Komödie | Russland/Deutschland/Frankreich/Österreich/Schweiz 1999 | 109 Minuten

Regie: Bachtijar Chudojnasarow

Um die Familienehre wiederherzustellen, machen sich ein allein erziehender Vater, sein mit einem Hirnschaden aus dem Krieg zurückgekehrter Sohn sowie seine Tochter auf die Suche nach dem unbekannten Vater des noch ungeborenen Kindes der Tochter. Ein mit großer Fabulierkunst erzählter Film, der die skurrilen Figuren von einer Absurdität in die andere stürzt. Die überbordenden Einfälle zwischen Slapstick und Surrealität werden von poetischen Momenten durchsetzt, aber auch die politische Realität in Usbekistan scheint zwischen den kraftvollen Bildern hindurch. Der überwiegend hervorragend gespielte Film ist durch seine innovative Gestaltung eine Bereicherung fürs europäische Kino. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
LUNA PAPA
Produktionsland
Russland/Deutschland/Frankreich/Österreich/Schweiz
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
NTV-Profit Film/Pandora/Les Films de l'observatoire/Prisma/Thomas Koerfer Film
Regie
Bachtijar Chudojnasarow
Buch
Irakli Kwirikadse
Kamera
Martin Gschlacht · Dusan Joksimovic · Rostilav Pirumov · Rali Raltschew
Musik
Daler Nazarov
Schnitt
Kirk von Heflin · Evi Romen
Darsteller
Chulpan Khamatova (Mamlakat) · Ato Muchamedshanow (Safar) · Moritz Bleibtreu (Nasreddin) · Merab Ninidze (Alek) · Nikolai Fomenko (Yassir)
Länge
109 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Komödie
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
Kinowelt (16:9, 1.66:1, DD5.1 russ./dt.)
DVD kaufen

Diskussion
Irgendwo in der Wildnis Zentralasiens stahl die Crew einer lokalen Fluglinie einen Bullen. Im Flugzeug befreite sich das Tier jedoch von seinen Ketten und begann zu wüten. Aus Angst vor einem Absturz öffnete die Mannschaft die Ladeklappe, und das Bulle fiel aus einer Höhe von 5000 Metern direkt auf ein kleines Fischerboot im Kaspischen Meer. Die einzige Überlebende war eine junge schwangere Frau, die bei dem tragischen Unglück ihren Mann, ihren Vater und ihren Bruder verlor - und natürlich glaubte ihr niemand die Geschichte.

Bakhtiar Kudojnazarov aber passt sie adäquat ins filmische Konzept von „Luna Papa“: So fällt auch hier ein Bulle vom Himmel, erschlägt nun bei einer Hochzeitsfeier Vater und Bräutigam der jungen Mamlakat, die gerade eine wahre Odyssee auf der Suche nach dem Erzeuger ihres noch ungeborenen Kindes hinter sich hat. Denn nur der Mond war Zeuge, als das 17-jährige Mädchen, das von einer Karriere als Schauspielerin träumt, nach dem Besuch einer Theatertruppe in seinem usbekischen Dorf von einem Mann geschwängert wird, der vorgibt, ein Freund von Tom Cruise zu sein. Nach zwei misslungenen Abtreibungsversuchen klappert Mamlakat mit ihrem allein erziehenden Vater Safar und ihrem seit seiner Rückkehr aus dem Afghanistan-Krieg hirngeschädigten Bruder Nasreddin die Theater der Umgebung ab, um „Luna Papa“ zu finden und die Familienehre zu retten; denn in Far Chor wird sie schon als „Hure“ beschimpft und von den Dorfbewohnern geschnitten. Als sich der Vater aber nicht auftreiben lässt, kehrt Mamlakat verzweifelt ihrem Zuhause den Rücken und steigt in den Zug nach Moskau. Dort trifft sie einen jungen „Doktor“ wieder, den sie einst bei einer dubiosen Blutspende-Aktion kennen gelernt hatte und der nun offenbar in illegale Glücksspiele verwickelt ist. Mamlakat rettet Alek vor seinen kriminellen Gläubigern, er entdeckt seine Liebe zu ihr, und stolz präsentiert sie ihn ihrem Vater als den gesuchten Schauspieler. Und würde nicht der Bulle vom Himmel fallen, gäbe es ein treffliches Happy End. Dieses kommt im zweiten Anlauf zwar auch noch aus der Luft - in Gestalt jenes Piloten, der die besagte Schauspieltruppe von Ort zu Ort fliegt und der damals Mamlakats Naivität ausgenutzt hatte. Er verspricht unter leichtem Druck von Mamlakat und Nasreddin, dem Kind seinen Namen zu geben, verfällt dann aber in einen mysteriösen Tiefschlaf. Als die Stimmung im Dorf immer aggressiver wird, flüchtet Mamlakat auf das Dach eines Hauses. Nasreddin trennt es mit einem Kurzschluss ab, und wie ein fliegender Teppich entschwebt das Dach in die Lüfte - dem endgültigen Happy End entgegen, das sich zumindest für Mamlakat und ihr noch ungeborenes Baby einstellt.

