Three Seasons

Drama | USA 1998 | 109 Minuten

Regie: Tony Bui

Episoden aus Ho-Chi-Minh-Stadt, als Saigon die ehemalige Hauptstadt Süd-Vietnams: Eine Lotusblütenpflückerin hilft einem leprakranken Dichter bei der Niederschrift seiner Gedichte; ein Rikschafahrer verliebt sich in eine nach westlichem Glanz strebende Prostituierte; ein kleiner Junge verliert seinen Bauchladen; ein Ex-GI sucht seine Tochter. Ein mit leichter Hand ruhig und mit klarem Blick für kleine Gesten und Worte inszenierter Reigen alltäglicher Begebenheiten. Vor dem Hintergrund des sich dem Westen öffnenden Landes vermittelt der gefühlvolle Film einen Eindruck von dem sich anbahnenden Wohlstandsgefälle. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THREE SEASONS
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Open City/The Goatsingers
Regie
Tony Bui
Buch
Tony Bui
Kamera
Lisa Rinzler
Musik
Richard Horowitz
Schnitt
Keith Reamer
Darsteller
Don Duong (Hai) · Nguyen Ngoc Hiep (Kien An) · Tran Manh Cuong (Meister Dao) · Harvey Keitel (James Hager) · Zoë Bui (Lan)
Länge
109 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Diskussion
Auf der Kinoleinwand Episoden aus Ho-Chi-Minh-Stadt, dem ehemaligen Saigon, zu sehen, ist an sich schon eine Seltenheit; wenn sie von einem vietnamesischen Regisseur erzählt werden, der mit amerikanischem Geld dreht, ist das eine kleine Sensation. 25 Jahre hat es gedauert, bis Vietnam dem ehemaligen Kriegsgegner erlaubte, dort einen Film zu drehen. Die letzten fünf Jahre waren besonders schwierig. 1995 ließ man eine französische Firma „Cyclo“ (fd 31 622) produzieren, ein brillantes Gangsterdrama, das den Behörden allerdings zu blutrünstig und freizügig geriet. Danach gab es zunächst keine fremden Produktionen mehr in Vietnam. Der 27-jährige Tony Bui schaffte es dennoch, gemeinsam mit dem umtriebigen Förderer des Independent-Kinos Harvey Keitel, den er als ausführenden Produzenten und Darsteller gewinnen konnte, in der Hauptstadt zu drehen. Das Ergebnis wird die Behörden nicht erneut brüskieren, weil sie es schon während der Produktion ständig überprüften, und dem westlichen Publikum zeigt es ein in dieser Form nie gesehenes Vietnam.

Das Mädchen Kien An findet eine Stelle als Lotusblüten-Pflückerin auf einem See vor der Stadt. Ein Lied, das sie bei der Arbeit singt, führt dazu, dass sie der Meister des Sees, ein Einsiedler, den niemand je gesehen hat, zu sich ruft. Es stellt sich heraus, dass es ein Lied aus seiner Jugend ist; nun ist er an Lepra erkrankt und kann seine selbst verfassten Gedichte nicht mehr aufschreiben. Er bittet das Mädchen, es für ihn zu tun. Hai ist ein rechtschaffender Rikschafahrer, Lan ein Callgirl, das nur in den großen Hotels mit reichen Kunden zu tun haben will. Hai ist fasziniert von ihrer Erscheinung und fährt sie fortan jeden Tag. Durch seine bloße Geduld bricht er langsam die affektierte Fassade des Mädchens auf, das wie er selbst von einem anderen Leben träumt. Ein kleiner Junge namens Woody, der mit einem Bauchladen unterwegs ist, versucht sein Glück in einer Bar. Dort trifft er auf den ehemaligen GI James Hager, der ihm Bier zu trinken gibt. Der Junge nickt ein, und als er aufwacht, ist sein Bauchladen verschwunden. Fortan zieht er durch die Straßen, auf der Suche nach seinem Broterwerb. Derweil brütet James über seiner Vergangenheit und wartet darauf, dass ihm seine Tochter begegnet, die er mit einer Vietnamesin hat. Als diese Begegnung in einem Freudenhaus tatsächlich stattfindet, ist es beiden peinlich.

Mehr oder weniger lose sind diese Episoden zu einem Reigen der Begegnungen verbunden. Die Suche ist das zentrale Thema jeder einzelnen Geschichte: Gesucht werden Menschen oder Dinge, die Erfüllung von Träumen in der Zukunft oder bloß die Vergangenheit. Mitten in der geschäftigen Ho-Chi-Minh-Stadt fallen die Figuren zunächst gar nicht auf, sie sind nichts Besonderes, ihre Schicksale nicht außergewöhnlich. Doch gerade das Gewöhnliche gibt den Geschichten etwas Authentisches, und, obwohl hier keine Parabeln erzählt werden, auch einen gelinde beispielhaften Charakter. Die Stadt, das ganze Land ist schließlich auf der Suche nach einer neuen Identität: Der Wiederaufbau und die Öffnung für westliche Firmen machten den stalinistischen Agrarstaat anfällig für die Versprechungen der Konsumgesellschaft. Tony Bui wurde an einer kalifornischen Filmschule ausgebildet, was vielleicht seinen genauen Blick für kleine, treffende Gesten erklärt. Zugleich aber gelingen ihm einige Momente der Poesie, wie sie das asiatische Kino liebt, etwa ein Regen von Lotusblüten. Die Geschichten bleiben immer im Gleichgewicht: mit leichter Hand erzählt, ruhig, ohne kontemplativ zu werden, dramaturgisch geschlossen, die Bilder immer ein wenig offen gehalten. Für die Kamera gewann Bui Lisa Rinzler, die für Steve Buscemi „Trees Lounge“ (fd 32 351) und für Wim Wenders „Buena Vista Social Club“ (fd 33 721) fotografierte. Einer analytischen oder kritischen Haltung enthält sich der Film. Doch manche Bilder sprechen für sich, etwa die Kulisse aus Leuchtreklamen und schicken Hotels, vor denen die Fahrradfahrer und -kulis entlang fahren. Die Menschen, von denen der Film erzählt, sind am wirtschaftlichen Umbruch nicht beteiligt, bleiben wie Zuschauer außen vor. Was aus ihnen wird, weiß niemand, aber der Film vermittelt die Zuversicht, dass man glücklich werden kann, auch ohne auf das Einlösen der leuchtenden Versprechungen zu warten. Man mag diese Haltung naiv nennen oder auch systemkonformistisch, doch sie entspricht vor allem dem grundlegenden Bedürfnis nach einem Leben nach eigenem Maß.
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