Est-Ouest - Eine Liebe in Russland

Drama | Frankreich/Bulgarien/Russland/Spanien 1999 | 119 Minuten

Regie: Régis Wargnier

Im Jahr 1946 kehrt ein russischer Emigrant mit seiner jungen französischen Frau und seinem siebenjährigen Sohn in die Heimat zurück, um als Arzt beim Aufbau des zerstörten Landes zu helfen. Doch die Versprechungen Stalins erweisen sich als Illusion: Es beginnt ein Leben voller Entbehrungen und Repressionen, denen die Frau schließlich nur durch Flucht in den Westen entkommen kann. Sensibel inszeniertes, hervorragend gespieltes Epos über die Zerstörung der Liebe durch äußere Umstände, das sein Thema weder an die Effekte eines Politthrillers noch an die Sentimentalitäten eines Melodrams verrät und durch die Wahrhaftigkeit der Fabel zutiefst berührt. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
EST-OUEST
Produktionsland
Frankreich/Bulgarien/Russland/Spanien
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
UGC YM/Canal +/France 2 Cinéma/CNC/Sofica Sofinergie 5/Gala Films/Mate Prod./NTV-Profit
Regie
Régis Wargnier
Buch
Rustam Ibragimbekow · Sergej Bodrow · Louis Gardel · Régis Wargnier
Kamera
Laurent Dailland
Musik
Patrick Doyle
Schnitt
Hervé Schneid
Darsteller
Oleg Menschikow (Alexej Golowin) · Sandrine Bonnaire (Marie Golowin) · Catherine Deneuve (Gabrielle Develay) · Sergej Bodrow jr. (Sascha) · Tatjana Dogilewa (Olga)
Länge
119 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
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Diskussion
Hatte Régis Wargnier in seinem bildgewaltigen Epos „Indochine“ (fd 29 598) noch den Kommunismus als eine Idee akzeptiert, die nach Jahrzehnten des Kolonialismus eine bessere Zukunft versprach, so rechnet er nun schonungslos mit ihr ab. Wie in all seinen bisherigen vier Spielfilmen kleidet er seine emotionsgeladene Geschichte in das Gewand eines Melodrams. Kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs lockte Stalin viele Russen, die in den Westen emigriert waren, mit einer Amnestie zurück in die UdSSR; er bot ihnen die scheinbar einmalige Chance, sich am Wiederaufbau ihrer immer noch geliebten, oft schmerzlich vermissten Heimat zu beteiligen. Auch der nach Frankreich ausgewanderte Arzt Alexei Golovine folgt mit seiner jungen französischen Frau Marie und seinem siebenjährigen Sohn Serioja diesem Ruf. Aber schon bei ihrer Ankunft im Hafen von Odessa wird der Traum zum Albtraum: Tatenlos müssen sie mit ansehen, wie einige der Rückkehrer erschossen werden, weil sie sich nicht von ihren Familienangehörigen trennen wollen. Die grenzenlose Willkür macht auch vor den Golovines nicht Halt: Marie wird der geplanten Spionage beschuldigt, ihr französischer Pass vernichtet. Alexei kann sie und seinen Sohn nur retten, indem er sich mit „Haut und Haaren“ dem Kommunismus verschreibt. Er soll als „Muster-Heimkehrer“ aufgebaut werden und bekommt eine Stelle als Betriebsarzt in einer Textilfabrik in Kiew sowie ein Zimmer in einer Gemeinschaftswohnung zugewiesen. Während Alexei versucht, sich zu arrangieren, leidet Marie stark unter dem von Repressionen bestimmten Leben. Als die berühmte Schauspielerin Gabrielle Develay mit dem Theatre National Populaire in Kiew gastiert, nutzt sie die Gelegenheit, ihr einen Hilferuf an die französischen Behörden zu übergeben. Marie entfernt sich immer mehr von Alexei, der sich in die Arme der Nachbarin Olga flüchtet, und freundet sich mit dem jungen Schwimmer Sasha an, der wegen schwacher Leistungen aus dem Nationalteam verbannt wurde. Sie motiviert ihn, wieder intensiv zu trainieren, denn nur wenn Sasha für die Europameisterschaften in Wien nominiert wird, kann er sich seinen Traum vom Leben in Freiheit erfüllen und zugleich Maries Briefe an Gabrielle in den Westen schmuggeln. Sasha schafft die Qualifikation, die Briefe aber werden entdeckt, und er wird aus der Mannschaft genommen. Dennoch gelingt ihm Monate später mit Maries Hilfe die Flucht, die daraufhin in ein Arbeitslager verbannt wird. Nach Stalins Tod wird sie begnadigt. Alexei, der inzwischen die Karriereleiter erklommen hat und Marie immer noch liebt, nimmt sie mit auf eine Dienstreise nach Bulgarien, wo er ein Treffen mit Gabrielle arrangiert hat. Diese bringt Marie und Serioja über die Grenze nach Griechenland, während Alexei den Weg in die Verbannung antritt. Erst nach Beendigung des Kalten Kriegs, wird er, wie der nach Nachspann mitteilt, seiner Familie nach Frankreich folgen.

