Vergiss Amerika

- | Deutschland 2000 | 90 Minuten

Regie: Vanessa Jopp

Drei Freunde in einer ostdeutschen Kleinstadt versuchen, ihren persönlichen Traum vom Leben zu verwirklichen, können sich aber von ihrer provinziellen Herkunft nie so ganz lösen und kehren immer wieder zum Ausgangspunkt ihrer Lebensexkursion zurück. Eine stimmungsvolle Ost-West-Studie, erzählt ohne erhobenen Zeigefinger. Sie besticht vor allem durch die brillante Regieleistung und das überzeugende Spiel der Hauptdarsteller. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2000
Produktionsfirma
AVISTA/WDR
Regie
Vanessa Jopp
Buch
Maggie Peren
Kamera
Judith Kaufmann
Musik
Michael Beckmann
Schnitt
Martina Matuschewski
Darsteller
Marek Harloff (David) · Roman Knizka (Benno) · Franziska Petri (Anna) · Rita Feldmeier (Frau Ludoff) · Andreas Schmidt-Schaller (Herr Ludoff)
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Kinowelt (16:9, 1.85:1, DS dt.)
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Diskussion
Eine Kleinstadt im fernen deutschen Osten: Aschleben - ein verlorenes Nest, nahe der polnischen Grenze. Die Wende ist fast schon Frühgeschichte und das weite flache Land die Projektionsfläche für ehrgeizige und sehnsüchtige Träume junger Leute Anfang 20. Zwei Jugendliche hetzen über die Dorfstraße. Fährt der Rollstuhl schneller als das Auto? Benno hat immer eine Lösung bereit, während David skeptisch zaudert. Dann kommt die Pfarrerstochter Anna ins Dorf. Anna, David und Benno - drei Jugendliche in Aschleben mit großen Plänen. Anna will Schauspielerin, David erfolgreicher Fotograf werden und die weite Welt zu ziehen, und nur Benno, der draufgängerische Lokalmatador, ein überschäumender Ausbund an Ideen und Projekten, sieht in Aschleben das Land der unbegrenzten Möglichkeiten: Er will mit großen amerikanischen Autos handeln. Sein Traum von Amerika gegen alle Unkenrufe: „Der Erste, der in Amerika ein Hotel in die Wüste gesetzt hat, den haben alle für verrückt erklärt - und weißt du, was daraus geworden ist? Las Vegas.“ Aber Aschleben ist nicht Las Vegas und wird es auch nicht werden. Zwischen den drei Protagonisten entwickelt sich die klassische Konstellation um zwei Freunde und eine Frau. David zieht sich zurück, macht seinen Zivildienst im Vogelschutzgebiet. Benno und Anna gehen unterschiedliche Wege, Anna nach Berlin zur Schauspielschule, Benno verwirklicht seinen Traum vom Chevrolet-Geschäft in Aschleben - und hier treffen sich die Drei immer wieder.

„Vergiss Amerika“ ist der Debütfilm der jungen Regisseurin Vanessa Jopp. Sensibel und humorvoll inszeniert die Absolventin der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film (HFFM) die Träume und Gefühle ihrer Protagonisten, ihre Suche nach dem Sinn des Lebens in der ostdeutschen Provinz. Für die Regisseurin verkörpert die Landschaft mit dem weiten Horizont nahe der polnischen Grenze etwas von der Dimension Amerikas, und dabei vermeidet sie alle gängigen Endzeitklischees vom deutschen Osten. Ihr Erstling ist eine brillante Regieleistung und beeindruckt besonders durch die Natürlichkeit der Hauptdarsteller. „Vergiss Amerika“ vermittelt eine authentische Alltäglichkeit, eine bewegende Menschlichkeit der Protagonisten mit allen ihren Schwächen und Stärken. Dabei fällt auch die sensible Natürlichkeit auf, mit der die Region dargestellt ist. Vanessa Jopp ist unprätentiös an die Ost-West-Thematik herangegangen, hat die historische Dimension ausgeklammert: „Mir war es einfach wichtig, ein Bild vom hier und jetzt zu zeichnen. Es ist kein Film, wo ‘Wessis’ sehen sollen, wie es im Osten ist. Ich glaube, die Stimmung des Films transportiert sich ganz gut, die da auch reinpasst. Das haben mir jetzt viele aus dem Osten bestätigt, aber es ging nicht darum bewusst zu zeigen, dass ist jetzt ein Film über den Osten, sondern es war einfach das ideale Setting für diese Geschichte.“ Eine Geschichte, die für Vanessa Jopp, die aus einer schwäbischen Kleinstadt stammt, durchaus gesamtdeutsch oder universal ist: Jugend in der Provinz, der Traum vom Fortgehen, der Traum vom Dableiben. An diesen Träumen aus zweiter Hand scheitern die Protagonisten: David, der nörgelnde Romantiker, schafft nie den ersehnten Absprung, versteckt sich hinter den Widrigkeiten seines Familienlebens; Bennos amerikanischer Traum zerplatzt, nachdem keiner seine Autos kaufen will und er sich mit Autoschieberbanden einlässt; Anna findet keine Engagements, arbeitet in der Synchronisation billiger Fernsehserien bis hin zum Pornofilm.

Aber der Film erhebt nie eine Anklage, keine düstere soziale Plattitüde mit erhobenem Zeigefinger. Die Nebenfiguren sind vertraut klischeehaft - der kleine Bruder, ein Nazi, der sich bis zum Umfallen in der Tankstelle betrinkt, der verbitterte Vater im Rollstuhl, die polnischen Autoschieber, der Personalchef aus Schwaben, der bei seiner Suche nach dem persönlichen Glück als Schwindler auffliegt - , aber die Darstellung ist angenehm subtil, schafft Atmosphäre. Insgesamt gelingt dem Film eine facettenreiche Darstellung des Ostens, sicherlich auch, weil ein großer Teil der Schauspieler und des Teams - etwa der Requisiteur - aus dem Osten kamen. „Vergiss Amerika“ handelt vom Traum der unbegrenzten Möglichkeiten, vom Traum von einer anderen Identität, vom Amerika in der Provinz, davon ein Star und/oder einfach woanders zu sein. Lange verdrängen die Protagonisten ihr Scheitern. Am Ende steht die bittere Erkenntnis gescheiterter Illusionen, aber auch die Chance, erwachsen zu werden, die Chance eines Neubeginns, der sich in der langen letzten Einstellung andeutet.
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