den Spielzeugladen des Diebs eindringen, erstarrt Buzz vor einem ganzen Regal voller Artgenossen, aus deren Reihen sich einer anschickt, frech seine Rolle einzunehmen und ihn erst einmal ins Abseits zu manövrieren. Wie ein Mahnmal der Gentechnologie erscheint diese Sequenz, die natürlich die Einzigartigkeit des Individuums unter allen Klons beweisen wird. Denn das ist die Utopie von „Toy Story“, diese einfache Formel, die zurückgeht auf Hans Christian Andersens Märchen vom tapferen Zinnsoldaten: die Vorstellung, dass Spielzeuge Leben besitzen und einzigartig sind, ist bei Lasseter alles andere als ein muffiges Bilderbuchklischee. Es ist ein Spiegel für die Funktionsweise kindlicher Fantasie, die sich ja gerade an dem unscheinbarsten Gegenstand entzündet. Von daher unterscheidet sich auch der Umgang mit der Computer-Animation grundlegend vom üblichen Illusionismus: Das Kinderzimmer wird eben nie zum Jurassic Park, und seine Bewohner bleiben Produkte der Industrie. Viele der „Toy Story“-Stars wie Mr. Potatohead mit seinen austauschbaren Gesichtselementen sind bereits seit Jahrzehnten Stars in den amerikanischen Kinderzimmern und haben ihre eigene Kulturgeschichte als Design-Klassiker ihrer Art.

Es ist kein Zufall, dass Lasseter selbst ein ausgewiesener Spielzeugsammler ist, der sich in der Figur des kauzigen Fetischisten karikierte und privat seine liebe Not hat, die eigenen fünf Söhne von den Vitrinen fernzuhalten. Wenn das Wort Animation in seiner lateinischen Ableitung auf jenen Lebenshauch rekurriert, so kann man dies hier durchaus auf das Wesen des Spiels und seiner ihm innewohnenden Macht zur Verlebendigung toter Objekte ausweiten. Die Surrealisten entwickelten ihre Spiele nach diesem Gedanken, und Lasseters Kino ist in diesem Sinne der reinste Surrealismus, weil er sich in das Zwischenreich zwischen Objekt- und Imaginationswelt begibt. Auch in der Geschichte obsiegt natürlich der Gedanke der Verlebendigung durch das kindliche Spiel über alle museale Sammelleidenschaft. Wenn der grimmige Stinke-Piet Woody mit aller Gewalt davon abhalten will, gemeinsam mit seinen historischen Artgenossen in Andys Kinderzimmer zu fliehen, verheißt er ihm ewiges Leben im Musentempel. Doch gerade das lebendige Spielzeug von „Toy Story“ zieht es zurück zur anderen, wahren Form der Animation: einem Dasein als Projektionsfläche kindlicher Fantasie. Dass es in Kinderzimmern auch Bücher gibt, war in „Toy Story“ immer sichtbar. Eines trug sogar Lasseters Namen.

Dieser Film ist ein Juwel der Erzählkultur, er rangiert haushoch über allen sonstigen Produkten der Entertainment-Industrie, die Narrationen zur Grundlage haben. Das soll nicht heißen, dass man nicht irgendwann ein spannenderes Fußballspiel sehen wird. Wibei man sicher sein kann, dass dieses Fußballspiel, wenn man es vorher erfinden wollte und es in jahrerlanger Detailarbeit bis ins Detail perfektioniert zu Papier brächte, nur halb so spannend wäre wie dieser Film. Er ist ein reines Wunder.
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