Das ungeborene Kind ist es denn auch, dass aus dem Off diese von fantastischen Einfällen überbordende Geschichte erzählt. Schon die Eingangssequenz ist Kino pur: Ein „Flug“ über die karge usbekische Landschaft, eine Stampede von Wildpferden, die durch Far Chor getrieben wird, das wie ein von Hundertwasser und Gaudí inspiriertes Kulissendorf aussieht, durch das Nasreddin und Mamlakat rennen und Flugzeug und Auto spielen, wobei sie immer noch von der Kamera verfolgt werden. Danach lässt die Inszenierung dem Betrachter ein wenig Ruhe, stellt den bodenständigen, bärbeißigen Safar, seine unschuldig-naive Tochter Mamlakat und seinen als Dorftrottel akzeptierten Sohn Nasreddin näher vor, um danach wieder in einer geradezu anarchistischen Tour de Force von einer Absurdität in die nächste Fantasterei zu verfallen. Dabei entwickeln sich neben nahezu surreal anmutenden Einfällen wie dem vom Tod des Arztes, der während einer schon eingeleiteten Abtreibung zwischen die Fronten zweier Banden gerät, auch Szenen von reinstem Slapstick.

Wenn das Trio wieder einmal ein Theater stürmt, dann gibt Bakhtiar Khudojnazarov dem Affen kräftig Zucker: Da werden Drehbühnen beschleunigt, die Schauspieler in den Soufflierkasten gerissen, oder Safar schläft wieder einmal laut schnarchend ein, weil das ständig gespielte Shakespeare-Stück immer so ewig lange dauert. Aber die Regie versteht es, solche turbulenten Szenen stets auf den Punkt hin zu inszenieren, sie nie auszudehnen, treibt sie vielmehr geschickt in Elipsen voran. Immer wieder hält auch die gesellschaftspolitische Realität Einzug ins chaotische Treiben, wobei man sich manchmal fragt, ob sie in Wirklichkeit nicht genauso absurd ist, wie sie hier skurril überhöht wird. Da kontrollieren Wegelagerer mit einem Panzer die Gegend, verdienen sich selbst ernannte Ärzte mit Blutspende-Aktionen eine „goldene Nase“ oder schießt ein lokaler Mafia-Boss wild um sich, weil Safar seinen Sohn als Schwiegersohn ablehnt. Das alles hat Khudojnazarov mit einem Schuss märchenhafter Poesie garniert, die sich vor allem aus den verträumten Augen von Chulpa Hamatova speist, die bereits in Veit Helmers „Tuvalu“ (fd 34 315) verzauberten. Ato Mukhamedzhanovs „urgesteinige“ Interpretation des Vaters bildet dazu den passenden Gegensatz, und man ahnt bei jedem seiner kraftvollen Auftritte, warum er der populärste tadschikische Schauspieler ist. Allein die „Euro-Finanzierungszugabe“ Moritz Bleibtreu wirkt in diesem ansonsten bis in die kleinste Nebenrolle stimmigen Typen-Kabinett wie ein Fremdkörper und überzieht sein „Verrücktspielen“ bisweilen bis an den Rand zur Peinlichkeit. Die visionäre Kraft der Bilder, die wegen der sich durch Bürgerkrieg und Naturkatastrophen übermäßig lange hinziehenden Dreharbeiten von vier Kameramännern gestaltet werden mussten (und dennoch keinen Bruch erkennen lassen), überspielt aber diese Schwäche und macht neugierig auf die früheren Filme von Bakhtiar Khudojnazarov. Obwohl auf vielen Festivals preisgekrönt, fanden „Bratan“ (1991) und „Neues Spiel, neues Glück“ (1993) hierzulande keinen Weg in die Kinos. Schade, denn die Fabulierkunst eines Bakhtiar Khudojnazarovs, die manchmal an die von Emir Kusturica erinnert, ohne sie zu kopieren, ist eine Bereicherung fürs europäische Kino.
Kommentar verfassen

Kommentieren