Havanna, mi amor

Dokumentarfilm | Deutschland 2000 | 82 Minuten

Regie: Uli Gaulke

Dokumentarfilm über das Verhältnis der Kubaner zu ihren "telenovelas", in denen sich Liebe und Leidenschaft spiegeln, sich aber auch ein ambivalenter Eskapismus offenbart. Der Film beobachtet eine Reihe von Männern und Frauen, deren Lebens- und Alltagsgeschichten untrennbar mit den trivialen Fernsehserien verschmolzen sind, wobei ihm ein genaues und sehr lebendiges Bild der kubanischen Gesellschaft gelingt. (O.m.d.U.; Fortsetzung: "Heirate mich!") - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2000
Produktionsfirma
Flying Moon Filmprod.
Regie
Uli Gaulke
Buch
Uli Gaulke
Kamera
Axel Schneppat
Schnitt
Uli Gaulke
Länge
82 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Heimkino

Verleih DVD
Salzgeber (16:9, 1.78:1; DD2.0 dt.)
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Diskussion
„Jetzt hat er keine Probleme mehr“, sagt der Fernsehtechniker zur Kundin. „Darf er auch nicht, denn es gibt keine Ersatzteile mehr.“ Havanna ist die Hauptstadt der Improvisation, angesiedelt zwischen den Resten bescheidener realsozialistischer Konsumgüter und der neuen unerschwinglichen Konsumwelt in Dollars. „Havanna, mi amor“ kondensiert diese Situation in einem Bild: Über die holprigen Straßen der kubanischen Hauptstadt werden große altertümliche Bildschirme geschoben - große Röhrenfernseher; sowjetische Lizenzgeräte mit dem Namen „Caribe“ werden zur Reparatur gebracht, mit der Schubkarre, im Kofferraum auf der Schulter. Der Grund dafür: Das kubanische Fernsehen zeigt eine neue „telenovela“ mit Namen „Si me pudieras querer“ („Wenn du mich lieben könntest“) - Herz, Schmerz, Liebe und Hass, „so kubanisch wie unser Zucker“, sagt die Fernsehansagerin. Dafür werden die alten Geräte mit den letzten Reserven immer wieder repariert, denn niemand kann sich die neuen teuren Fernseher in den „Shoppings“, den Devisenläden, leisten. Jeden Abend, wenn es dunkel wird, schimmert die kollektive Leidenschaft durch den Wald der Antennen, das blaue Licht der Fernsehmonitore in tropischen Wohnzimmern es ist die Stunde der „telenovelas“.

Uli Gaulkes Dokumentarfilm macht sich auf die Suche nach dieser Leidenschaft, und selten ist es einem nichtkubanischen Film so gut gelungen, die Eigentümlichkeiten des Alltags im tropischen Sozialismus so lebendig zu charakterisieren. Es geht um Liebe und die Liebe zu den Liebesgeschichten, um die Männer und Frauen, die vor den Fernsehern sitzen. Die zentrale Figur ist José, der Fernsehmechaniker; ein Meister der Improvisation, der trotz der fehlenden sowjetischen Ersatzteile immer wieder die Fernsehgeräte zum Laufen bringt. Dabei ist Josés private Geschichte für ihn tragischer als alle „telenovelas“: Nach 14 Jahren Ehe hat ihn seine Frau auf die Straße gesetzt, verzweifelt sucht er eine Neue. Die „telenovela“ ist Leben, das Leben eine „telenovela“. Silai, die Chefin des Friseursalon ROJO in der Fußgängerzone von Havanna, liebt ihre Arbeit; ihr Salon ist ein Mikrokosmos, in dem die Fäden vieler Lebensgeschichten zusammenlaufen. Silai hat ihre letzte große Liebe hinter sich: „Statt einen unnützen Mann zu haben, bleibe ich lieber allein.“ Sie schneidet José die Haare, und er verspricht: „Wenn die Frisur gut wird, repariere ich dir den Fernseher.“ Solidarität in der Mangelgesellschaft. Es gelingt dem Film immer wieder, im scheinbar Nebensächlichen das Wesentliche auszudrücken. In Details – etwa einem Poster vom Papst-Besuch im Fitness-Studio - wird deutlich, dass er nicht der übliche visuelle Schnellschuss auf Castros Reich, nicht der übliche „dance macabre“ ist; vielmehr vermittelt Gaulke eine genaue Kenntnis der kubanischen Gesellschaft, die sich auch in den sehr persönlich geführten Interviews zeigt. „Havanna, mi amor“ ist ein Film über Liebe und Trennung, über Männer und Frauen: „Die Männer sind immer eifersüchtig“, sagt Gladys, die junge Tabakarbeiterin. „Das Wichtigste ist, dass sie dich nicht misshandeln, schlagen etwa, dafür ist das Leben zu kurz.“ Der Alltag in Havanna und der gesunde Galgenhumor der Kubaner: „Hier gibt es doch schon seit sechs Monaten kein Wasser mehr!“ - „Aber zumindest bezahlen wir es noch monatlich.“

Offen sprechen die Protagonisten über Perspektivlosigkeit, Alkoholismus, den Traum vom Leben jenseits der Insel: José wirft einen ganzen Monatslohn in den Rachen einer Telefonkabine - zehn Dollar, um eine ehemalige Liebschaft anzurufen, die vor Jahren nach Kanada auswanderte. Die Liebe und die Sehnsucht nach dem Glück: Juana und Felix liegen eng aneinandergeschmiegt vor dem Fernseher: „Das ist wirklich nicht realistisch, wie die Serien das Leben zeigen“, sagen sie. Für Marino gehört sein Fernseher noch zur alten Ehe - nach 38 Jahren hat er sich von seiner Frau getrennt, um mit der wesentlich jüngeren Vilma zusammenzuleben: „Sex ist so wichtig, so gesund“, sagt er lächelnd hinter seinem weißen Schnurrbart. Jahre zu spät greift die „telenovela“ das heiße Eisen der Exilkubaner auf: Gretel, die Tochter, kommt zu Besuch nach Havanna; noch während Mutter und Schwester vor Freude schluchzen, bleibt der Vater hart: „Sie hat sich selbst verraten.“ Vilma findet das absurd: „Kein Vater würde seine Tochter so behandeln, wenn sie im Ausland lebt, denn sie unterstützt doch ihre Familie in Kuba.“ Gaulke glückte ein faszinierendes Geflecht lebendiger Geschichten, Lebensgeschichten zwischen Melancholie und Lebenslust, so widersprüchlich wie die kubanische Hauptstadt selbst, karibische Zeitlosigkeit, ohne den Wechsel der Jahreszeiten. „Havanna, mi amor“ geht weit über andere Dokumentarfilme hinaus, weil er auf subtile Weise den Rhythmus der Insel nahe bringt und sich auf sehr ehrliche und persönliche Weise seinen Protagonisten nähert - ohne Effekthascherei und jeden falschen Exotismus.
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