Tropfen auf heiße Steine

- | Frankreich 2000 | 85 Minuten

Regie: François Ozon

Tragisch-groteskes Kammerspiel um vier Menschen in einer kleinbürgerlichen Etagenwohnung irgendwo im Deutschland der 70er-Jahre: Ein älterer Mann und sein jugendlicher Geliebter leben sich auseinander; zwei Frauen greifen ins ritualisierte Spiel um Liebe und Unterwerfung, Träume und Illusionen ein, ohne den jungen Mann vom Selbstmord abhalten zu können. Höchst artifizielle, hervorragend gespielte Adaption eines frühen Theaterstücks von Rainer Werner Fassbinder. Dessen stilisierte, teils grelle Künstlichkeit durchdringt der Film fern jeder Larmoyanz, um zur Trauer, Einsamkeit und Identitätslosigkeit der Menschen vorzudringen. - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
GOUTTES D'EAU SUR PIERRES BRULANTES
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2000
Produktionsfirma
Fidélité/Les Films Alain Sarde
Regie
François Ozon
Buch
François Ozon
Kamera
Jeanne Lapoirie
Schnitt
Laurence Bawedin
Darsteller
Bernard Giraudeau (Leopold) · Malik Zidi (Franz) · Ludivine Sagnier (Anna) · Anna Thomson (Vera)
Länge
85 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Pro-Fun (1:1.66/16:9/Dolby Digital 5.1)
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Diskussion
„Ich weiß nicht, was soll es bedeuten...“ Heinrich Heines berühmte Zeilen, auch im französischen Original deutsch rezitiert, schweben gleichsam sinnbildlich über diesem seltsamen, bizarren, mal zutiefst melancholischen, mal schreiend komischen Diskurs in Sachen Liebe, Glück, Träume und Illusionen. Was dies alles bedeuten soll, wird sich auch mancher Zuschauer fragen – freilich nur dann, wenn er sich allzu sklavisch an die Handlung klammert und nicht bereit ist, jenen Schwingungen und Stimmungen nachzuspüren, die sich von den zahlreichen Trivialitäten und Chiffren der Fabel lösen, um ein schillerndes Eigenleben zu führen. Wenn die Wirklichkeit nicht hält, was sie verspricht, dann liegt die „Wahrheit“ eben in den Vorstellungen, die sich der Einzelne von ihr macht; auch die Liebe existiert nicht, sagte Rainer Werner Fassbinder, es gäbe nur die Möglichkeit der Liebe, und diese Möglichkeitsform deklinierte er bereits als 19-Jähriger in seinem Theaterstück „Tropfen auf heiße Steine“ mit erstaunlicher Präzision und Strenge. Dass sich dieses nahezu vergessenen Fassbinder-Sujets nun ein ebenfalls noch recht junger Franzose annahm, ist doppelt reizvoll. François Ozon (geb. 1967) versammelt, gleichsam aus der Distanz des Nicht-Deutschen, einen üppigen Fundus deutscher Befindlichkeiten der 70er-Jahre und stellt sie als beredte Kulisse aus, wie es sich ein Deutscher selbst wohl nie getraut hätte: Kitschige Ansichtskarten urbaner „Landschaften“ von Wuppertal bis Köln leiten den Film ein, dessen männliche Protagonisten sich vornehmlich in schneeweiße Nylon-Rollis oder gar Lederhosen gefallen; Stimmung und Liebesbereitschaft stimuliert man mit Kümmerling-Likör, wobei ein kräftiges „Prost“ aus dem französischen Dialog heraussticht. Fassbinder hätte wohl einen Heidenspaß an diesem Film gehabt, der eine hochgradig stilisierte Künstlichkeit schafft, um allmählich, aber unbeirrt immer tiefer ins Zentrum einer rein emotionalen Wahrheit zu stoßen: mitten hinein in die Einsamkeit und Identitätslosigkeit des Menschen, der hilfloses Opfer einer lieblosen Welt ist.

Ozon wahrt die strengen Vorgaben des Theaters, die Einheit von Raum und Zeit, und nutzt die Dialoge als höchst artifizielles Rezitativ zwischen Drama und Groteske, das die Fallhöhe zwischen tiefgründiger Vielschichtigkeit und bodenloser Banalität auslotet. Die vier Personen, die sich durch den Schauplatz einer kleinbürgerlichen Etagenwohnung bewegen, bleiben – zunächst – Figuren auf einem Schachbrett: Leopold, der alternde Versicherungsvertreter mit bisexueller Veranlagung, speist sein übermächtiges Ego (gleichsam als moderner Graf Dracula) aus seinen Eroberungen, wobei ihm in den ersten beiden Akten der junge, naiv-„unschuldige“ Franz ins Netz geht. Gemeinsam exerzieren sie alle Rituale sexueller wie seelischer Macht- und Unterwerfungsspiele durch, bis sich Leopold zu langweilen beginnt und nur noch mit Aggressionen auf Franz’ Versuche reagiert, mit bieder-bürgerlicher Gemütlichkeit sich und dem Geliebten eine Art Nestwärme zu verschaffen. Schließlich treten zwei Frauen hinzu: Anna will ihren einstigen Geliebten Franz zurückholen in eine „normale“ Welt, doch auch sie erliegt den Avancen Leopolds; Vera schließlich taucht aus Leopolds Vergangenheit auf, als eine inzwischen verhärmte, immer noch unter seinem Liebesentzug leidende Erinnerung, die auf den ersten Blick Annas Schicksal zu antizipieren scheint. In Wahrheit aber ist Vera ein Transsexueller, der sich für Leopold (jetzt ein moderner Dr. Frankenstein) zur Geschlechtsumwandlung entschlossen hat, was eher auf Franz’ drohenden Identitätsverlust verweist. Diesem entzieht sich Franz durch Selbstmord, der Leopold und Anna nur kurzzeitig erschrecken kann; allein Vera bemüht sich, erfüllt von tiefer Trauer, ein Fenster zur Außenwelt zu öffnen. Zu dieser betörend schönen Schlusseinstellung singt Françoise Hardy ihr Chanson über jene Träume, „die bei Nacht entstehen und bei Tag verwehen“. Man kann nur darüber staunen, welch tiefen emotionalen Gehalt Ozon aus der Fassbinderschen Versuchsanordnung destilliert hat. Fern jeglicher Larmoyanz empfindet man jene aufrichtige Trauer nach, die man nach dem Wechselbad aus grellen Zynismen, hämischen Karikaturen und trivialem Schlager als existenzielle menschliche Befindlichkeit empfindet. Die ästhetische Strenge seines Vorgehens bricht sich an der atemberaubenden Präzision seiner vier Darsteller, die sich mühelos einreihen in den unvergesslichen Figurenkosmos Fassbinders: zwischen Martha, Elvira Weisshaupt, Petra von Kant, Veronika Voss und all die anderen.
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