Die Frau auf der Brücke

Liebesfilm | Frankreich 1999 | 92 Minuten

Regie: Patrice Leconte

Eine junge Frau, die an der Liebe verzweifelt, stürzt sich nachts in Paris von einer Seine-Brücke, ein heruntergekommener, doppelt so alter Messerwerfer verliebt sich in sie, rettet sie und macht sie zur Zielscheibe in seinen Varieté-Auftritten. Das ungleiche Paar hat solange Erfolg, wie er ihre Liebhaber duldet und sie seine Eifersucht. Nach dem Bruch ist er so verzweifelt, dass nun er sterben will. Eine zeitlose, formal meisterhafte Liebesgeschichte mit beeindruckenden Hauptdarstellern, die aber zu sehr den großen Vorbildern des französischen Melodrams huldigt und dabei zu keiner eigenständigen Form und Handlung findet.
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Filmdaten

Originaltitel
LA FILLE SUR LE PONT
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
Les Films Christian Fechner/UGC/France 2 Cinéma/Sofica Sofinergie 5/Canal +
Regie
Patrice Leconte
Buch
Serge Frydman
Kamera
Jean-Marie Dreujou
Schnitt
Joëlle Hache
Darsteller
Daniel Auteuil (Gabor) · Vanessa Paradis (Adèle) · Demetre Georgalas (Takis)
Länge
92 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Genre
Liebesfilm | Melodram
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Diskussion
In den ersten sechs Minuten steckt die ganze Tragik des Lebens. So lange braucht Adèle, ein junge hübsche Frau, um nachts auf einer Seine-Brücke zu erzählen, wie ihre Liebhaber sie im Innersten „so leer gemacht habe“, dass sie nur noch sterben will. Gefilmt in einer einzigen Einstellung, das Gesicht in Großaufnahme, sodass man jedes noch so zarte Lächeln und jede Träne im Auge genau sieht, gewinnen die im Grunde banalen Worte der Gestrandeten eine ungewöhnliche visuelle Kraft. Patrice Leconte hat nicht nur – wie immer – in CinemaScope gedreht, sondern auch in Schwarz-weiß, mit betont weichem und diffusem Licht, wie es in den 30er- und 40er-Jahren René Clair, Marcel Carné und Jean Cocteau für ihre märchenhaften Mélos verwendet haben. Lecontes Film steht in dieser typisch französischen poetischen Tradition, seine Liebesgeschichte ist ähnlich zeitlos und sich selbst genügend. Als Adèle ihre Misere gebeichtet hat, will sie von der Brücke ins Wasser springen. Aber Gabor, der heruntergekommene Messerwerfer, der schon lange kein Glück mehr hat mit seinen weiblichen Zielscheiben, hört ihr zu und verliebt sich in sie. Er bittet sie, nicht zu springen, sondern sich als seine Assistentin mit Messern bewerfen zu lassen. Sterben könne sie ja dabei auch, sogar viel müheloser.

Adèle tut das einzige Richtige: Sie springt. Gabor tut das einzig Fatale: Er springt ihr nach und rettet sie. Wie die Geschichte weitergeht, kann man sich denken. Die beiden werden ein geniales Arbeits- und Liebespaar, das in Zirkus und Varieté von einem Erfolg zu nächsten eilt. Auf der Bühne, wenn sie im knappen Paillettenkleid an ein drehendes Rad gefesselt ist, scheint Adèle wirklich glücklich zu sein, vielleicht weil sie jedes Mal dem Tode nah ist, den Nervenkitzel braucht und die Nummer wie in Trance erlebt. Wenn sie mit Gabor im Casino ihr Geld aufs Spiel setzt, scheint sie auch ganz zufrieden zu sein, aber das alte Leben holt sie immer wieder ein. Adèle ist nur halb so alt wie Gabor; sie sucht sich ständig neue Liebhaber, was Gabor, der wahrhaft Liebende, ihr nachsieht – ebenso wie ihren Fluchtversuch mit dem neuen Geliebten. Allein in Istanbul ist Gabor mut- und glücklos, er trinkt, wirft daneben und bringt seine neue Partnerin wirklich fast um. Adèle konnte er mit verbunden Augen mit den scharfen Messern auf der rotierenden Scheibe bewerfen - seine Liebe half ihm, sie nicht zu treffen. Irgendwann ist Gabor, inzwischen mittellos, an dem Punkt angelangt, wo er derjenige ist, der auf der Brücke steht und springen will - bis aus heiterem Himmel die längst verloren geglaubte Adèle auftaucht und ihn rettet.

Es gibt wunderschöne Bilder in diesem Film, die fast wortlosen Szenen im Abendnebel der Brücke am Wasser vor allem, wenn die beiden mehr mit Blicken als mit Worten zueinander finden, und die kurzen spannungsgeladenen Artisten-Szenen, wenn sie einander blind vertrauend um ihr Leben und ihre Liebe kämpfen. Solche Metaphern kennt man schon seit der Stummfilmzeit, Leconte versucht, sie als Hommage in die Gegenwart zu holen. Das ist durchaus wirkungsvoll, reicht für einige intensive Momente, nicht aber für einen ganzen Film. Die Ehrfurcht vor den berühmten Regie-Kollegen war zu groß, als dass Leconte eine stimmige neuzeitliche Variation anginge. Dabei hat er mit Vanessa Paradis und Daniel Auteuil zwei Schauspieler, die genauso melancholisch wirken können wie Renaud/Barrault oder Arletty/Barrault; und mit Jean-Marie Dreujou einen Kameramann, der stimmungsvoll mit Licht und Schatten umzugehen weiß. Das aber ist das Problem: In jeder Phase wird man an die Filmgeschichte erinnert, so sehr, dass die perfekt nachgearbeitete Atmosphäre die Eigenständigkeit erstickt. Der Film erschöpft sich in Dialogen unserer Zeit, einer nostalgisch-modernen Musik (inklusive einer tristen Ballade von Marianne Faithfull) und einer Grausamkeit der weiblichen Hauptfigur, die weder märchenhaft noch realistisch, sondern nur aufgesetzt erscheint. Ungleiche Partner eines Duos, das ist das Grundthema, das sich durch fast alle Filme Lecontes zieht, doch selten hat sich der für Zwischentöne und feinen Humor so sensible Regisseur so sehr auf Klischees verlassen. Das unberechenbare Mädchen, das wie eine verspielte Lolita mehr in die Liebe und die eigenen Verführungskünste als in einen Mann verliebt ist, der ernste väterliche Liebhaber, der dem auf Dauer nicht gewachsen ist, und eine halbmondäne Welt zwischen Paris und Monte Carlo, zwischen Luxus-Varieté und Casino, machen die unmögliche Liebesgeschichte zwischen zwei extremen Einzelgängern, die ein Plädoyer für wahre Liebe und Menschlichkeit hätte werden können, schnell reizlos und beliebig.
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