Es ist keine wahre, aber eine tatsächlichen Schicksalen nachempfundene Geschichte, die Wargnier mit den überhöhten Mitteln des Melodrams erzählt. Anders als in „Indochine“ oder „Eine französische Frau“ (fd 31 496) gewinnt das Melodram dabei freilich nicht die Oberhand, orientiert sich Wargnier vielmehr auch an den Filmen eines Costa-Gavras, dessen Polit-Thriller (u.a. „Das Geständnis“, fd 17 056) immer auch vehemente Anklagen gegen die Unmenschlichkeit „rechter“ wie „linker“ Diktaturen waren. Auch wenn „Est-Ouest“ manchmal wie eine Reise in eine längst überwunden geglaubte Epoche anmutet, so ist der Film doch auch ein Stück Aufarbeitung eines kaum bekannten Kapitels neuerer Geschichte. Dabei ist der Titel durchaus doppeldeutig, deutet er einerseits doch auf den Gegensatz zweier Welten, andererseits auch auf die gemeinsame Schuld an einem von beiden Seiten verdrängten Thema. Und doch ist der Film weniger eine Abrechnung mit dem Kommunismus als die Beschreibung einer ständig unter Zerreißproben stehenden Liebe, deren Überlebenschancen mehr von außen als von innen bestimmt werden. Nach dem Schock der Exekutionen und den (aus dem Off hörbaren) Folterungen bei der Ankunft in Odessa konzentriert sich Wargnier ganz auf den die Liebe langsam zerstörenden Alltag der Golovines: auf das zwischen Solidarität und Bespitzelung angesiedelte Leben in der Etagen-Kommune, Alexeis verzweifelten Balanceakt zwischen Anpassung und Aufrichtigkeit, der sich erst am Ende als der einzig mögliche Weg erweist, um Marie und seine Liebe zu ihr zu retten.

Erst diese Wahrhaftigkeit der Liebesgeschichte verleiht dem Film seinen außergewöhnlichen Reiz. Vor allem durch die sensiblen Interpretation von Oleg Menshikov, einem der bekanntesten russischen Schauspieler, und Sandrine Bonnaire, die sich hier erstmals dem (französischen) Mainstream-Kino zuwendete, bekommt „Est-Ouest“ eine emotionale Tiefe, wie sie im Zeitgeist-Kino der veräußerlichten Effekte selten geworden ist. Wargniers Inszenierung greift diese Sensibilität auf, lässt Liebesszenen erst nach dem eigentlichen Akt beginnen. „Du hast die Augen zugelassen, die ganze Zeit.“ Diese Bemerkung Alexeis sagt alles über Maries Seelenlage und ihre Beziehung. Selbst Maries aus Einsamkeit und Verzweiflung geborene Liaison mit Sasha behandelt der Film mit altmodischer Zurückhaltung: Gesten und Blicke sind Wargnier wichtiger als voyeuristische Blicke. Dass sich Catherine Deneuve, die „grand dame“ des französischen Films, unprätentiös in die Rolle der hilfsbereiten Schauspielerin einfügt, passt ebenso zum konzentrierten Inszenierungsstil wie die Beiläufigkeit des Humors, wie er sich beispielsweise in der Beschreibung einer Clique von Kleingaunern findet, der die Hühner regelrecht nachlaufen und die ständig etwas „erben“. Der gelegentlich zu „soßigen“ Klangteppichen neigende Komponist Patrick Doyle findet zudem differenzierte Töne, die den Hauptdarstellern ihr pointiert charakterisierendes musikalisches Thema zuordnen. So ist „Est-Ouest“ ein „Melo-Epos“, das die Gefühle des Betrachters nicht erschlägt, sondern ihn tief im Herzen berührt.
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