Bringing Out the Dead - Nächte der Erinnerung

Drama | USA 1999 | 120 Minuten

Regie: Martin Scorsese

Ein seelisch ausgebrannter Sanitäter in New York versieht seine tägliche Arbeit, wobei er jede Hoffnung auf die Veränderbarkeit der ihn umgebenden Situation längst aufgegeben hat. Martin Scorseses entnervendes Porträt von Manhattans "Hell's Kitchen" greift das Thema seines fast 25 Jahre alten Films "Taxi Driver" auf. Der durch Bitterkeit, ätzende Ironie und Verzweiflung geprägte Film ist nur schwer erträglich, wobei die Aussicht auf Katharsis von jedem einzelnen Zuschauer selbst abhängt.
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Filmdaten

Originaltitel
BRINGING OUT THE DEAD
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
De Fina-Cappa/Paramount Pictures/Touchstone Pictures
Regie
Martin Scorsese
Buch
Paul Schrader
Kamera
Robert Richardson
Musik
Elmer Bernstein
Schnitt
Thelma Schoonmaker Powell
Darsteller
Nicolas Cage (Frank Pierce) · Patricia Arquette (Mary Burke) · John Goodman (Larry) · Ving Rhames (Marcus) · Tom Sizemore (Tom Walls)
Länge
120 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Buena Vista (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
Vor einem Vierteljahrhundert drehten Martin Scorsese und Paul Schrader „Taxi Driver“ (fd 19 983), jenes vielfach missverstandene, in seiner Essenz jedoch zeitlos gültige Porträt eines von seiner Umwelt seelisch deformierten Menschen, der paradoxerweise erst durch die rigorose Entladung seines Zorns die Anerkennung der Gesellschaft findet, die ihn zum Monstrum erzogen hat. Die nächtlichen Straßen von Manhattans „Hell’s Kitchen“ waren der Schauplatz des Films, ihre Junkies, Huren, Zuhälter und vom Schicksal Vergessenen die „Helden“ der Story. Travis Bickle hat sich verändert in den fast 25 Jahren, die zwischen „Taxi Driver“ und der neuen Zusammenarbeit von Scorsese und Schrader in „Bringing Out the Dead“ liegen. Der Travis Bickle von damals war ein Soziopath, der seiner Wut noch Luft machen konnte, der in seinen blutigen Alleingängen noch eine pervertierte Art von Erlösung fand; der Sanitäter Frank Pierce in Scorseses neuem Film überantwortet sein Dasein resignierend der versteinerten Verzweiflung eines Berufs, in dem die Geister der Toten gegenwärtiger sind als die Hoffnung auf Rettung und Veränderung. Nicolas Cage spielt Frank Pierce wie eine ausgebrannte Ruine, an dessen Gesicht sich die Kamera festsaugt, das aber der Welt nichts mehr zu sagen weiß. Seit Monaten schon hat er in seinem nächtlichen Job keinen Menschen mehr retten können. Das Antlitz eines jungen Mädchens, das ihm unter den Händen gestorben ist, verfolgt ihn wie ein Albtraum. Das naive Gottvertrauen oder die stoische Überlebenstaktik seiner Kollegen sind ihm fremd. „Hell’s Kitchen“ hat sich längst seines Körpers und seiner Seele bemächtigt. Wo Travis Bickle noch zur Waffe greifen konnte, bleibt Frank Pierce nur die Ohnmacht. Wie die Menschen, denen er - rein mechanisch - zu helfen versucht, ist er längst ein Opfer.

Mit „Bringing Out the Dead“ hat Scorsese einen Horrorfilm der modernen Großstadt gedreht, in dem die Menschen nur noch Gegenstand von Herzattacken, Vergiftungen, Verkehrsunfällen und selbsterzeugten Leiden sind, in dem die Pieta der Schlusseinstellung - das Zusammensein des erstarrten Helden mit der Tochter eines seiner „Patienten“ - im Bild einer illusionären Hoffnung gefriert. Der Film treibt die Perversion der Realität, die er in den New Yorker Straßen und in den Erste-Hilfe-Stationen der frühen 90er-Jahre vorfindet, in die letzte Konsequenz: Frank Pierce, der keinem Menschen mehr helfen kann, hilft wenigstens einem von ihnen, seine Integrität zu bewahren, indem er ihm gestattet, endlich zu sterben. Dieses Mitleid ist die einzige aktive Menschlichkeit, die dem Ohnmächtigen geblieben ist. Der Tod in all seinen verschiedenen hässlichen Formen hat ihn ansonsten selbst längst scheintot gemacht.

„Bringing Out the Dead“ ist einer der am schwersten zu ertragenden Filme der letzten Zeit. Selbst der Humor, der gelegentlich aufflackert, ist von einer Bitterkeit, die jedes Lachen verbietet. Scorsese mag sich der Rigorosität bewusst sein, mit der er sich auf die Schattenseiten der modernen Gesellschaft konzentriert; aber er ist kein Filmemacher, der sich dafür mit kleinen Zugeständnissen entschuldigt. Wäre zum Beispiel die Zuneigung, die Pierce zu jener Tochter des Sterbenden entwickelt, anderen Regisseuren Gelegenheit zu melodramatisch erwärmten Erholungspausen, so nutzt Scorsese sie lediglich als Symbol für die erstickende Hoffnungslosigkeit einer Situation, die den Ausdruck sentimentaler Gefühle nicht zulässt. Wie die Abläufe der Nachtschichten, denen der ausgehöhlte, entnervte Frank Pierce trotz aller Anstrengungen nicht entkommen kann, bedient sich auch die Machart des Films der Repetition als strapazierendem Ausdrucksmittel, auch auf die Gefahr hin, dass dessen Monotonie es dem Publikum noch unbequemer macht, dem Geschehen zu folgen. Nichts ähnelt hier gewohntem Kinostil, weder die hypnotischen Einstellungen noch die Unkalkulierbarkeit der Kamerabewegungen, die verwesende Brüchigkeit der Farben oder die delirierenden Tempo-Beschleunigungen, mit denen Scorsese die Handlung gelegentlich vorwärts treibt. Grelle Popmusik als Hintergrund, das ständige Aufheulen der Ambulanz-Sirenen, die geräuschvolle Hektik im Chaos einer ausweglos überfüllten Notaufnahme lähmen ebenso wie die brutale Optik des Films die Widerstandskraft des Zuschauers. „Bringing Out the Dead“ ist ein Film, der einen erschlägt - wie die Realität der desolaten Gesellschaft, die er beschreibt. Ob er eine Katharsis bewirkt, wird von jedem einzelnen Zuschauer abhängen.
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